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Bruch von Anscheins-Tabus oder die Wiedererweckung deutscher Mythologie

Ein Kommentar zur dradio-Kultur Rezension des Buches „Tag der Befreiung?“ von Hubertus Knabe gehalten von Jörg Friedrich am 08.04.2005

Und wieder darf sich das Lager der mythologischen Geschichtsdeuter über ein Buch voller „neuer“ Erkenntnisse, bislang „unterdrückter Wahrheiten“ und bis jetzt angeblich unaussprechlicher „Tabus“ erfreuen.

Der Autor des besprochenen Buches, Hubertus Knabe, von 1992 bis 2000 in der Forschungsabteilung des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, der sog. „Gauck-Behörde“ tätig, ist derzeit wissenschaftlicher Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen im ehemaligen Zentralgefängnis der Staatssicherheit. Er stellt mit keckem Fragezeichen in der Titelzeile und sodann auf 392 Seiten in seinem jüngst im Propyläen Verlag erschienen neuen Buch die These von der Befreiung infrage. Und nicht nur dies, ganz nebenbei wird auch noch die Kriegsschuldfrage gestellt und etwas nebulös Stalins Mitverantwortung soweit herausgeschraubt, dass man beim Lesen den Hautgout des nolteschen „Nexus“-Phantasmas nicht aus der Nase kriegt.

Es soll kein Hehl daraus gemacht werden, dass anfänglich brav und pflichtschuldigst die „Befreiungs“-These repetiert wird, als ginge es darum den Zensor zu beschwören. Daran schliesst sich dann aber unbefangen eine vulgär-exegetische Totalitarismustheoriebeugung an, gespickt mit Scheusslichkeiten eines Besatzungsregimes bis letztendlich, zwecks nunmehriger Befreiung Deutschlands von der Kriegschuldschmach, die Sowjetunion und Stalin als die Potentaten des Weltkriegsgeschehens und darüberhinaus übrigbleiben. So tritt hinter einen vermeintlichen Siegerexzess die Anlasstat - eines völkischen, antijüdischen, antibolschewistischen „Raumordnungs“-Krieges - und die Art Ihrer Ausführung – „Partisanenbekämpfung“, „Verbrannte Erde“, Kommissar-Befehl etc. - verblassend zurück.

Es geht denn auch auch kein geringerer frohgemut zu Werke einer lobhudelnden Rezension als der untrüglicher Wahrheitsfindung bei der Wiederentdeckung deutschen Opferleids gerühmte Jörg Friedrich, der mit seinem Buch „Der Brand“ über die Bombardierung Dresdens schon bis dato ein Liebling der revisionistischen Opferliteratur war. Dieser Umstand allein zeugt schon vom grassierenden Gift einer selbstrefentiellen Opfer-Mythos-Literatur.

Der Rezensent ist denn auch freudig beim be-werten und kommt letztlich zu dem egalisierenden Schluss, der schon der Bundesregierung zur Rechtfertigung Ihrer Kriegsanstrengungen in Ex-Jugoslawien diente. Er meint durchaus richtig, es habe „keinen idiotischeren Krieg gegeben als den von 1939 bis 45“. Fabuliert dann aber den Ost-West-Konflikt als dessen „strategisches Endergebnis“; strategisch im Sinne planvoll zeilgerichteten Handelns-wohl kaum! Um qua dieser argumentativen Krücke die Niederlage Deutschlands abstrakt als Teil einer philosophischen Suche nach der Lösung für die Zivilisationsfrage zu lesen. Die dann als eine Menschheitsfrage wiederkehrt und so ermöglicht allen Beteiligten, eben wegen Ihrer Teilhabe an der Bezwingung Nazi-Deutschlands eine Verstrickung „in die Barbareien [...], die uns seither nicht losgelassen haben: Völkermord, Gefangenenelend, Verjagung ganzer Völkerscharen, Vergeltungsexzesse, Frauenschändung, Kindersoldaten, Flächenbombardements“ anlassten zu können. Ergo: Was halten wir uns noch lange mit den systematischen und quasi-industriellen Ausrottungspraxis des NS auf, haben doch alle Dreck am Stecken.
Der laienphilosophische Schlussakkord zu dieser Passage gipfelt denn auch: „Das Verbindende dieser Schrecknisse ist die Konzentration totaler Gewalt auf dagegen Wehrlose“. Ein Satz, der in seiner nivellierenden Non-Challance besticht und auch auf die gewaltförmige Totalität des Marktes anwendbar scheint, aber hierfür sicher nicht von seinem Urheber ersonnen wurde.

Was aber am ganzen neu sein soll und bisher nicht hinlänglich oder von einer umfassend als befangen gescholtenen Geschichtswissenschaft willentlich verborgen gehalten worden sein soll bleibt schleierhaft. Vom Hitler-Stalin-Pakt bis zum System der Gulags hat eine einschliessende Unterrichtung bzw. Aufklärung in den Schulen und übrigen gesellschaftlichen Lehrstätten sehr wohl stattgefunden.

