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WAR IS OVER!

Lobhudelei (Buchbesprechung)
Was so ein richtiger Fan von irgendwas und/oder irgendjemand ist, der fällt vermutlich schon in die Kategorie Suchtproblem. Das vorliegende Buch über den Ex-Beatle und Friedensaktivisten John Lennon (1940-1980), der sicher zu den interessantesten Menschen im ständig schneller rotierenden Rock’n’Roll-Circus gehört, ist demnach die reinste Droge, für Menschen, die je auf John Lennon standen oder stehen.

Wie kaum ein anderer bewegte sich Lennon mit allen Konsequenzen in seiner Zeit, die wahrlich reich an Experimenten wahr. Er verstieß bewusst gegen zahlreiche Konventionen, und selbst als Teil einer immer mächtiger werdenden Musikindustrie, von der er auch gut profitierte, war er immer auch ein Teil subkultureller Gegenbewegungen. Alle Höhen und Tiefen, die das schnelle Leben der 60er und 70er Jahre ausmachten hat er durchlebt und durchlitten – und uns durch seine vielen großartigen Songs daran teilhaben lassen.
In so kurzlebigen Zeiten wie den unseren, wo die 35jährigen ihre Memoiren schreiben (auch dann, wenn sie nichts er-lebt haben), und 19jährige Pickelgesichter zu „Superstars“ deklariert, bzw. verheizt werden, nur weil sie alte Songs nachsingen können, da fange ich langsam an daran zu glauben, dass es irgendwie doch ‚wahre HeldInnen’ geben muss. Und wenn schon mit Begriffen wie ‚Legenden’ gearbeitet werden soll, dann will ich die auf John Lennon gelten lassen.

Sicher gibt es über Lennon Biographien, die mehr zu erzählen haben als dieses Buch, aber allein die Aufmachung hat mich in schiere Begeisterung versetzt. Es ist ein wahres Erlebnis-Buch. Auf den 62 Seiten gibt es eben nicht nur (zum Teil wohl rare) Fotos und einen Text, der fundiert einen Abriss seines Lebens schildert, sondern auf fast jeder Seite gibt es zusätzlich z.T. Originalgetreue Nachbildungen von Eintrittskarten, Plakaten, handgeschriebene Songtexte usw. usw. als loses Beiwerk in ‚Taschen’, ‚Tüten’ und mehr.

So befindet sich z.B. bei dem Kapitel über den englischen Anti-Kriegsfilm „Wie ich den Krieg gewann“, in dem Lennon 1967 eine Rolle übernahm, zwei Seiten mit einem Artikel aus dem Magazin „Rolling Stone“, und in dem Kapitel „Give Peace a Chance“, wo es u.a. um das berühmte Bed-In in Amsterdam 1969 geht, finden wir den Reprint einer handgeschriebene Nachricht an die Welt: „Dear World. I think we should have peace. Why don’t we have it?…” Schön ist auch die Beilage, wo es über die etwas in Vergessenheit geratene Lennon/Ono-Aktion “Nutopia“ geht. Am 1.4.1973 erklärten die Beiden die Gründung von Nutopia auf einer Pressekonferenz, ein „konzeptuelles Land“ ohne Staatsgebiet, ohne Grenzen und ohne Pässe – nur mit Menschen. Als Beilage finden wir die „Flagge“ von Nutopia, ein 24 x 24 cm großes weißes Stofftaschentuch, sowie die maschinenschriftliche Deklaration von Nutopia. Dada lässt grüßen – aber mit politischen Anspruch.

Viele Dinge, die bei andere Menschen heute normal sind, gerieten zu seiner Zeit in die Schlagzeilen. Ob Lennon sich eine zeitlang nur noch um sein Kind kümmern wollte, oder der Beziehungsstress mit Yoko Ono – die allen Beatles-Fans zum Trotz – eine respektable Künstlerin ist, und mit Sicherheit positiven Einfluss auf John Lennon ausübte (nebenbei: Der Stress verursachte eine der schönsten Rock’n’Roll-Platten die Lennon eingespielt hat).

Eine CD liegt dem Buch auch bei, allerdings hauptsächlich mit Radio- und Fernseh-Interviews aus den Jahren 1972, 74 und 80, samt einer deutschen Übersetzung als Booklet. Als Bonbon gibt es „Imagine“ live in der „Mike Douglas Show“ vom 17.2.1972 gesungen.

Gut erinnern kann ich mich auch noch an die Weihnachts-Aktion der Beiden 1969, wo in elf Städten der Welt riesige Plakatflächen angemietet worden waren auf den mit großen Lettern stand „WAR IS OVER!“ und etwas kleiner darunter „If you want it“, sowie „Happy Christmas from John & Yoko“. Zuvor hatte John Lennon seinen Orden an die Queen zurückgegeben, den er 1965 mit den Beatles zusammen bekommen hatte, aus Protest u.a. weil Großbritannien die USA im Vietnam-Krieg unterstützte – und weil „‚Cold Turkey’ [Lennons erschütternder Songs über seinen Heroin-Entzug] in den Charts abrutscht“.
Nach der WAR IS OVER-Kampagne nahmen sie 1971 den Song „Happy Xmas (War is over)“ auf, um so die Aktion weiter am Leben zu erhalten und tatsächlich gehört heute dieser Song zu den „Weihnachts-Klassikern“, wenngleich vielleicht nicht immer die Botschaft so verstanden wird – eben genauso wenig, wie die christliche.

Die Tatsache, dass Lennon am 8.12.1980 in New York einem Attentat zum Opfer fiel, hat vielleicht wenig mit seinem politischen Engagement, oder seiner künstlerischen Vielfalt, oder gar seinem Versuch als „Star“ immer Mensch zu bleiben, zu tun, als vielleicht einfach mit einer immer mehr kontrollierten Musikbranche, die ihre „Stars“ zwar „Verschrobenheiten“ zubilligt, aber eben nur, wenn sie auch kommerziell und kontrolliert zu handhaben waren. Sein Tod ist bis heute ein großer Verlust – u.a. für die Musikbranche ebenso wie für die Friedensbewegung.

Gönnt Euch dieses Werk! Wem es zu teuer sein sollte – es ist jeden Cent wert – der oder die sollte dann eben jetzt die Zeit nutzen und sich das Buch vielleicht unter die Jahresendzeit-Tanne legen lassen. Ich bin froh, dass mit dem erscheinen des Buches für mich schon am 27. Oktober Weihnachten war, und ich somit am 24. 12. wunschlos glücklich bin. In diesem Sinne: WAR IS OVER! If you want it.

Jochen Knoblauch

James Henke: John Lennon – Die Legende
Goldmann Verlag München 2003, 62 Seiten im Schuber, Format 25,3 x 27,4 cm, zahlr. Abb., 49,90 Euro

| 23.12.03 16:20 | Permalink