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Deutschland: Strafanzeige gegen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld

Am 30.11.2004 haben das Center for Constitutional Rights (CCR), New York/USA und vier irakische Staatsbürger über den Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck Strafanzeige bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe gegen den US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, den ehemaligen CIA-Direktor Georg Tennet, den General Ricardo Sanchez und weiteren sechs Mitgliedern der Regierung und Angehörigen der Streitkräfte der Vereinigten Staaten von Amerika wegen der Gefangenenmisshandlungen in dem irakischen Gefängnis Abu Ghraib erstattet.

Zu den Zielen der Strafanzeige sagte Wolfgang Kaleck: "Wenn diese Herren im Zukunft schon darüber nachdenken müssen, in welches Land sie reisen können und in welches nicht, weil da eventuell gegen sie ermittelt wird, ist das schon ein kleiner Erfolg."

Offensichtlich bezog er sich da auf den Fall des Ex-US-Außenministers Henry Kissinger. Der mußte vor nicht allzulanger Zeit überstürzt aus Frankreich abreisen, da ihn die dortige Staatsanwaltschaft im Rahmen der Ermittlungen gegen den chilenischen Ex-Diktator Pinochet vorladen und als Zeugen vernehmen wollte.

Bei dem Center for Constitutional Rights handelt es sich um eine seit 1996 in den USA arbeitende Bürgerrechtsorganisation (vgl. www.ccr.org), die seit dem Jahr 2002 unter anderem Internierte aus Guantanamo und ehemalige Häftlingen von Abu Ghraib zivil- und strafrechtlich vertritt. Das CCR wird durch die Rechtsanwälte Peter Weiss und Michael Ratner vertreten. Die Strafanzeige richtet sich gegen zehn in der Strafanzeige benannten US-amerikanische Staatsbürger sowie weitere bis noch nicht namentlich Benannte wegen sämtlicher in Betracht kommender Straftatbestände, namentlich wegen Kriegsverbrechen gegen Personen, §§ 8, 4, 13 und 14 Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) sowie wegen gefährlicher Körperverletzung, §§ 223, 224 Strafgesetzbuch (StGB) i. V. m. §§ 1 VStGB, 6 Nr. 9 StGB und der UN-Folterkonvention.

Der Strafanzeige gingen mehrmonatige intensive Diskussionen von amerikanischen und deutschen Juristen sowie Vorarbeiten eines deutsch-amerikanischen Juristenteams voraus. Die Strafanzeige umfasst 170 Seiten sowie weitere mehrere hundert Seiten an Anlagen.
Die Begehung der Straftaten an irakischen Inhaftierten im Gefängnis Abu Ghraib ist durch zahlreiche Fotoaufnahmen, Zeugenaussagen von beteiligten Militärs und durch mehrere ausführliche Regierungsberichte in den USA sowie durch Presseveröffentlichungen und Berichte von Menschenrechtsorganisationen dokumentiert. Die Strafanzeige stützt sich auf diese Quellen und dabei insbesondere auf den regierungsamtlichen Untersuchungsbericht der Militärs Fay/Jones vom 09.08.2004. Dort sind insgesamt 44 Einzelfälle von Gefangenenmisshandlungen geschildert, die Gegenstand der Strafanzeige sind.

Die Vorkommnisse von Abu Ghraib wären aber nicht verständlich, wenn man nicht das Ausmaß und den Hintergrund der Verbrechen berücksichtigen würde. In den USA finden diese Diskussionen unter der Überschrift „The Road to Abu Ghraib“ (Der Weg nach Abu Ghraib) statt.

