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Britische Geheimdienste und Autobomben in Irland

Am Mittwoch, den 10. Dezember 2003, wird das "Joint Committee on Justice, Equality, Defence and Women" des irischen Parlaments den offiziellen 300seitigen Untersuchungsbericht des Richters Henry Barron veröffentlichen. Richter Barron hat die Planung und den Tathergang der Bombenanschläge der nordirischen, loyalistischen Terrororganisation Ulster Volunteer Force (UVF) vom Mai 1974 untersucht. Am 17. Mai 1974 ­ in Nordirland befand sich der loyalistische Ulster Workers Council im Ausstand gegen das Sunnigdale-Abkommen, das eine paritätisch besetzte nordirische Versammlung vorsah ­ explodierten in Dublin drei Autobomben, dreißig Minuten später ging in Monaghan eine weitere Autobombe hoch. 33 Menschen wurden getötet, 240 verletzt. Es war der schwerste Anschlag der sogenannten "Troubles".

Der Barron-Bericht sollte bereits zu einem früheren Zeitpunkt veröffentlicht werden, wurde aber zurückgehalten, um die Wahlen zum nordirischen Regionalparlament nicht zu beeinflussen, sprich der irisch-republikanischen Partei Sinn Feín nicht noch mehr Wähler zuzuführen.
In früheren Untersuchungen der Anschläge, wie etwa durch Yorkshire TV, durch die Menschenrechtsorganisation British Irish Rights Watch oder den Journalisten Don Mullan wurde bereits ebenso auf eine Zusammenarbeit von britischen Geheimdiensten und der Special Branch der nordirischen Polizei, der Royal Ulster Constabulary (RUC), mit der UVF verwiesen wie durch ehemalige britische Militärs. Mullan schrieb in seinem Buch The Dublin & Monaghan Bombings: »Die vermutete Unterstützung der loyalistischen Paramilitärs durch den britischen Geheimdienst bei der ohne Vorwarnung erfolgten Plazierung der Bomben stellt, was die Implikationen betrifft, den Blutsonntag von Derry des Jahres 1972 in den Schatten.«
Die schottische Zeitung Sunday Herald (07.12.03) berichtete, sie kenne die Namen der an den Anschlägen beteiligten Loyalisten. Vier davon seien Soldaten des Ulster Defence Regiments (UDR) gewesen, der nordirischen Einheit der britischen Armee, diese könnten aber nur als Mr. H, Mr. B., Mr. J. und Mr. M. identifiziert werden. J, H und M hätten entweder für den britischen Geheimdienst oder für die Special Branch der RUC gearbeitet. Gleiches gelte auch für einen Mr. D. Eine Gruppe von Undercover-Spezialisten des britischen Eliteregiments SAS habe M, B und J vor und nach den Bombenanschlägen »geführt«. Zudem habe ein früherer RUC-Offizier ausgesagt, ein namentlich bekannter UDR-Captain habe den Sprengstoff für die Anschläge beschafft. Die Bomben waren höchst professionell gebaut, so dass irische und englische Experten zu dem Schluß kamen, dass die Anschläge nicht allein das Werk der UVF gewesen sein konnten, da die über das entsprechende Know-how nicht verfügt habe. Laut Sunday Herald waren mindestens vier britische Geheimdienstler sowie ein RUC-Spezialist an der Vorbereitung der verheerenden Anschläge beteiligt. Nachdem die irische Polizei an den Tatorten gefundenes Material zur forensischen Untersuchung an die RUC weitergeleitet hatte, soll ein britischer Geheimdienstler, der an der Planung der Mordanschläge beteiligt gewesen sei, ein paar Tage lang mit der Spurenauswertung betraut gewesen sein.
Es dauerte vier Jahre bis der Barron-Bericht fertiggestellt werden konnte, da, die britischen Behören, so der Irish Independent (08.12.03), Anfragen und Hilfeersuchen stets nur schleppend bearbeitet hätten. Im Mai hatte sich Irlands Premier Bertie Ahern beklagt, er sei nach Gesprächen mit der britischen Regierung über geheimdienstliche Angelegenheiten stets weniger schlau als vorher. Tony Blair, militärisch stets an vorderster Front, wenn es gegen »Schurken« geht, hatte Ahern jedoch »persönlich garantiert« (The Blanket, 29.5.03), seine Regierung werde Barron alle wichtigen Beweismittel, über die der britische Staat verfügt, zur Verfügung stellen.
Die Veröffentlichung des Barron-Berichtes wird sich negativ auf die diplomatischen Beziehungen zwischen der Republik Irland und Großbritannien auswirken, sollte der Verdacht der Beteiligung britischer Geheimdienstler an den Anschlägen und somit »eine kriegerische Handlung gegen einen befreundeten Staat« (Sunday Herald) bestätigt werden. Im Interesse der Angehörigen der Opfer wird aber zu fragen sein, ob die irische Regierung in der Vergangenheit tatsächlich alles in ihrer Macht Stehende unternommen hat, um die Anschläge von Dublin und Monaghan aufzuklären.

Jürgen Schneider

A.S.H. | 09.12.03 23:32 | Permalink