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Lula wegen Korruptionsskandalen in der Bredouille

öffentliche Diskussion um Impeachment oder Rücktritt
--von Klaus Hart, Rio de Janeiro--
Die brasilianische Regierung von Staatschef Luis Inacio Lula da Silva wird bereits seit rund drei Monaten von einem Korruptionsskandal erschüttert und paralysiert - nach Einschätzungh nationaler Politikexperten und selbst der New York Times handelt es sich um die größte Korruptionsaffäre in der Geschichte des Landes.

Weil die Brasilianer Tag für Tag aus den parlamentarischen Untersuchungsausschüssen neue Fakten über ein raffiniertes System von Abgeordnetenbestechung und Machtmißbrauch sowie Mittelabzweigung aus Staatsbetrieben erfahren, wird inzwischen öffentlich über eine Amtsenthebung von Staatschef Lula debattiert, empfehlen ihm nicht wenige Politiker und Kommentatoren sogar den Rücktritt.
Im Nationalkongreß wurden bereits zwei Impeachment-Anträge eingebracht.
Angesichts immer neuer Enthüllungen tritt Präsident Lula jetzt die Flucht nach vorn an, läßt Jubelveranstaltungen inszenieren, auf denen er den Eindruck zu erwecken sucht, als hätte die ganze Affäre mit ihm überhaupt nichts zu tun. Ganz populistisch, wie im Wahlkampf, betont er seine persönliche Integrität.
“In diesem Land gibt es unter den 180 Milllionen Brasilianern keine Frau und keinen Mann, die die Courage hätten, mir Lektionen in Ethik, Moral und Ehrlichkeit zu erteilen. Jemand, der mit mir über Ethik diskutieren will, muß erst noch geboren werden.“
Eine nicht nur von den Kommentatoren vielbelachte Äußerung angesichts der Tatsache, daß im Zuge der Enthüllungen über vierzig Minister und hohe Staatsfunktionäre aus Lulas Arbeiterpartei bereits ihre Posten räumen mußten, voraussichtlich mehr als 230 Personen wegen Geldwäsche, Mafiakontakten, passiver und aktiver Korruption, Steuerhinterziehung, gefälschten Dokumenten und weiteren Delikten vor Gericht gestellt werden. Darunter Lulas rechte Hand im Präsidentenpalast, der Minister des Zivilkabinetts, Josè Dirceu, sowie Lulas enger Freund, der Partei-Schatzmeister Delubio Soares, beide bereits entlassen. Als Soares vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß jetzt zugeben mußte, daß in der Arbeiterpartei ein System schwarzer Kassen, existiert, saß die halbe Nation schockiert an den Fernsehern und Rundfunkgeräten.
Schließlich hatte sich die Arbeiterpartei stets als eherne Säule der Ethik im ansonsten schmutzigen Politikbetrieb bezeichnet. Inzwischen weiß man genauer, wie Abgeordnetenbestechung größten Stils betrieben wurde, wie Millionen und Abermillionen stets in bar, meist in schwarzen Koffern durchs Land, zu den dubiosen Empfängern transportiert wurde. Das Geld stammte aus großen staatlichen, aber auch privaten Firmen.
Als taktischer Fehler gilt zudem Staatschef Lulas populistischer Versuch, ausgerechnet der nationalen Wirtschafts-bzw. Geldelite die Schuld für die jetzige politische Krise in die Schuhe zu schieben. “Ich habe mir unter großen Opfern das Recht erobert, in diesem Lande erhobenen Hauptes zu gehen – die brasilianische Elite wird mich nicht zwingen, jetzt den Kopf zu senken.“
Brasiliens führendes Nachrichtenmagazin „Veja“ , aber auch andere Medien warfen daraufhin Lula wörtlich vor, die Brasilianer für dumm verkaufen zu wollen. Gerade die Elite sei größter Nutznießer der neoliberalen Regierungspolitik und habe keinerlei Interesse an Impeachment oder Rücktritt. Teile der Wirtschaft wollen nicht, daß Staatschef Lula durch seinen Vize und Verteidigungsminister, den Milliardär und Großunternehmer Josè Alencar von der rechtskonservativen Sektenpartei PL ersetzt wird. Wirtschaftlich-soziale Turbulenzen, so heißt es, wären dann vorprogrammiert. Der Staatschef selber warnte öffentlich vor solchen Gefahren. “Wir haben noch eine sehr anfällige Ökonomie, mit ernsten Problemen. Spielereien können wir uns daher nicht erlauben. Um einen Rückfall wieder aufzuholen, würden wir viele Jahre brauchen. Manchmal ist das sogar unmöglich.“
Brasiliens Sozialbewegungen und auch die Kirche des größten katholischen Landes hatten enorme Hoffnungen in die Lula-Regierung gesetzt. Jetzt ist die Enttäuschung riesig. „O Governo Lula ja acabou“ - die Lula-Regierung ist bereits am Ende, analysiert Pedro Stedile, Führer der Landlosenbewegung MST. Der bekannte Befreiungstheologe Leonardo Boff war 2002 begeistert in Lulas Wahlkampfkarawane durch ganz Brasilien mitgefahren – an der Seite von nicht wenigen Korrupten, wie er jetzt schockiert feststellen muß: “Die Korruption der Besten ist die Schlimmste, die es gibt.“ Politiker der Arbeiterpartei hätten Korruption nicht nur gelegentlich betrieben, sondern absichtlich und geplant, ganz systematisch. Beklagenswert, so heißt es aus der Kirche, daß ausgerechnet die sogenannte Partei der Ethik schizophrene Elite-Mentalitäten übernommen habe, die gesellschaftlichen Stufenleitern hinauf zur Welt des Luxus und der Reichen im Eiltempo erklettern wollte. „Schwarze Kassen, Bestechung, Kauf und Verkauf von Stimmen und Einfluß wurden normale Praxis.“ Daß die Lula-Familie und ihr Anhang die Freuden des luxuriösen Palastlebens in vollen Zügen genießt, beschreiben die Landesmedien ausführlich. Ebenso wie den steilen Aufstieg des Lula-Sohnes Fabio zu einem wohlhabenden Teilhaber der größten nationalen Telefongesellschaft Telemar. Luis Claudio, ein anderer Lula-Sohn, nutzte gar mit vierzehn Kumpels eine Regierungsmaschine für Ferienflüge.
Eine ganze Bevölkerung befinde sich in „kollektiver Trauer“, weil Ikonen der Ethik und Moral fielen, haben die Sozialwissenschaftler herausgefunden. Schon mehren sich militante Proteste gegen Lula und seine Regierung, fliegen Eier und Steine auf seinen Regierungstroß, brennen Autoreifen auf City-Avenidas, knüppelt die Militärpolizei Demonstranten nieder.

Klaus | 08.08.05 00:18 | Permalink