Durch die diversen Veröffentlichungen wurde deutlich, dass die

- die euphemistisch als Missbrauch („abuse“) bezeichneten Taten in Wirklichkeit Folter und andere schwere Verletzungen des internationalen Kriegsvölkerrecht darstellten,
- die angewandten Praktiken nicht Ausfluss des Werks einer Handvoll von sadistischen Einzeltätern waren, vielmehr die Praktiken unter US-Militärs weit verbreitet und ständig sowohl in Afghanistan als auch in Guantánamo und Irak sowie in bekannten und unbekannten Haftzentren in anderen Ländern angewandt wurden,
- diese Praktiken nicht nur entweder direkt oder indirekt von höchsten Funktionären der US-amerikanischen Regierung angeordnet wurde, sondern durch unkorrekte und falsche rechtliche Auskünfte von zivilen und militärischen Juristen im Dienste der Regierung mit verursacht wurden.

Eine große Rolle bei den Ermittlungen spielen die mittlerweile veröffentlichten internen Memoranden innerhalb der US-Regierungsadministration. Gegen den Widerstand hoher Militärs und aus dem Außenministerium wurde argumentiert, dass der Krieg gegen den Terrorismus die traditionellen gesetzlichen Restriktionen über die Behandlung und die Befragung von Inhaftierten außer Kraft gesetzt habe. Vor allem die Genfer Konventionen wurden auf den Kriegsschauplätzen in Afghanistan und im Irak und vor allem für die Inhaftierten auf der Militärbasis in Guantánamo/Kuba ganz oder teilweise suspendiert. Bestimmte Vernehmungsmethoden, die in den Regierungsmemoranden vorgeschlagen und später praktiziert wurden, erreichen den Grad der Folter und anderer unmenschlicher und grausamer und entwürdigender Behandlung. Sie wurden mit dem Ziel angewandt, mehr nachrichtendienstlich verwertbare Informationen von den vernommenen Personen zu erlangen. Vor allem Verteidigungsminister leistete den Gefangenenmisshandlungen dadurch Vorschub, dass er die Erlangung "mehr verwertbarer" (more actionable) Informationen von irakischen Gefangenen forderte. Danach kam es zu den schwersten Misshandlungen in Abu Ghraib.

Bis zur Veröffentlichung der Bilder aus Abu Ghraib verfolgte die amerikanische Regierungsadministration das Prinzip „nichts Schlechtes sehen, nichts Schlechtes hören“ und ignorierte dabei unter anderem die ernsthaften Beschwerden, die das Internationale Komitee des Roten Kreuzes über die Behandlung von Inhaftierten wiederholt in den diversen internen und veröffentlichten Berichten vortrug. Selbst insgesamt 54 Todesfälle im US-Gewahrsam in Afghanistan und in Irak trugen nicht zur Änderung des Verhaltens der US-Administration bei.

Bis zum jetzigen Zeitpunkt sind in Irak keine Strafverfahren gegen verantwortliche US-Militärs eingeleitet worden. In den USA selbst ist kein Strafverfahren gegen einen Soldaten mit einem höheren Rang als Stabsunteroffizier eingeleitet worden. Gegen sämtliche Verantwortliche aus der Regierungsadministration und der Militärleitung wurde bisher weder ein Strafverfahren, in den meisten Fällen noch nicht mal ein Disziplinarverfahren eingeleitet.

Da auch eine Zuständigkeit des internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag in diesem Fall nicht gegeben ist, waren die Opfer und ihre US-amerikanischen Anwälte dazu gezwungen, sich außerhalb von den USA Gerichtsstand zur Einleitung von Strafverfahren zu suchen.

In der Bundesrepublik Deutschland sind nach dem Völkerstrafgesetzbuch schwerste Verbrechen verfolgbar, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren. Zu diesen Völkerrechtsverbrechen zählen unstreitig die Kriegsverbrechen, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, der Völkermord und das Aggressionsverbrechen. Den einzelnen Staaten steht eine Strafbefugnis bei diesen Taten neben dem internationalen Strafgerichtshof zu. Völkerrechtsverbrechen sind keine inneren Angelegenheiten. Für Völkerrechtsverbrechen gilt daher nach dem VStGB, dass Weltrechtspflegeprinzip. In § 1 des VStGB wird dieses Prinzip ausdrücklich für alle in ihm bezeichneten Verbrechen, unter anderem die besagten Kriegsverbrechen festgeschrieben, auch dann, wenn die Tat im Ausland begangen wurde und keinen Bezug zum Inland „aufweist“ (§ 1 VStGB).

