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“Ich hätte ihn gern hier gehabt”

Im Labyrinth des Schweigens (Regie: Giulio Ricciarelli)

Von Angelika Nguyen

Das sagt Fritz Bauer, 1960 hessischer Generalstaatsanwalt, in einer Szene des Films, als ihm der befreundete israelische Journalist die Nachricht von der Entführung Adolf Eichmanns nach Israel überbringt. In diesem einen schlichten Satz ist das politische Anliegen des Juristen Fritz Bauer enthalten: er wollte, dass deutsche Naziverbrecher unter deutscher Anklage vor deutsche Gerichte kommen. Ein Volk solle Gericht über sich selbst halten. Das war Bauers große Vision. Der konspirativ gehaltene Dialog zwischen dem Israeli und dem Deutschen jüdischer Herkunft illustriert den damaligen fatalen Zustand deutschen Rechtsvorgehens in der Frage um deutsche Naziverbrechen, erst recht darum, was die Deutschen in Auschwitz errichtet hatten: eine Mordfabrik.
Der Israeli antwortet: “Wenn ihr es nicht tut, müssen wir es tun.” Ein trefflicher Kommentar zum Eichmann-Prozess in Jerusalem.
Der Film bringt all dies zur Sprache: dass die Ergreifung vieler, auch prominenter SS-Täter wie Josef Mengele im deutschen Rechtssystem Ende der 50iger Jahre “tabu” ist, dass “der neue Feind” längst nicht mehr deutsche Nazis, sondern “die Russen” sind. Kanzler Adenauer selbst, wird zitiert, hat bereits verkündet, dass ein Schlussstrich gezogen werden müsse unter diese Vergangenheit.

