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Nachteile einer wahren Lebensgeschichte

Dallas Buyers Club, Regie: Jean-Marc Vallée

Von Angelika Nguyen

Das ist gemein. Da haben Matthew McConaughey und Jared Leto sich nach der guten alten Method -Acting - Methode zu den reinsten Skeletten runtergehungert, um die beiden Aids-Kranken und ungleichen Geschäftspartner Ron Woodroof und Rayon zu verkörpern, und dann geht die Rechnung doch nicht auf. Der Film gönnt ihnen einfach nicht das intensive Drama, das ihre sorgfältige physische und sicher auch mentale Vorbereitung verdient hätte.

Dabei fängt alles so gut an. Im Trubel einer texanischen Rodeo-Arena hat der zugekokste Buchmacher Ron Woodroof 1985 in einer Pferde-Box Sex mit gleich zwei Frauen. Woodroofs Welt, zeigen die ersten Minuten des Films, ist konservativ und roh: wild gemachte Tiere, leichte Frauen, harte Männer. Seine Kumpels aus dem Trailerpark: simple Typen mit beschränktem Horizont - wie er. Da bricht Ron Woodroof zusammen und wacht im Krankenhaus wieder auf. Diagnose: HIV-positiv. Woodroof hat Aids im letzten Stadium, Prognose: noch 30 Tage Leben.
Fast geht Woodroof dem Arzt an die Gurgel, weil der ihn fragt, ob er homosexuell ist. Einen echten Rodeo-Typen fragt man so was nicht. Woodroof hat den testosteron-geladendsten Cowboy- Stolz der Welt und addiert ihn noch mit Homophobie, das ergibt eine Menge Aggression. Dabei sieht Woodroof genauso aus wie seine Diagnose: ausgemergelt, faltig, fahl. Aber er glaubt es nicht. So macht er erst mal weiter wie bisher, bis zum 28. Tag. Er säuft und kokst und holt sich Frauen, bis er plötzlich nicht mehr kann. Der mitleidige, spöttische Blick der Frau, die ihm die Hose geöffnet hat, macht ihm schlagartig klarer als jedes ärztliche Bulletin: Er ist ernsthaft krank.
Das zuzugeben fällt ihm schwer. 1985 noch mit dem irreführenden Image “Schwulenseuche” behaftet, ist Aids für den Rodeo-Booker eine Krankheit für die Außenseiter, die Schwuchteln, die Verrückten. Ein starker Moment, auch für den Schauspieler McConaughey, ist, als Woodroof im Bibliotheks-Archiv zu HIV recherchiert und entdeckt, dass auch er zur Risikogruppe gehört, der Normalo, der Hetero, der harte Bursche. Da bricht eine Welt für ihn zusammen.
Woodroof will nicht sterben. Also rein ins Krankenhaus, zur begehrten Teilnahme am Testprogramm für ein neues Medikament namens AZT, da trifft er den Transsexuellen Rayon im rosa Bademantel, der dieselben Sorgen hat wie er.
Der Film ist immer da stark, wo Figuren sich als konkrete Gegner dramatisch gegenüberstehen: Ron Woodroof mit den beiden Ärzten im Krankenhaus; Woodroof mit seinen bisherigen Hetero-Kumpels in der Kneipe, die ihn als HIV-Positiven ausgrenzen und angreifen, oder da, wo Rayons tellerrunde, geschminkte Augen sich zum ersten Mal auf Woodroof heften oder wo Rayon als letzte große Lebensanstrengung einen Männeranzug anzieht und, körperlich schon fast durchsichtig, seinen Vater um Geld bittet.
Aber als nach einer Weile der Kampf Woodroofs gegen persönliche Kontrahenten zum Kampf gegen die Verhältnisse wird, wird die Story immer abstrakter - wie ein Nachrichtenticker.
Die Geschichte Ron Woodroofs hat nämlich einen Nachteil: sie ist wahr. So verlässt der Film bald das Drama in seiner klassischen Zeitbegrenzung, um fortan die wahren Ereignisse im Leben Ron Woodroofs buchhalterisch aufzulisten. Es folgen Einblendungen wie: ein halbes Jahr später, zwei Jahre später und so weiter. Der Bonus des intensiven Anfangs ist irgendwann aufgebraucht, und die auszufechtenden Kämpfe werden zu einer langen Reihe von immer wiederkehrenden Szenen mit Hausdurchsuchungen, Blicken an der Grenze zu Mexiko, wo Woodroof seine Vitaminpräparate schmuggelt, mit seinen Tricks, Pannen, Teilerfolgen und den Sanktionen und Konfiszierungen durch staatliche Stellen. Der Film endet 1992. Aus den 30 Tagen sind sieben Jahre, und aus der Filmstory ist ein Biopic geworden.

Gerade mit der Echtheit der Ereignisse wirbt der Film für sich. Er rechnet mit der moralischen Betroffenheit der Zuschauer. Der Kampf des wirklichen Ron Woodroof gegen die eigene Krankheit und gegen die Food and Drugs Administration, die AZT zur Behandlung von HIV-Positiven in viel zu hohen Dosen noch zuließ, als es schon massenweise gravierende Nebenwirkungen gab - dieses Echtheits-Zertifikat soll die Schwächen des Filmscripts überdecken. Woodroofs Gründung eines Buyers Club für Dallas, in dem HIV-Infizierte sich ungiftige Aufbaumittel kaufen können, ist beeindruckend, interessant. Aber es sind unsichtbare Feinde, gegen die der wahre Held da kämpft, zu abstrakt für ein fiktionales Drama. Das ist Stoff für einen Dokumentarfilm.

Es bleiben zwei besondere Darsteller-Leistungen zu erleben: Während McConaughey sein bisheriges Image des ewig lächelnden Schönlings mit viel Zorn hinter sich lässt, stand der zierliche Jared Leto schon immer auf Verrücktes. Vor sechs Jahren ging er den umgekehrten Weg, nahm 28 Kilo zu und spielte in “Chapter 27” den fetten Mark David Chapman, Mörder von John Lennon. Seine Rolle als stimmgewaltiger Frontsänger der Rock-Band 30 Seconds To Mars dagegen verlangt immer wieder seine Drahtigkeit zurück. Als Rayon lässt Leto seiner Femininität freien Lauf und hat seinen größten Moment in der Verkleidung als Mann.
Beide Schauspieler beeindrucken natürlich nicht nur durch ihr Untergewicht, sondern auch durch ihr Spiel. Aber man hätte ihnen mehr solche Momente gewünscht wie der, als Woodroof die Hand des Schwulen auf seiner Schulter wie einen Elektroschock abwehrt oder als Rayon Woodroof ein “homophobes Arschloch” nennt und im bunten Kleidchen sich lange bitten lässt, als Geschäftspartner einzusteigen. Welch großartiges Beziehungs- und Wandlungsdrama hätte das mit den beiden werden können.
Schade.

A.S.H. | 14.02.14 15:12 | Permalink