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Mehr verdienen, weniger kriegen

Von Jenz Steiner

Heute ist Equal Payday. Bis heute müssten Frauen in Deutschland über Silvester hinaus theoretisch arbeiten müssen, um auf das gleiche Geld zu kommen wie Männer. Dabei sichern Grundgesetz und Grundrechte-Charta der Europäischen Union beiden Geschlechtern gleiche Rechte und gleichen Lohn zu. In einem Staat, der Diskriminierung verbietet, müsste Gleichbehandlung eine Selbstverständlichkeit sein. In Wirklichkeit verdienen Frauen 22 Prozent weniger als Männer. Das hat das Statistische Bundesamt errechnet. Diese geschlechterabhängige Verdienstkluft nennen die Statistiker Gender Pay Gap. Das Amt befragt vierteljährlich 40.000 Betriebe nach Anzahl der Voll- und Teilzeitbeschäftigeten, nach Arbeitszeiten und Brutto-Verdienstsummen.

Es gibt zwei Arten von Statistik-Kluften, die unbereinigte Kluft zeigt den Wert unabhängig von Beruf, Qualifikationen und den Umfang der Beschäftigung. Danach verdienen Männer 22 Prozent mehr als Frauen. Die Faktoren erklären eine unterschiedliche Entlohnung nur teilweise. Nach Abzug dieser Faktoren beträgt die Kluft immer noch sieben Prozent.

Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut der Hans-Böckler-Stiftung hat dazu in einer nicht repräsentativen, freiwilligen und anonymen Online-Umfrage 20.000 Vollbeschäftigte befragt und sich dabei auf einzelne Branchen wie das Versicherungswesen und Bankenwesen konzentriert. Bei den Versicherern verdienen Frauen 28 Prozent weniger, bei den Banken knapp 20 Prozent weniger als ihre Kollegen. Mit etwa sechs Prozent sind unter Erziehern, Informatikern und Marketing-Experten die Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern deutlich geringer, doch immer noch beachtlich.

Lohndiskriminierung ist eines der ältesten Themen der Frauenbewegung. In den Massenmedien taucht es hingegen nur von Zeit zu Zeit auf. Etwa 2012, als zuerst ausgerechnet „Der Spiegel“ über unfaire Bezahlung beim Schuh- und Sandalenhersteller Birkenstock. Die Frauen im Betrieb bekamen 1,14 Euro weniger pro Stunde als die Männer. Begründung: Frauen können nicht so schwer heben. Über 100 Verfahren wegen Lohndiskriminierung sind noch immer im Arbeitsgericht in Koblenz anhängig. Für die Birkenstockgruppe sind das Altlasten aus der fernen Vergangenheit. Erst seit 2013 zahlt der Latschenproduzent gleichen Lohn für verschiedene Geschlechter.

Interessant sind die Reaktionen der Politik auf das Thema Lohndiskriminierung.
„Nein, Frauen verdienen nicht für die GLEICHE Arbeit 22% weniger. Sonst würde sich ja die Frage stellen, warum nicht mehr Unternehmen nur Frauen beschäftigen, um 22% Lohnkosten zu sparen?!“, schreibt CDU-Politkerin Kristina Schröder auf ihrer Facebook-Seite. Im gleichen sozialen Netzwerk schreibt der Grünen-Politker Wolfgang Strengmann-Kuhn „Die Aussage "Frauen verdienen 22% weniger" ist doppelt falsch. 1) Der Einkommensunterschied ist deutlich größer, weil sich die 22% auf den Stundenlohn beziehen. 2) verdienen Frauen nicht weniger, sondern Frauen verdienen mehr!“. Die SPD ist auf Kuschelkurs mit dem Thema Lohngerechtigkeit. In Zeiten, in denen die Partei deutlich unter mangelndem Zuspruch und Image-Verlusten zu leiden hat, scheint das auf den Weg gebrachte Entgeltgleichheitsgesetz ein passender Rettungsanker zu sein. Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig und Fraktionschef Thomas Oppermann halten heute bei einer Kundgebung am Brandenburger Tor in Berlin große Reden dazu.

Treffend beschreibt die Feministin Laurie Penny in ihrem neuen Buch "Unsagbare Dinge - Sex, Lügen und Revolution" den Zustand: „Wir können alles haben, was wir wollen, solange wir ein Leben wollen, in dem wir Kräfte zehrende Arbeit verrichten, die für die Meisten von uns nicht genug Geld einbringt, Sachen kaufen, die wir nicht brauchen und soziale und sexuelle Regeln befolgen, die unter den dicken Schichten aus Kitsch und Werbung so starr sind wie eh und je.“

A.S.H. | 20.03.15 15:23 | Permalink