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Das Sun Ra Arkestra beim Moers Festival 2014

von Jürgen Schneider


In some far off place
Many light years in space
I'll build a world of abstract dreams
And wait for you
– Sun Ra


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Sun Ra (Foto: Student Affairs, Columbia)

Am 22. Mai 2014 wäre der avantgardistische Jazzkomponist und –musiker Sun Ra hundert Jahre alt geworden. Als Herman Poole Blount kam er 1914 in Birmingham, Alabama, zur Welt. In den Südstaaten wurde er früh mit dem Rassismus konfrontiert, musste in Clubs hinter dem Vorhang spielen, weil die Clubbetreiber ihrem Publikum keinen »Nigger« zumuten wollten. Herman nannte sich seit den 1950er Jahren Sun Ra (Ra ist der Name des ägyptischen Sonnengottes). Sun Ra starb im Mai 1993.

Der Wegbereiter des Free Jazz, der zunächst in der Tadition von Vaudeville, Swing und der Show Clubs von Chicago stand, war die Antithese zum sanften, kommerzialisierten Studienrat-Jazz, seit sich in den 1950er Jahren sein Cosmic Jazz herausgebildet hatte. Sun Ra war einer der ersten Musiker, die mit einem Moog-Synthesizer experimentierten. In den späten 1930er Jahren hatte er das Sonny Blount Orchestra geleitet und in den späten 1940er Jahren in Chicago mit Bluessängern, mit dem Bandleader Fletscher Henderson, mit dem Saxophonisten Coleman Hawkins und dem Violinisten Stuff Smith musiziert. In Chicago trat Sun Ra mit dem Space Trio auch unter seinem eigenen Namen auf. 1961 zog es ihn nach New York.
Im Laufe seiner Karriere nahm Sun Ra hunderte Alben auf, von denen viele jedoch auf winzigen Plattenlabeln veröffentlicht und daher nur in kleinen Auflagen vertrieben wurden. Er veröffentlichte seine Musik zeitweilig auf seinem eigenen Label ›Saturn‹ und vertrieb sie über Mailorder, was für die damalige Zeit außergewöhnlich war. In den 1990er Jahren wurden viele seiner Aufnahmen zum ersten Mal postum auf CDs beim Plattenlabel Evidence veröffentlicht.
Am College, so Sun Ra, sei er eines Tages von Außerirdischen entführt worden, die ihm mit der Mission beauftragt hätten, auf der Erde Harmonie zu stiften. Sun Ra, der im Zweiten Weltkrieg den Dienst mit der Waffe verweigert hatte und deswegen im Gefängnis gelandet war, trat fortan als Friedensbotschafter auf, kultivierte einen kosmischen Mystizismus, hielt astrologische Predigten und gab bis zu seinem Tode an, er stamme nicht von der Erde, sondern vom Planeten Saturn. In dem Film »Space ist the Place« aus den frühen 1970er Jahren schießt Sun Ra in einem von seiner Musik angetriebenen Raumschiff durch die Gegend und kämpft gegen das FBI, die NASA und andere Schurkenvereinigungen. Bereits 1956 hatte Sun Ra erklärt: »In der Welt von morgen werden die Menschen keine künstlichen Instrumente, wie Düsen oder Raumschiffe, mehr benötigen. In der Welt von morgen wird der neue Mensch den Ort, an dem er sein möchte ›denken‹, und sein Geist wird ihn hinbringen.«
Seit den 1960er Jahren besuchten Sun Ra und sein »Arkestra« das All nicht nur, sondern erkoren es zu ihrem permanenten Wohnsitz. Sun Ra verstand sein Arkestra als Verbindung von Arche und Orchester. Die Musik wurde andersweltlich, atonal, Sun Ra hatte seine exzentrische Big Band zu einem Improvisationsensemble geformt, das Experimenten verpflichtet war. Sun Ra wurde zum »Philosophenkönig der Afro-Psychedelia« erklärt, zum Protagonisten des Afro-Surrealismus und Afro-Futurismus. Die Besetzung seines Arkestras wechselte ständig, und auch dessen Name änderte sich häufig, mal hieß es nur Sun Ra Arkestra, dann Astro-Infinity- oder Solar-Myth-Arkestra.
Die bemerkenswertesten Mitglieder des Arkestras waren die Saxophonisten John Gilmore, der John Coltrane beeinflusste, und Marshall Allen, der im Alter von 90 Jahren das Arkestra heute noch leitet. Gilmore erklärte einmal: »Sun Ra war der erste, der mich in höhere Formen der Musik eingeführt hat, über Bird (Charlie Parker) und Monk (Thelonius Monk) hinaus. Es ist unglaublich, dass einer gemeinere Intervalle schreiben konnte als diese Jungs, doch er tat es. ... Ich habe in den ersten neun Monaten bei Sun Ra mehr gelernt als in meinem ganzen Leben, nicht nur, was die Musik betraf, sondern auch die Philosophie und das Leben im allgemeinen. ... Er hat mein Leben verändert.«

Pfingstmontag 1979: Im Freizeitpark von Moers zieht ein Gewitter herauf. Alle warten auf den Auftritt des legendären Sun Ra. Seine Musiker kommen einzeln auf die Bühne und fügen sich in den Klangteppich ein, der die Ankunft des Mannes vom Saturn vorbereitet. Als Letzter erscheint er dann, Sun Ra, bekleidet mit einem roten Glitzercape. Und just in dem Moment, als er seine Arme beschwörend zum Himmel erhebt, setzen Blitz und Donner und es fängt an zu gießen. Das Publikum ist begeistert.
Wenn am 7. Juni um 22 Uhr 45 das Sun Ra Arkestra beim diesjährigen Moers Festival (06.-09.Juni 2014) zu hören sein wird, muss das Publikum nicht fürchten, nass zu werden, wenn es regnet, denn das Festival findet erstmals in einer eigens dafür errichteten Halle statt. Das Sun Ra Arkestra wird in der folgenden Besetzung auftreten: Marshall Allen_sax, fl, Chef, Fred Adams_tp, Michael Ray_tp, Dave Davis_tb, Noel Scott_voc, sax, Yah Yah Abdul-Majid_sax, Danny Ray Thompson_sax, Farid Barron_p, Dave Hotep_git, Juini Booth_b, Wayne Anthony Smith jr._dr und Elson Nascimento_perc.

Außerdem werden im niederrheinischen Städtchen Moers zu hören sein: Der begnadete Gitarrist Marc Ribot, der es auch wegen seines Zusammenspiels mit John Zorn zu einiger Berühmtheit brachte . Er wird »Protest Songs« zum Vortrag bringen, Protestsongs gegen Kapitalismus und Staat, gegen die Postmoderne, gegen Technologie sowie gegen die Natur als solche wie gegen die eigene Natur.
Der Gitarrist Arto Lindsay, bekannt aus seinen Noise-Zeiten in New York, von seinen Auftritten mit Heiner Müller und als Verfremder brasilianischer Rhythmen, trifft auf den norwegischen Schlagzeuger Paal Nilssen-Love. Die beiden lernten sich im Juli 2013 in Rio de Janeiro kennen, sagten sich kurz »Hello« und legten im Audio-Rebel-Club einen 35-Minuten-Set hin, der alle von den Stühlen riss. Nilssen-Love wird zudem mit seiner im letzten Jahr gegründeten »Large Unit« auftreten, die aus jungen norwegischen Musikern besteht.

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Fred Frith am Klavier, Moers, 2013 (Foto: Uta Baatz)

A.S.H. | 22.05.14 19:28 | Permalink