Was wir hier hingegen antreffen, scheint vielmehr ein Wiedergängertum deutscher Mythenbildung zu sein. Zu dessen ruchlosesten hervorragenden Trägern aber schon das Amt Rosenberg des gleichnamigen NS-Ideologen, Autor der zweiten Säule der NS-Ideologie: “Mythus des 20. Jahrhunderts“ zählte. Das Opferkonstrukt wie auch der daraus anscheinend abgeleitete Befehl zum resp. die paranoide Vorstellung des Berufen-seins erscheint vor diesem Hintergrund eine geschichtsphilosophische Konstante eingeschrieben in eine zumindest (völkisch-)deutsche Lesart von geschichtlichen Zusammenhängen.

gez.
Labude

Weiterführende Links:

Hubertus Knabe: Tag der Befreiung?

über Alfred Rosenberg

Michal Stachura | 05.05.05 08:31 | Permalink

Kommentare

Ordnung muß sein

Da ich das Buch von Hubertus Knabe "Tag der Befreiung? Das Kriegsende in Ostdeutschland" nicht gelesen habe, beschränke ich mich in meiner Kritik auf den Kommentar von einem "Labude" bezüglich der Rezension des Buches von Jörg Friedrich.
Der Kommentator der Rezension von Jörg Friedrich über Knabes Buch scheint vorbelastet in seiner Bewertung. Der Opfermythos, den Friedrichs "Der Brand" so deutlich heraufbeschworen habe, muß hier seine Fortsetzung finden. Das muß von Anfang bewiesen werden - so scheint es. Denn: wer einmal nascht, dem traut man nimmermehr... Die Schublade, in die Jörg Friedrichs gesteckt werden muß, ist also von Anfang an auserkoren. Da - so wirkt der Kommentar - kann man es sich ja eigentlich auch gleich sparen, die Rezension zu lesen.

Tut man dies aufmerksam, so fällt die Subtilität ins Auge, mit der Friedrich gegen das tendenziell Beschönigende und Schuldabwälzende des Buches polemisiert. Die Schuld am Krieg lastet - so fäßt Friedrich zusammen - nach Lektüre Knabes nicht mehr allein auf den Deutschen. Sie wird geteilt, denn "Der Kriegsausbruch war nämlich ein Komplott, Hitler hatte einen Partner, den zweiten Schützen." Knabe lenkt die Aufmerksamkeit auf die Stalinbarbarei und will zeigen, daß das Untier nicht nur im Deutschen haust. Dieses Bedürfnis der Schuldrelativierung kritisiert Friedrich: "Mit dem Buch Hubertus Knabes ist der Wechsel von der Hitler- zur Stalinbarbarei in Mitteleuropa so Anteil nehmend wie abwägend für den Gegenwartsleser erschlossen."
Friedrich macht deutlich, daß der von Knabe verfolgte Blick auf die deutschen Opfer des Krieges seine Berechtigung hat im Sinne der Anerkennung der Verschiedenheit der Einzelschicksale: "Den Älteren mag es zur Genugtuung dienen, dass ihr Erleben nicht für immer annulliert bleiben wird, [...]"
Im gleichen Satz verweist Friedrich aber auch auf die unabwendbare Diskrepanz, die zwischen einer zur Parole geronnenen offiziellen Lesart des Kriegsendes und den je erlebten Einzelschicksalen besteht. Möglicherweise wittert er auch die Gefahr, die eine derartige Anerkennung des individuellen Leides einzelner Deutscher mit sich bringt: "den Jüngeren [dient diese Anerkennung] zum Erstaunen, wie wenig die treuherzige Parole des "Tages der Befreiung" von der Wirklichkeit gedeckt ist."
Mit all seinen Anspielungen auf amerikanische Argumentationsmuster für einen Krieg wie "der gute Krieg, den Gerechtigkeit und Zivilisation verlangten" oder "Kreuzzug für Demokratie und Menschenrechte gegen den Schurkenstaat" spielt Friedrichs - meines Erachtens - auf die Einwirkungen tagespolitischer Legitimationsschemata auf die Bewertung historischer Vorgänge an. Hier geht es um Deutungshoheiten, welche verschiedensten Interessen der Gegenwart entspringen und damit um Geschichtspolitik, die gerade an von ihr erkorenen Jahrestagen die höchsten Wellen schlägt. Friedrich weist aber auch auf die Krux hin, die eine durch Aussterben der Erlebnisgeneration ermöglichte Versachlichung der Betrachtung des Zweiten Weltkrieges birgt: "Er wird, je weiter er zurückliegt, desto besser."

