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Chamäleon

[FAZ] Auch die Militärs wollen die Nanotechnik verstärkt nutzen
Von Manfred Lindinger

10. Dezember 2003 Der Soldat der Zukunft ist ein Alleskönner. Kugeln prallen an ihm ab. Ist er verletzt, heilt er sich selbst. Vor Minen und Kampfstoffen alarmiert sein Warnsystem. Über sechs Meter hohe Mauern springt er einfach hinweg. Ob Wüste oder dichter Dschungel, er kann sich wie ein Chamäleon an die Umgebung anpassen. Was nach Science-fiction klingt, ist auf dem besten Wege, Wirklichkeit zu werden.

Bessere Soldaten, effizientere Geschosse, neuartige Panzer und Flugzeuge soll jene Technik hervorbringen, die Strukturen und maßgeschneiderte Partikeln von weniger als hundert Nanometer Größe kontrolliert herstellen kann. Einen Einblick in die zum Teil schon erschreckend konkreten Entwicklungen konnte man vergangene Woche auf einer Tagung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin gewinnen.

Intelligenten Beschichtungen

Vor allem das amerikanische Militär zeigt sich von den Möglichkeiten der Nanotechnik fasziniert, die für immere schnellere Chips, leistungsfähige Datenspeicher und Sensoren, effiziente Fähren für Arzneien sowie hauchdünne Beschichtungen mit vielfältigen Eigenschaften sorgt. So erstaunt es nicht, daß Nanotechnik und Nanowissenschaften zu den sechs Forschungsbereichen zählen, die vom Pentagon als strategisch wichtig eingeschätzt werden. Nach Ansicht von Experten werden alle Bereiche der Kriegführung von den Entwicklungen profitieren. Dazu zählen in erster Linie Land- und Luftfahrzeuge, Aufklärungssysteme, Waffen und Munition sowie die Ausrüstung der Soldaten.

Insbesondere für Flugzeuge und Panzer sucht man festere und leichtere Werkstoffe, die herkömmlichen Stahl, Aluminium und Kunststoffe ersetzen.
Polymere, die mit Nanopartikeln verstärkt sind, Verbundwerkstoffe aus Nanoröhrchen und nanostrukturierten Keramiken sind erfolgversprechende Materialien. So sind die wenige Nanometer dünnen und einige Mikrometer langen Nanoröhrchen aus Kohlenstoff dreißigmal so hart wie Stahl, gleichzeitig ungewöhnlich elastisch. Intelligente Beschichtungen etwa durch funktionale Werkstoffe und nanostrukturierte Oberflächen eröffnen neue Wege in der Tarnung und Täuschung, da sie auf Knopfdruck ihre Farbe wie ein Chamäleon wechseln können oder Radarsignale weniger stark reflektieren.

Institute for Soldier Nanotechnologies

Die Nanotechnik wird auch die Waffentechnik beflügeln. Intelligente Suchköpfe verschaffen den Lenkflugkörpern einen höheren Autonomiegrad und eine bessere Treffergenauigkeit. Dazu sollen verbesserte Sensoren sowie die Erhöhung der Rechenleistung und der Speicherkapazität im Zuge der fortschreitenden Miniaturisierung beitragen. Bei den Geschossen könnten sowohl Geschwindigkeit als auch Durchschlagsfähigkeit durch neue nanostrukturierte Materialien erhöht werden. Konkrete Vorhaben arbeiten an ultrahartem nanokristallinem Wolfram, das die mit Uran angereicherte und deshalb umstrittene panzerbrechende Munition ersetzt. Nanoskalige Pulver eignen sich als Treibmittel und Sprengstoffe, denn die große Oberfläche der Partikeln erhöht die Energieausbeute und Explosionsgeschwindigkeit. Unklar ist dagegen, wie sich die Technik vom Kleinsten für den Bau von Massenvernichtungswaffen nutzen läßt.

Neue Entwicklungen bei den Werkstoffen, in der Informationstechnik und in der Biotechnik gehen auch nicht spurlos an den einfachen Soldaten vorbei. Ziel ist es, die Infanteristen mit zusätzlicher funktioneller Ausrüstung auszustatten, ohne dabei das Gewicht der Ausrüstung zu erhöhen. Über derartige Verbesserungen dürften sich selbst die kampferprobtesten Infanteristen freuen, schleppen sie doch im Schnitt rund 50 Kilogramm Material herum, was die Beweglichkeit und die Reichweite stark einschränkt. Nicht zuletzt zu diesem Zweck wurde vor etwa einem Jahr am Massachusetts Institute of Technology in Cambridge das "Institute for Soldier Nanotechnologies" gegründet, das in den kommenden fünf Jahren mit einer Förderung von 50 Millionen Dollar rechnen kann.

Nicht immer defensiver Natur

Man will dort einen leichten und dünnen Kampfanzug entwickeln, der nicht nur vor Projektilen schützt, sondern auch den Gesundheitszustand des Soldaten überprüft, mit anderen Soldaten kommuniziert und bei Bedarf die natürlichen Kräfte seines Trägers verstärkt. Ein künstliches Skelett, das sich auf Knopfdruck versteift und kaum zusätzliches Gewicht auf die Waage bringt, könnte dem Soldaten zusätzliche Kräfte verleihen, so daß die Reichweite größer wird. Sensoren und Kommunikationsmittel, Nachsichtgeräte, Funksprechanlagen, GPS-Geräte sollen künftig in die Uniform integriert werden.

Viele Entwicklungen sind eher defensiver Natur und schützen eher Leben, als es zu zerstören. Aber es gibt auch Ansätze, die utopisch und befremdlich anmuten, wie den intelligenten Staub, der einmal unbemerkt hinter der Front abgeworfen, sich jederzeit zu einer autonomen Wolke selbstständig zusammenschließen kann, um Attacken auszuführen oder als Sensor zu spionieren. Oder Fliegen, die, mit Mikrochips ferngesteuert, in den entlegensten Winkel gelangen können, um dort beispielsweise Giftstoffe freizusetzen. Da ist es nur ein kleiner Schritt zu den intelligenten Assemblern von Eric Drexler. Sollte es soweit kommen - die Machbarkeit einmal außer acht gelassen -, hätte das gravierende politische Konsequenzen. Doch schon jetzt scheint sich die Rüstungsspirale unaufhaltsam weiterzudrehen.

Quelle:
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.12.2003, Nr. 287 / Seite N1

A.S.H. | 10.12.03 13:40 | Permalink