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Indios gegen Indios

Bizarrer Konflikt um neues Indianerreservat in Nordbrasilien
--von Klaus Hart, Rio de Janeiro--
In den Weiten Amazoniens, über 5000 Kilometer von Rio de Janeiro entfernt, ist ein bizarrer Konflikt um ein neues großes Reservat von 17000 Indianern entbrannt, das Brasiliens Staatschef Lula vor wenigen Wochen ausgerufen hatte. Denn es sind zuallererst Indios, die lautstark und sogar gewaltsam gegen das Reservat protestieren, die Rücknahme des Reservatsdekrets fordern, sich auf die Seite von weißen Politikern und Großfarmern stellen.Andere Indios begrüßen das Reservat - der Riß geht mitten durch ganze Stämme.

Nach Darstellung von Indioführern und auch des Indianermissionsrates der katholischen Kirche weist der ganze Fall auf Praktiken wie in der Kolonialzeit.
Drei Jahrzehnte lang hatten fünf nordbrasilianische Indianerstämme des Amazonas-Teilstaats Roraima erbittert für das Reservat Raposa/ Serra do Sol gekämpft, sogar internationale Menschenrechtsvereinigungen, die Organisation Amerikanischer Staaten, die katholische Kirche eingeschaltet. Nun wurden den Stämmen die 17000 Quadratkilometer Lebensraum verfassungsgemäß zugesprochen – die illegal in das Gebiet eingedrungenen reichen weißen Reisfarmer aus Südbrasilien, und andere Großagrarier, die viel Urwald vernichteten, sollen spätestens in einem Jahr von dort verschwunden sein. Doch nun reißen ausgerechnet Indianerproteste gegen das neue Reservat nicht ab – wichtige Straßen ins benachbarte Venezuela werden gesperrt, Beamte der Bundespolizei zeitweise als Geiseln genommen, öffentliche Gebäude, Brücken besetzt. Die indianischen Reservatsgegner erreichten sogar, daß sich die Polizei völlig aus dem Reservat zurückzog, in dem von Reisfarmern bewohnte Städte und Dörfer liegen. Und der Gouverneur von Roraima klagt beim Obersten Gericht gegen das Reservat. “Ich habe große Angst, daß jetzt ein gewaltsamer Konflikt ausbricht, an dem sich auch die aufgehetzte nichtindianischen Bevölkerung beteiligt“, sagt Häuptling Marinaldo Trojano vom Stamme der Macuxi, ein indianischer Intellektueller, der die regionale Indianerorganisation CIR leitet. Auch die Macuxi sind gespalten in Gegner und Befürworter des Reservats, Häuptling Trojano hat gleich zwei andere Indio-Organisationen gegen sich.
„Politiker und Großfarmer haben diese Indianer manipuliert, korrumpiert, gekauft, teils unter Druck gesetzt – einige Häuptlinge werden dafür bezahlt, daß sie sich öffentlich zum Sprecher der weißen Reisfarmer machen, die hier natürlich nicht wegwollen. Wir werden jetzt jeden Tag bedroht, die Lage kann eskalieren – doch ausgerechnet jetzt sind wir völlig ohne Schutz, weil sämtliche Polizei abgezogen wurde. Wir wollen, daß Justizminister Thomas Bastos etwas unternimmt, unsere Sicherheit garantiert.“
Laut Trojano sind nur etwa zwanzig Prozent der Indios gegen das Reservat – doch in den brasilianischen Medien werde der Eindruck erweckt, als sei es die Mehrheit. Diese Indianer und ihre Häuptlinge fordern, daß die weißen Großfarmer bleiben können – denn andernfalls bringe das neue Reservat nur Isolierung von der Außenwelt, Rückschritt, ein schlechteres Leben. Für Macuxi-Häuptling Trojano sind das Scheinargumente. Schwer zu übersehen, daß in Brasilien nur noch ein Bruchteil der über siebenhunderttausend Ureinwohner traditionelle Lebensweisen beibehalten hat.
“Eine Isolierung wird es nie geben. Die Zeiten haben sich doch geändert, auch wir Indianer entwickeln uns weiter, haben hier unsere Wirtschaftsprojekte. In Wahrheit paßt doch den Mächtigen von Roraima nicht, daß wir Indios unsere Autonomie pflegen, vieles in die eigenen Hände nahmen. Heute sind Indios bereits Agronomen, Ingenieure, Mediziner. Wir bilden sogar unsere eigenen Führungskräfte aus, haben 640 Lehrer, sorgen selber für unsere Gesundheitsbetreuung. Im Reservat züchten wir bereits über dreißigtausend Rinder, bauen eine Geflügel-,Schweine-und Fischzucht auf. Mit diesen Projekten wollen wir jetzt vorankommen, und dafür ist nötig, daß sich die Indianer einigen, an einem Strang ziehen.“
Der deutschstämmige Egon Heck, Generalsekretär des befreiungstheologisch orientierten katholischen Indianermissionsrates: „Das neue Reservat stört Wirtschaftsinteressen – jetzt können die Großagrarier Roraimas keine schnellen Gewinne mehr einfahren. Deshalb wollen sie das neue Reservat mit Methoden und Praktiken aus der Kolonialzeit verhindern. Sie hetzen Indios gegen Indios auf, schüren interne Konflikte, begünstigen die einen zum Schaden der anderen. Indios haben letztes Jahr sogar drei unserer Geistlichen entführt und schwer mißhandelt.“

Klaus | 07.05.05 22:56 | Permalink