Nun ist gerade der Punkt, in dem Rezensent und Kommentator der Rezension übereinstimmen, einer, bei dem ich mich frage, wozu diese Feststellung notwendig ist: "Es hat keinen idiotischeren Krieg gegeben als den von 1939 bis 45." So gibt es allso auch weniger idiotische, vernünftige oder sogar gerechte Kriege.
Den Ost-West-Konflikt als "strategisches Endergebnis" des Zweiten Weltkriegs anzuzweifeln, ist mit der Kritik an der Verwendung des Wortes "strategisch" in dieser Konstellation berechtigt. Was dann bei Friedrich folgt, ist tatsächlich etwas unvermittelt. Er will zeigen, daß in der Zähmung Deutschlands nicht gleichsam alles Unheil gebannt wurde. Doch der Übergang - oder chronologisch: der Schritt zurück - zur Besatzungspolitik der Sowjets ist mehr als holprig.

Das Neue am Buch von Knabe, welches der Kommentator "Labude" nicht erkennt, scheint laut Friedrich die Strategie zu sein, die hinter den exzessiven Quälereien in den von den Sowjets befreiten/besetzten Gebieten stand: "Knabe belegt durch Befehlstexte, dass die sexuelle Demütigung der ostdeutschen Familien keine bedauerlichen Mannschaftsexzesse waren, sondern die Besatzungspolitik,[...]" Ob das tatsächlich neu ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Zumindest schwächt eine derartige Argumentation die Einzigartikeit der deutschen Verbrechen, die sich bekanntlich durch ihre 'Industrialität' - was Kalkül, Strategie und strategische Planung wie Ausrüstung, Logistik uvm. heißen soll - auszeichneten. Ein geplantes und bewußt herbeigeführtes Quälen und Vernichten scheint nach Lektüre Knabes nun nicht mehr allein als besonders deutsche Eigenart. -

Am Ende des Kommentars zur Rezension verwischen die Konturen der Kritisierten. Es scheint hinfällig, wer hier nun den deutschen Opfermythos beschwört. Friedrich wie Knabe gehören ja sowieso in eine Schublade. Und Labude in eine andere. Was täten wir nur ohne diese gute alte Ordnung?

Verfasst von: Jacqueline | 06.05.05 00:49

Liebe Jacqueline,

wenn jemand schreibt "Ein geplantes und bewußt herbeigeführtes Quälen und Vernichten scheint nach Lektüre Knabes nun nicht mehr allein als besonders deutsche Eigenart." der hat im Geschichtsunterricht nicht aufgepasst. 6 Millionen Juden durch den Ofen zu schicken ist eben nicht dasselbe, wie eine Grossmutter in Ostpreussen zu vergewaltigen. Von "Vernichten" kann eben hier nicht gesprochen werden und das ist die "Deutsche Eigenart". Wenn für Dich dabei das Merkmal der "Planung" beider Tatbestände ausschlaggebend ist, dann kann ich Dir leider nicht mehr weiterhelfen.

Du gehörst entweder einer durch Walser, Kosovo-Krieg und Ernst Nolte von Auschwitz befreiten Generation an oder bist tatsächlich Opfer Deines naiven Glaubens an die "Demokratischen Institutionen" und die "Gerechtigkeit" der bürgelichen Gesellschaft der Dir die Verantwortung für Dein Handeln und Denken abgenommen hat und Dich täglich mit einer dem Gewicht und der Rolle Deutschlands in der Aussenpolitik und Weltwirtschaft angemessenen und gültigen Art und Weise unterrichtet.

Du bist Staatsbürgerin eines Staates, der bis heute offiziel an der Staatsdoktrin des Fortbestehens des Deutschen Reiches festhält, andere Länder zwecks Frieden mit Bomben überseht, Flüchtlinge in der Oder für Deinen Wohlstand ersaufen lässt, und Panzer und Minen als Exportweltmeister verkauft. Friedensmacht Deutschland halt. Hinterfrag das bloss nicht, sonst fällt Deine Glaube na diese schöne heile Welt zusammen

In beiden Fällen hast Du leider am 8.Mai nichts zu feiern! Dir bleibt heute nichts anderes als die Deutschen Faschisten-Helden von den Seelower Höhen zu beweinen, die dem Schlachtruf Hitlers gefolgt sind in den Endsieg. In Deiner Terminologie wären das dann die Beschützer (bekannt auch als Wehrmacht, SS, GeStaPo, Hitlerjugend, Freisturm - all die unschuldigen eben für die es hies "Unsere Ehre heisst Treue" und "Gott mit uns") der Deutschen Frau vor den "Asiatischen Horden" Stalins.

Hitler war doch nicht so schlecht, er musste ja in den Krieg ziehen um die Ehre Deiner Grossmutter vor den Vergewaltigungen durch die Bolschewiki zu schützen?

Mein Grossvater hatte sich jednefalls - im Gegensatz zu Deiner Grossmutter - am 8.Mai sehr gefreut. Die Amerikaner haben ihn nach Auschwitz, dem Todesmarsch von Buchenwald gerade in diesen Frühlingstagen 1945 aus Dachau befreit.

Smierc Faszyzmowi!!!

Verfasst von: Auschwitz-Überlebender-Enkel | 08.05.05 10:51

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