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Endlich: Strafanzeige gegen Czaja, Allert und Co.

„Vor dem Berliner Landesamt für Gesundheit herrschen seit Monaten Zustände wie in Flüchtlingslagern in Kriegsgebieten.“ So eröffnete die TV-Sendung „Kontraste“ am 19.11.2015 ihren Fernsehbeitrag (immer noch abrufbar unter rbb).
Für Berlin stimmt dieser Satz jedoch nicht ganz. In den Krisengebieten der Welt sind in der Regel internationale Flüchtlings-Organisationen tätig, die sich durch Professionalität auszeichnen und Kompetenz im Krisenmanagement besitzen. In Berlin ist die Situation aber von Inkompetenz und Arbeitsverweigerung gekennzeichnet, sonst hätten sich die „Zustände“ längst geändert, denn Kritik und ganz konkrete Forderungen an die politisch Verantwortlichen sind seit Monaten formuliert und bräuchten nur systematisch abgearbeitet werden. Passiert ist tatsächlich nichts oder überdeutlich zu wenig.

Czaja, Senator für Gesundheit und Soziales schon im desaströsen Wowereit-Senat, wird in CDU- und SPD-Kreisen als zukünftiger Regierender Bürgermeister von Berlin gehandelt. Wir nehmen an, nur deshalb sitzt er heute immer noch auf seinem Ministerstuhl. Er wäre natürlich als Regierender Bürgermeister ein würdiger Repräsentant des CDU-SPD-Provinz-Sumpfes des Landes. Möglicherweise wird ein nun gestellter Strafantrag gegen ihn zum Schleudersitz oder mindestens einer Karrierebremse.

Die Strafanzeige wurde durch mehr als 40 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte bei der Berliner Staatsanwaltschaft gestellt.
Den Berliner Politikern und Verwaltungsbeamten wird Körperverletzung im Amt und Nötigung vorgeworfen. Seit Monaten handeln sie gegen geltendes Recht. Für Czaja sind Flüchtlinge kein Thema, zumindest nicht auf seinem persönlichen Internet-Blog.

In der alten Frontstadtpostille „Berliner Morgenpost“ (bis 2014 im Axel-Springer-Verlag) heißt es: „Czaja reagierte auf die Klage mit Unverständnis. Diese sei nicht zielführend. [Fett-Setzung nicht im Original] "Es wird alles Mögliche getan, um die Situation der Flüchtlinge am Lageso zu verbessern.“ … sagte Czaja am Montag. … Die Initiative "Moabit hilft" hält die Klage gegen Czaja für mehr als gerechtfertigt. "Das war längst überfällig", sagte Sprecherin Diana Henniges, "was die Landespolitik hier macht, ist unterlassene Hilfeleistung." … Seit Monaten steht Czaja wegen der Situation am Lageso in der Kritik. Die Liste der Vorwürfe ist lang: zu wenig Personal, fehlende Sicherheit für die Flüchtlinge, mangelhafte Verwaltung. Zudem sitzt die Behörde auf nicht gezahlten Rechnungen, die sich auf mindestens 200 Millionen Euro belaufen.“
Zur Initiative „Moabit hilft“ und weiteren links s. ostblog-Jetzt reicht es!
Zu den „Zuständen“ s. auch ein „Spiegel-online“-Bericht: "Ist ja wohl kein Zustand hier" (beachte: Kolumne im Bereich „Kultur“, nicht „Politik“.

Warum der derzeitige Regierende Bürgermeister von Berlin von der Strafanzeige ausgenommen wurde, erschließt sich uns nicht, da er der verantwortliche Vorgesetzte der beteiligten Politiker und Verwaltungsbeamten ist und ebenfalls schon lange aufgefordert wurde, für funktionierende Strukturen und Prozesse rund um die Registrierung, Unterbringung und Versorgung von geflüchteten Menschen zu sorgen (s. auch die Petition auf change.org).
Müller und Czaja glaubten wohl tatsächlich, den Vorwürfen durch die Erlassung eines neuen Gesetzes zur Schaffung eines „Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten“ entkommen zu können.
In den Forderungskatalogen an die Verantwortlichen war nicht die Aufgabe beschrieben worden, Papier „voll zu pinseln“ und ein neues Gesetz zu erlassen, sondern geltende Gesetze und Vorschriften endlich einzuhalten!

