« Hackerangriff auf das Indische Militär: Handy-Hersteller schufen Spitzelschnittstelle auf Smartphones | Hauptseite | Neues Bildarchiv zum Thema Ostblock »

Am Sozialkitsch vorbei

“Ziemlich beste Freunde / Intouchables” von Eric Toledano und Olivier Nakache

Angelika Nguyen für ostblog.de

Nach einer wahren Begebenheit, betont das Presseheft. Aus gutem Grund, denn die Geschichte von Driss und Philippe ist unglaublich.

Driss ist ein junger Schwarzer aus einem Hochhausviertel von Paris und vormals aus Marokko, Philippe ein Weißer Mitte 50 mit Millionen auf dem Konto. Driss wohnte gerade 6 Monate in einer Gefängniszelle, Philippe hat ein Stadtpalais. Philippe ist querschnittsgelähmt, Driss wird von seiner Mutter auf die Straße gesetzt. Philippe braucht einen Pfleger, Driss eine Unterschrift fürs Sozialamt.

So gerät der mittellose Einwanderer an den reichen Franzosen und zieht während eines Bewerbungsmarathons eine lässige Show in der Sprache der Straße ab, die Philippe in der langweiligen Obhut aus kultivierten Hausangestelllten erfrischt und erfreut.

So wird Driss der Held wider Willen. Als er die Unterschrift am nächsten Tag abholen will, werden ihm statt dessen seine Aufgaben und seine Unterkunft gezeigt, die größer ist als drei Sozialwohnungen zusammen. Driss lernt zwar all die Fertigkeiten, die zur Pflege eines Querschnittsgelähmten nötig sind, aber nicht das ist das Entscheidende. Das Temperament des Gelähmten ist nämlich noch lebendig, findet nur kein Ventil. In Driss’ Unverblümtheit, seiner Unkorrektheit, seiner Direktheit findet unverhofft der Adlige, was er braucht.

Was Philippe sich von Driss erhofft, ist in keinem Lehrbuch für Behindertenpflege zu finden, statt dessen stellt ihm Driss peinliche Fragen (Wie ist das eigentlich mit Sex bei dir?), dreht ihm einen Joint und holt den nicht rollstuhlgerechten Maserati aus dem Fuhrpark des Reichen.

Höhepunkt und heikle Szene des Films zugleich ist die temperamentvolle Tanzeinlage, die Driss zu “Earth, Wind and Fire” auf Philippes Geburtstagsparty hinlegt.
Ein Straßenjugendlicher der Banlieues, ausgestattet noch mit einem Rest Wildheit aus Afrika, der mit unverbildeter Lebensfreude frustrierte Reiche in Europa wieder auf Touren bringt? Wie der Film in ein solches Sozialmärchen - wahre Begebenheit hin oder her - hätte abdriften können, ist hier zu spüren. In dieser Tanzszene kippt kurz die Balance. Da kommt zeitweilig Unbehagen auf. Philippes Begeisterung bleibt da minutenlang widerspruchlos - kurz scheinen Dynamik der Geschichte und ihre geschickte Flucht vor dem eignen Sujet stillzustehen.

Schwächer wird der Film auch, wenn er Sozialkritik üben und mehr erzählen will als die beiden, zum Beispiel die Dekadenz der Oberschicht, für die Kunst nur Geld bedeutet. Solche Lektionen sind überflüssig. Ansonsten schafft es der Film, seine Fallen zu umgehen, wird in atemberaubendem erzählerischen Tempo an beinahe jeder Kitschgefahr vorbei inszeniert. Komödische Leichtigkeit hilft und dass die Figuren sich über ihren Schmerz hinweg helfen, indem sie sich notfalls selber nicht ganz ernst nehmen.
Das beginnt schon mit dem originellen Anfang des Films.
Ein schwarzer junger Mann steuert mit mehr als überhöhter Geschwindigkeit einen Sportwagen durchs nächtliche Paris, neben sich einen distinguierten Weißen, der sein Vater sein könnte. Auf die Verfolgung durch die Polizei reagieren beide Insassen mit aufreizender Gelassenheit. Völlig ungeklärt ist das Verhältnis der beiden zueinander. Das schafft hohe Anfangsspannung. Als das Auto der beiden umzingelt zum Stehen kommt, atmet man fast erleichtert auf: jetzt bekommen die Verkehrsrowdys ihre Strafe. Aber vor unseren Augen sprechen sich die beiden ab. Darauf simuliert der Ältere einen epileptischen Anfall, schaumig und tropfend schwappt ihm Speichel aus dem Mund, was der Fahrer ausnutzt, indem er die Polizisten anschreit, ob sie Schuld haben wollen am Tod seines Beifahrers, sie seien auf dem Weg ins Krankenhaus. Schuldbewusst fast eskortieren die Polizisten den Maserati zum nächsten Hospital. Kaum sind die Polizisten weg, lachen die beiden sich krank. “Ich weiß nicht, wo du dieses Zeug immer aus dir heraus holst.” lobt der Junge den Älteren und fährt vom Hospital weg.
Da sind Driss, der Fahrer und Philippe, der Kranke, schon beste Freunde.
Dann erzählt der Film in einer Rückblende die Geschichte der beiden.
Soziale und psychologische Genauigkeit ist ebenfalls ein gutes Mittel der Filmemacher, die Freundschaft zwischen dem Armen und dem Reichen nicht als Märchen erscheinen zu lassen, sondern als glaubwürdige Begegnung zweier Menschen aus verschiedenen Welten, die einen Draht zueinander haben.

Zum Glück wird die Dienstzeit von Driss bei Philippe aus einem ganz hart realistischen Grund dann abrupt beendet: der von Bandenkämpfen gefährdete kleine Bruder von Driss bewegt diesen schließlich, in seine Welt zurückzukehren.

Danach wird der Film mehr ein biographischer Bericht, will noch erzählen, wie beider Beziehung und überhaupt ihr Leben weiterging. Das ist nicht mehr ganz so spannend.
Es bleibt jedoch ein großes Erlebnis, Omar Sy (Driss) und Francois Cluzet (Philippe) als ungewöhnliches Duo gesehen zu haben, die Spannung zwischen dem Autodidakten und dem renommierten Schauspielprofi, dem Jungen und dem Alten, dem Schwarzen und dem Weißen. Das gibt ein paar magische Momente.

A.S.H. | 11.01.12 13:13 | Permalink