« 1. Mai – Nazifrei | Hauptseite | Die Casting-Show als Krisen-Phänomen? »

Zum Gedenken an Kajrat Batesov

Rede des Verein Opferperspektive Brandenburg am 01.05.2012 in Wittstock

kajrat
Fast auf den Tag genau vor 10 Jahren wurde Kajrat Batesov, ein 24-jähriger Spätaussiedler und sein Freund Maxim vor einer Diskothek in Alt Dabern von einer Gruppe junger Männer brutal niedergeschlagen. „Bleib endlich liegen du scheiß Russe“ rief einer der Angreifer. Als dann einer der Schläger einen 18 kg schweren Stein mit voller Wucht auf den bewusstlos am Boden liegenden Kajrat schleuderte, schauten viel zu jedoch niemand griff ein. Fast drei Wochen später, am 23. Mai 2002, starb er an seinen schweren inneren Verletzungen.
Kajrat war erst ein halbes Jahr zuvor aus Kasachstan nach Deutschland gekommen, als seine Träume, seine Hoffnungen, sein Leben zerschmettert wurden. Zurück blieben seine trauernde und verzweifelte Mutter, sein jüngerer Bruder und sein Sohn.

Die Brutalität dieses Verbrechens ist unbegreiflich! Doch Wittstock wollte sich bisher nicht mit den Hintergründen der Tat auseinandersetzen.

Denn die Täter gehörten nicht zur rechten Szene, entsprachen nicht unserem klischeehaften Bild von dumpfen Schläger. Sie waren weder Skinheads noch organisierte Neonazis. Es waren junge Männer aus der lokalen Technoszene, die mit den Rechten nur wenig zu tun hatten. Doch bei einem fand die Polizei auf dem Handy ein Hakenkreuz. Für die jungen Männer waren die Spätaussiedler ganz selbstverständlich nur die „scheiß Russen“. Ihre Einstellung gegenüber angeblich „Fremden“ wurde vor 10 Jahren wohl als normal angesehen.

01_Rede.jpg

Die Täter die für den Tod von Kajra verantwortlich waren, zeigten selbst im Gerichtsaal kein Zeichen der Reue. Nur einer entschuldigte sich. Für Kajrats Mutter war die Stimmung im Prozess fast unerträglich. Über die Angeklagten sagte sie: „Ich habe das Gefühl, dass ein Mensch, der nicht Ihre Sprache spricht, Ihnen nichts wert ist.“

Für die Menschen aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion war es damals tatsächlich nicht leicht in Wittstock. Viele berichteten uns, der Opferperspektive, von einer feindseligen Stimmung, Vorurteilen gegen „die Russen“. Dies zeigte sich in zornigen Blicken auf der Straße, gezischten Beschimpfungen beim Einkaufen, Angriffen. Selbst Kajrats Mutter wurde mitten am Tag in Wittstock nieder gestoßen.

02_Rede.jpg

So war wohl auch die Stimmung, an jenem Abend, in der Diskothek in Alt Dabern. Das Gericht sprach von einer „diffusen Fremdenfeindlichkeit“ als tatauslösendes Motiv.
Die Stadt ignorierte die Probleme und Konflikte zwischen der alt eingesessenen Bevölkerung und den Zugezogenen so lange, bis ein Mensch sterben musste – zu lange.

Obwohl in den letzten 10 Jahren viel in Wittstock passiert ist, ein Haus der Begegnung entstand und ein Aktionsbündnis gegen Rechts gegründet wurde, gibt es bisher keinen Anlass zur Entwarnung.
Die rechte Szene ist seit fast einem Jahr wieder deutlich sichtbar und für einen Teil, der in Wittstock lebenden Jugendlichen, auch spürbar! Spürbar weil Rechte wieder Zuschlagen, Zutreten und Bedrohen. Sie versuchen mit roher Gewalt vor allem alternativen Jugendlichen den öffentlichen Raum streitig zu machen und sie einzuschüchtern. Ziehen „Sieg heil“ brüllend durch die Stadt. Viele, vor allem Erwachsene, nehmen diese Entwicklung nicht wahr oder schauen weg. Doch das Ignorieren und das Kleinreden macht die rechte Szene erst stark. Wir müssen hinschauen, nachfragen und den Betroffenen rechter Gewalt unsere Solidarität entgegen bringen.

03_Rede.jpg

Wir erinnern an Kajrat Batesov und an die vielen weiteren Opfer, die bei rechten, rassistischen und sozialdarwinistischen Angriffen getötet wurden!

Jeden Tag denkt Kajrats Mutter an den sinnlosen und grausamen Tod ihres Sohns, dies seit 10 Jahren! Diese Gedanken lassen sie einfach nicht los. Sie trauert, um seine zerschmetterten Träume und seine zerstörten Hoffnungen. Und wünscht sich, dass nie wieder eine Mutter solch einen Schmerz erleben muss.
Die Hinterbliebenen erwarten nicht viel von Wittstock! Sie hoffen, nach zehn Jahren des Schweigens, auf ein würdiges Andenken für ihren getöteten Sohn, Bruder und Vater und sie hoffen, dass nie vergessen wird warum er sterben musste!

Bolk | 05.05.12 16:56 | Permalink