Jedoch ist der Film kein politisches Pamphlet, er erzählt den Hergang der Auschwitzprozesse als Geschichten von Figuren, erfundenen und realen. Der Prolog ist spannend: An einem sonnigen Tag in Frankfurt am Main will ein Mann eine rauchen und bekommt Feuer angeboten von einem Schulhof aus, ein Lehrer reicht es ihm durch den Zaun, da sieht der Mann die verkrüppelte Hand des anderen und erschrickt, taumelt zurück, alles rutscht ihm aus der Hand.
Seine Erinnerung muss furchtbar sein.
Nach dem Vorspann geht es dann ganz woanders weiter, im Frankfurter Gericht, wo der ehrgeizige junge Staatsanwalt Johann Radmann gerade ein Plädoyer gegen Mord hält. Aber, wie sich herausstellt, leider nur vor dem Spiegel im Waschraum, denn in Wirklichkeit ist Radmann für Verkehrsdelikte zuständig.
Dann tauscht der hübsche Radmann mit einer hübschen Verkehrssünderin, die er abzuurteilen hat, gewisse Blicke, ganz im Stil einer Unterhaltungskomödie jener Zeit. Der Film, sieht man jetzt an der liebevollen, stets etwas zu unbenutzt aussehenden Ausstattung, spielt in den 50igern: Spitz-BHs, Petticoat-Röcke, eine bestimmte Art Make up, viel flotte Musik aus Taschenradios und wirtschaftswunderliche Aufbruchstimmung. War was?
Diesen Bonbonrausch der Sinne stört das zornige Gesicht des Journalisten Thomas Gnielka, der plötzlich im Gerichtsgebäude steht und – da ist die Verbindung zur Prologszene – den jungen Staatsanwälten ein Papier unter die Nase hält und ihnen sagt, dass ein ehemaliger SS-Wachmann aus Auschwitz von dem Überlebenden Simon Kirsch erkannt worden ist und als Lehrer in einer Schule arbeitet.
Auschwitz? fragt Radmann. Was ist das? Und Gnielka, unduldsam, erklärt es nicht, sondern sagt, es sei eine Schande, DAS nicht zu wissen.
Radmann, immer noch in der Haltung des munteren Unwissenden, wittert seinen ersten “Mordfall”. Das ist ein schöner Anfang für ein Kinodrama.
Es folgt der Weg der Erkenntnis für Radmann, den Jagdfieber ergreift, je mehr er erfährt, was in Auschwitz geschehen sind. Dann wird Radmann Fritz Bauer vorgestellt. Bauer, der als Initiator der Prozesse gilt, wirkt hier wie eine Eminenz im Hintergrund, lässt die Jungen agieren, ernennt Radmann zum Leiter der Ermittlungen. Als Radmann im Archiv für Naziverbrechen den zuständigen amerikanischen Major um Akten über Auschwitz bittet, grinst der nur und zeigt ihm kilometerlange Regale: “Die Idioten haben alles aufgeschrieben.” Das und viele Szenen der Befragung von Überlebenden und Verdächtigen, des Abtippens, des Herumreisens und der systematischen Durchforstung bundesdeutscher Telefonbücher geben eine Ahnung von dem Marathon akribischer Kleinarbeit, der den Prozessen voraus gegangen ist – gegen den Widerstand der Behörden. Als Radmann von Simon Kirsch erfährt, was der KZ-Arzt Josef Mengele in Auschwitz mit den Kindern getan hat, verlegt er sich immer mehr auf die Verfolgung dieses einen Nazis. Er träumt von ihm, wacht verschwitzt auf, will ihn in Südamerika festnehmen lassen. Die BKA-Beamten sehen ihm nur frech ins Gesicht. “Südamerika ist weit weg.”
Den Kampf um die Auschwitz-Prozesse als deutschen Bildungsroman zu zeigen, als Coming-of-Age-Story, Radmanns Unbedarftheit zu Beginn, seine Wandlung durch Erfahrung, Erschütterung, Verwirrung, auch die Selbstentdeckung als Sohn eines Nazis, seine Reife schließlich, das ist eine schöne Idee des Films.
Während jedoch die Konflikte der juristischen Kollegen sich gut erzählen lassen, die Sympathie zwischen Bauer und Radmann nachvollziehbar ist und so etwas wie Liebe von Gnielka und Radmann für Simon Kirsch entsteht, sind die Lovestory zwischen Radmann und Marlene und die Partyszenen merkwürdig hölzern. Beim Sex muss sie sagen: “Das Leben ist schön.”. Am Morgen danach: sie allein im Bett, Johann halbnackt auf dem Fensterbrett, schon wieder Ermittlungsakten lesend. Das soll sagen etwas Ernstes (die Auschwitz-Sache lässt ihn nicht los), wirkt aber komisch (so schön wars wohl doch nicht).
Breit ist das Figurenensemble, das Mehrperspektivität in die Sache bringt, und von Schauspielern eindringlich gespielt.
Johannes Krisch als Simon Kirsch zum Beispiel spielt die vielleicht bewegendste Szene des Films als inneres Drama, als er Radmann und Gnielka erzählt, wie er unwissend seine kleinen Zwillingstöchter dem Sadisten und Mörder Mengele überließ und wie ihn Schuldgefühle nie mehr verließen. Wie Gnielka (André Szymanski) den Aufgelösten dann hält, umschließt mit seinen Armen, fest schützend wie eine Höhle, das ist direkt und stark erzählt.
Hansi Jochmann wiederum zeigt die Sekretärin Schmittchen mit meisterlicher Trockenheit – und die Verwandlung der pflichtbewussten Assistentin, die die erste Zeugenbefragung so sehr erschüttert, dass sie fortan zur treuen Mitstreiterin wird. Alexander Fehling, der 2007 als Zivi in “Am Ende kommen Touristen” schon mal nach Auschwitz kam, spielt den Johann Radmann zurückhaltend und intensiv, macht den Kampf dicht unter der Oberfläche sichtbar.
Mit einsamer Autorität indessen und einem gewissen müden Leuchten stattet Gert Voss seinen Fritz Bauer aus, lässt in wenigen Auftritten eine besondere Persönlichkeit spüren, eine leise starke Vorstellung ohne viel Worte.
Die vielfache Anfeindung, die Bauer im Nachkriegsdeutschland erfahren hat, wird hier kaum thematisiert, symbolisiert nur in einem Pflasterstein, der durchs Fenster fliegt.
Der Film ehrt Fritz Bauer in dieser Sparsamkeit, zugleich im Gedenken an Gert Voss, der die Premiere nicht mehr erlebte.

Als sich am Schluss die Türen zum 1. Auschwitz-Prozess schließen, möchte man weinen vor Genugtuung, bis man erfährt, dass da gerade mal 22 von 8200 Diensthabenden des KZ Auschwitz vor Gericht standen, dass da kaum einer wegen Mordes und schon gar nicht lebenslänglich hinter Gitter kam. Und dass das vielen Deutschen schon zu viel war.

Das zu erzählen in einem Spielfilm, ist wichtig genug. Trotzig lief er nahe dem gut gelaunten Bürgerfest zum Mauerfall am Potsdamer Platz. Am 9.November.

A.S.H. | 17.11.14 13:58 | Permalink