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Loyalistischer Terror in Nordirland

Die irisch-republikanische Partei Sinn Féin hat vorgestern an Ian Paisley und die von ihm geführte Democratic Unionist Party (DUP) appelliert, die seit Monaten andauernde »orchestrierte Kampagne sektiererischer Angriffe« loyalistischer Paramilitärs nicht länger tatenlos hinzunehmen. Bei der Vorstellung des Dokumentes »Unionist Paramilitary Attacks June-August 2005« erklärte Sinn Féin-Sprecher Gerry Kelly, die Untätigkeit der unionistischen Führung ermutige die Loyalisten, also jene Nordiren, die ihre Loyalität gegenüber der britischen Krone mit Terror- und Mordkampagnen bekräftigen. Sinn Féin hat das Dokument, in dem 85 »attacks« seit dem 2. Juni 2005 aufgelistet sind, darunter fünf Morde, an die Regierungen in Dublin und London geschickt.

Die Liste beginnt mit dem rassistischen Angriff, den Sprengsätzen, die am 2. Juni von osteuropäischen Arbeitern bewohnten Häusern in Ahorey, Richill, galten. Die Mehrzahl der Angriffe, ob mit Farbbeuteln, Gewehren oder Rohrbomben, galt jedoch Katholiken, ihren Kirchen, Häusern und Läden. Am 12. Juli beteiligten sich Mitglieder der loyalistischen Ulster Volunteer Force (UVF) sowie der Ulster Defence Assocition (UDA) an den Märschen des Oranierordens durch katholische Wohngebiete, bei denen es zu Gewalttätigkeiten kam. Im Juli erklärte der stellvertretende Großmeister des Belfaster Oranierordens McMurdie: »Sie sind auf unserer Seite. Wir mögen nicht mit allem einverstanden sein, was sie tun, doch sie waren unseren Glaubensbrüdern in Nord- und Westbelfast hilfreich.«

Seit mehreren Wochen bekriegen sich die UVF und die sich aus ehemaligen UVF-Mitgliedern rekrutierende Loyalist Volunteer Force (LVF) untereinander. Dabei geht es vornehmlich um die Kontrolle des Drogenmarktes und des »racketeering«, der Schieberei im großen Stil. Vier Menschen wurden seit Anfang Juli von der UVF mit der Begründung erschossen, sie seien Mitglieder der LVF gewesen. Bei zweien der Ermordeten hat sich aber mittlerweile herausgestellt, dass sie nur deshalb zu Opfern wurden, weil sie jemanden kannten, der als LVF-Mitglied gilt.

Laut einem Bericht der Menschenrechtsorganisation British Irish Rights Watch (BIRW) soll der Kommandeur der UVF, der diese Morde sanktioniert hat, ein Informant der »Special Branch« der nordirischen Polizei sein. Die BIRW-Direktorin Jane Winters erklärte, UVF-Mitglieder, die als Polizeiinformanten dienten, könnten offenbar mit Straffreiheit rechnen.

Einen Höhepunkt erreichten der UVF-LVF-Krieg bereits am 25. Juli als 300 UVF-Mitglieder im Ostbelfaster Wohnviertel Garnerville mit Waffengewalt Familien mit angeblichen LVF-Verbindungen aus dem Viertel vertrieb. Die nordirische Polizei sowie die britische Armee waren vor Ort und schauten tatenlos zu.

Laut nordirischen Medienberichten geht auch der Mord an dem 15 jährigen Katholiken Thomas Devlin, der am 10. August in Nordbelfast erstochen wurde, auf das Konto der UVF.

Die UVF widersetzt sich dem nordirischen Friedensprozess sowie der Implementierung des Belfaster Abkommens von 1998. Sie ist desillusioniert, weil ihr politischer Arm, die Progressive Unionist Party, erfolglos ist und ein Schattendasein fristet. Als deren Sprecher Billy Hutchinson vor ein paar Jahren erklärte, er glaube nicht, dass die UVF ihre Waffen abgebe, selbst wenn es die IRA tun werde, kritisierten die Politiker der großen unionistischen Parteien dies nicht – die IRA sei das Problem, nicht die Loyalisten.

Entsprechend fielen denn auch die Reaktion aus den Reihen der Ulster Unionist Party (UUP) und DUP auf die Präsentation des Sinn Féin-Dokumentes aus und dies, obwohl die IRA mittlerweile das Ende ihrer bewaffneten Kampagne erklärt hat, die stets als Ursache des loyalistischen Terrors angeführt wurde. Das UUP-Mitglied Rev Dr. Robert Coulter sprach vorgestern von »atemberaubender Heuchelei « und ein Sprecher von Ian Paisley erklärte nur: »Die IRA hat 35 Jahre lang unsere Community terrorisiert.«

Die Loyalisten haben wiederholt betont, einer Änderung des nordirischen Status quo gegebenenfalls mit »ethnischer Säuberung« zu begegnen. Und der reaktionäre Pfaffe Ian Paisley hat sich seit den 1960er Jahren immer wieder der loyalistischen Terrorkommandos zur Durchsetzung seiner sektiererischen Politik bedient. Alles deutet darauf hin, dass er und seine DUP daran festhalten wollen.

Jürgen Schneider

A.S.H. | 19.08.05 20:40 | Permalink