Uns beschäftigten im Kontext noch folgende Fragen (jedoch nur kurz):
Sollten diese politischen „Führungskräfte“ in Projekt-, Change- und Konflikt-Management geschult werden? Sollten sie Büchergeld erhalten, damit sie sich belesen können, was diese Begriffe eigentlich bedeuten?
Warum bemühen sich Menschen überhaupt um Positionen, deren Anforderungen sie nicht gewachsen sind?
Viel wichtiger erscheint uns aber auch noch folgende Frage, weil sie das dahinterstehende System einbezieht:
Wer wählte sie aus und welche Kriterien und Motivationen lagen für diese Auswahl vor?
Womit wir wieder am Ausgangspunkt, dem Berliner Parteien-Mief, wären.

Der „Kontraste“-Beitrag verschwindet möglicherweise irgendwann aus der rbb-Mediathek, deshalb hier gekürzt der wesentliche Inhalt:

Frieren, hungern, warten - Wie Politiker und eine unfähige Verwaltung das Flüchtlingselend in Berlin fördern

Vor dem Berliner Landesamt für Gesundheit herrschen seit Monaten Zustände wie in Flüchtlingslagern in Kriegsgebieten.

Kinder und Kranke warten auf Termine, schon morgens um vier. Neue Flüchtlinge versuchen sich registrieren zu lassen, andere brauchen ärztliche Hilfe und Medikamente. … in der Hauptstadt Berlin herrschen vor dem größten Flüchtlingsamt der Stadt unfassbare Zustände … Berlin – kurz vor 4 Uhr morgens: Hunderte Flüchtlinge harren in der Kälte aus. Wer um diese Uhrzeit nicht hier ist, hat wenige Chancen, heute noch bei der Flüchtlingsbehörde dran zu kommen. Auch Familien mit Kindern müssen im strömenden Regen anstehen.

O-Ton Flüchtling: "Wir dürfen die Kinder nicht alleine in der Asylunterkunft lassen, der Heimleiter hat gesagt, wir sollen sie mitnehmen."

Schon vier Tage steht die Familie geduldig jeden Morgen an … Als das Tor geöffnet wird, ist der Druck der vielen Menschen zu groß, die Situation gerät außer Kontrolle.

… "Jeden Tag sagen zu mir: morgen, morgen, morgen. Warten, tut mir Leid, morgen. … 20 Stunden bin ich hier jeden Tag in Lageso."

Das Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales – kurz Lageso – ist zuständig dafür, dass Flüchtlinge registriert werden, Geld zum Leben und eine Unterkunft haben sowie medizinische Versorgung erhalten. …

Die Terminvergabe ist katastrophal – viele zeigen uns Zettel mit 9-Uhr-Terminen – die aber wertlos sind. Andere haben zwar Wartenummern – aber es werden am Tag viel mehr herausgegeben als Fälle bearbeitet werden können. Die Security draußen verliert den Überblick - es ist das reinste Chaos. …

O-Ton Irakische Frau: "Wir sind etwa zwei Stunden unterwegs gewesen, damit wir pünktlich hier sind und jetzt warten wir immer noch. Mein Ehemann ist sehr krank und ich kann einfach nicht mehr." …

Seit Monaten herrschen solche Zustände vorm Berliner Flüchtlingsamt. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) schiebt die Verantwortung auf seinen Sozialsenator Mario Czaja (CDU) ab – und der reicht sie weiter nach unten. Der Präsident vom Lageso räumt ein, dass die Situation verbessert werden müsste – aber es fehle an Räumlichkeiten und am Personal.

O-Ton Franz Allert, Präsident Lageso: "Trotz erhöhter Einstellungen fehlt uns nach wie vor qualifiziertes Personal und unser Appell geht ja immer wieder an die politisch Verantwortlichen, hier noch zusätzliches Personal zu genehmigen, damit hier auch eine nachhaltige Verbesserung der Situation erfolgen kann."

Aber für die mangelhafte Organisation – die unverlässliche Terminvergabe - ist die Behörde selbst verantwortlich.

… Hamburg kriegt das geregelt, München, Passau, alle anderen. Und Berlin?

… Um ein Uhr nachts kommt diese Familie, um sich anzustellen. Das Lageso hatte sie zunächst in einem Hostel untergebracht. O-Ton Wolfram Geisenheyner, Ehrenamtlicher von "Moabit hilft": "Die sind mittlerweile 12 Tage obdachlos. Der Hostel-Gutschein war für knapp einen Monat ausgestellt, ist … am 4.11. abgelaufen. Und seitdem bemühen sie sich … eine Verlängerung zu erreichen."

Um zwei Uhr kommen immer mehr Frauen mit Kindern, um in der Kälte zu warten. Das beheizte Zelt steht leer, aber sie dürfen nicht rein.
Quelle: rbb

david | 08.12.15 22:56 | Permalink