Da weder der internationale Strafgerichtshof, noch die primär zuständigen Gerichte im Irak (Tatortstaat) und die USA (Herkunftsstaat der Täter), strafrechtliche Ermittlungen einleiten, müssen diese Ermittlungen zunächst in Deutschland geführt werden.

Die nach Gesetz zuständige Bundesanwaltschaft in Karlsruhe hat dabei ein so genanntes Verfolgungsermessen nach § 153 f StPO. Dabei muss sie berücksichtigen, dass drei oder vier der zehn angezeigten Personen mit ihren Einheiten in Deutschland stationiert sind (Sanchez, Wojdakowski, Pappas und eventuell Jordan). Auch bei den weiteren Beschuldigten sind regelmäßige Deutschlandaufenthalte wahrscheinlich.

Im Übrigen werden in der Strafanzeige eine Reihe von Ermittlungsansätzen für deutsche Strafverfolgungsbehörden vorgeschlagen. Dies betrifft in erster Linie die Vernehmung der geschädigten Zeugen, nämlich der ehemals in Abu Ghraib und in anderen Haftlagern inhaftierten Personen. Diese sind bereit im Rahmen des Strafverfahrens vor deutschen Strafverfolgungsbehörden auszusagen, entweder im Rahmen von konsularischen Vernehmungen in den deutschen Botschaften in Bagdad/Irak oder Amman/Jordanien oder im Rahmen staatsanwaltschaftlicher oder kriminalpolizeilicher Vernehmungen.

Im übrigen könnten die Angehörigen der vorher in Irak und jetzt in Deutschland stationierten Einheiten als Zeugen bzw. Beschuldigten vernommen werden.

Für die Strafverfolgung in Deutschland ergeben sich keine Verfahrenshindernisse. Verteidigungsminister Rumsfeld ist keinerlei Immunität anzuerkennen. Er hat zwar in amtlicher Eigenschaft gehandelt. Bei Kriegsverbrechen ist es aber völkergewohnheitsrechtlich anerkannt, eine Ausnahme von der Immunität wegen seiner amtlichen Eigenschaft zu machen. Dies wurde zuletzt im Fall Pinochet und bereits zuvor in zahlreichen anderen Einzelfällen vor internationalen Gerichten geurteilt. Auch das Natotruppenstatut ist einer Strafverfolgung in Deutschland nicht hinderlich. Immerhin ist es fraglich, ob das Statut überhaupt auf die beschuldigten Personen anwendbar ist, da es im Prinzip nur für Straftaten gelten soll, die im Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland von stationierten Streitkräften begangen wurden und die hiesigen Straftaten im Irak geschahen. Zum zweiten regelt das Truppenstatut eine Rangfolge von zuständigen Gerichten, da die USA die ihr nach dem Statut zustehende vorrangige Gerichtsbarkeit gegen die beschuldigten Personen nicht ausübt, kann Deutschland insoweit die Strafverfolgung übernehmen.

Wir fordern daher die Bundesanwaltschaft auf, die Ermittlungen in dem Verfahren gegen Rumsfeld und andere aufzunehmen und damit der Straflosigkeit schlimmster Kriegsverbrechen ein Ende zu setzen.

Quelle: OST:BLOG, www.rav.de

Die Strafanzeige des Center for Constitutional Rights New Yorck gegen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld u. a. wegen Kriegsverbrechen und Folter zum Nachteil irakischer Internierter im Gefängnis Abu Ghraib Irak 2003/2004 bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe/Deutschland ist hier downloadbar:

http://www.rav.de

A.S.H. | 30.11.04 17:21 | Permalink

Kommentare

Sehr gut geschriebener Artikel!

Verfasst von: Martin Weber | 09.03.07 14:34

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