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Eine Woche mit Michelle Williams

“Meine Woche mit Marilyn”, Regie: Simon Curtis

Von Angelika Nguyen

Lang ist die Exposition in dem Film. Denn um Marilyn Monroe geht es zunächst gar nicht, sondern um einen Jungen, der dem Wohlstand und der Wärme seines Elternhauses entflieht in die unsichere Welt des Filmbusiness. In flotten Sequenzen erfahren wir, wie der 23jährige Colin Clark ans Filmset von „Der Prinz und die Tänzerin“ geriet, wo Laurence Olivier, der damalige Gott des englischen Shakespeare-Theaters, mit Marilyn Monroe, der damaligen Göttin des Hollywood-Films, zusammen drehte. Viele Male wird der Name der Göttin erwähnt, bevor sie selber auftaucht. Die Spannung steigt und die Vorbereitungen für die Ankunft trifft Colin Clark.

Verblüffend ist dann die Illusion, als Michelle Williams als Marilyn und Dougray Scott als Arthur Miller auf der Gangway am Flughaften erscheinen. Es ist die perfekte Inszenierung alter Fotos, Marylin in engem Kleid und hellem Mantel, mit der klassischen Sonnenbrille der Fünfziger, Scotts helle Augen durch die Hornbrille.

In der Rolle des Regieassistenten und damit des Mädchens für alles hat Clark den idealen Beobachterposten. Als die bekannten Stereotypen des Filmstars wie Unpünktlichkeit, Tablettenkonsum, Melancholie und Depressionen zu Krisen der Filmproduktion werden und Laurence Olivier – selber Diva – Wutanfälle kriegt, kommt der Junge der Frau näher. Mehr im Kopf als mit dem Körper, mehr im Schweben als im Laken, im Traum eher als in der Realität. Die Woche im Titel umreißt die Kurzlebigkeit und meint die Geschichte einer grandiosen Verzauberung und des ersten großen Schmerzes anschließender Desillusionierung.

Das Besondere ist die Erzählperspektive.

Der Blickwinkel des unschuldigen Jungen bestimmt Bildausschnitt und Deutung des Phänomens Marilyn Monroe. Also weniger ein Biopic über Marilyn Monroe als eine Coming Of Age-Geschichte, das Reifen eines Jungen an der Begegnung mit einer hinreißenden Frau, die sich einmal ihm gegenüber als „alte Lady“ bezeichnet, bei sieben Jahren Unterschied.

Michelle Williams als Marylin ist überraschend, voller eigener Ideen. Sie geht durchaus nicht auf in ihrer berühmten Figur, sie bringt sich selber mit. Williams‘ Präsenz so stark, dass wir Marilyn auch mal vergessen können. Die anderen berühmten Schauspieler, Kenneth Branagh oder Dame Judi Dench haben gegen das Feuerwerk von Williams keine Chance, supporten da irgendwo am Rand. Nur der junge Eddie Redmayne als Colin Clark darf als Gegenpol der Umworbenen mitleuchten. Ein Höhepunkt des Films - Marilyns Tanz in Oliviers Film - ist in Wahrheit der Hüftschwung von Michelle Williams. Die Wahrnehmung von Michelle Williams Darstellung ist das große Erlebnis dieses Films.

Ihr ganzes öffentliches Leben lang, erst recht nach ihrem frühen Tod 1962, bot die bis heute erstaunliche Marylin Monroe ein weites Feld für Deutungen, der Dramatiker Arthur Miller, ihr Ex-Ehemann, nannte sie das “traurigste Mädchen”, das er kannte, für viele in den Hollywoodstudios und im Publikum war sie die naive oder wahlweise auch raffinierte Sexbombe, Colin Clarks Bericht „Meine Woche mit Marylin“ ist beides: Erinnerung und Deutung. Die Verfilmung ist eine vitale Hommage, lichtdurchflutet und voller Freude an Details. Wie es wirklich war: wer will das schon wissen.

A.S.H. | 27.04.12 16:39 | Permalink