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Vom Internet ins Kino

“Life In A Day – Ein Tag auf unserer Erde” von Kevin McDonald

369 Namen stehen füt die Videomacher aufgelistet am Schluss des Films. Wacklige Kameras und flüchtiger Ton sind Pflicht. Das Professionelle des Films versteckt sich eher vornehm. Denn wenn sie auch nicht die Regisseure des Films sind, sondern seine Produzenten - die Gebrüder Ridley und Tony Scott kommen aus dem Zentrum des Hollywoodkinos. Der eine, Ridley, hat ein paar moderne Filmklassiker gemacht, der andere, Tony, ist der Gott aller Action-Ästheten. Beide sehr erfolgreich. Das gibt Geld für Experimente.

Ein solches Experiment ist das Projekt “Life In A Day”. 80.000 Einsendungen folgten dem weltweiten Aufruf von Scott Free Films und Youtube, kleine Videos am 24.Juli 2010 zu machen. Es galt für den Regisseur Kevin McDonald nicht nur, auszuwählen, sondern auch ein Erzählprinzip zu finden.

Ein Prinzip ist die Chronologie des Tagesablaufs. Erst ist es Nacht, der zufällige Vollmond groß im Bild, ein fröhlicher Betrunkener auf einer Bank im Dunkeln, ein schlafendes Baby. Dann stehen alle auf, in allen Videos, Badelatschen, Badezimmer, ein Vater weckt seinen kleinen Sohn, Morgengebete, Zähneputzen, sogar auf der Toilette filmt sich einer, dann gibts überall Frühstück, Bacon, Eier, Kaffee, Alkohol.

Dann aber verlässt der Film diese Idee und zeigt Montagen mit bestimmten Themen: Geburt, Wasser, Zeitunglesen, Waffen, Kochen. Statements zu: Liebe (“Ich liebe Gott”), Furcht (“Am meisten fürchte ich, dass ich mich irre und es keinen Gott gibt”) bis zu der Frage: “Was haben Sie in Ihrer Tasche?” Einer hatte tatsächlich nichts in seiner Tasche. Die Ideen sind endlos, die Kreativität von schon lange tätigen Youtube-Artisten kommt mal auf Breitlandwand zur Wirkung. Erstaunlich ist, wie schnell man jemanden kennenlernen kann.

Wie mit der Chronologie betont der Film damit das Universale, auch Großartige von Zufall und Alltag. Aber auch Brisantes scheut der Film nicht. So fiel auf den Tag zufälligerweise die Katastrophe der Love Parade in Duisburg, was ausführlichen Platz findet.

Zwischendurch gibts ab und zu eine richtige Geschichte, bleibt der Film länger bei einem Video. So stellt ein bettelarmer verwitweter Vaters, der mit vielen Kindern in einer winzigen Hütte irgendwo in der Welt, vielleicht Indien, lebt, seine Familie vor, eine der Töchter hat wunderschöne Augen.

Zu manchen Geschichten kehrt der Film immer wieder zurück. Zum Beispiel zu der Familie mit der krebskranken Mutter vielleicht in den USA, die in die Kamera lächelt, ihrem tapferen kleinen Sohn, der einmal verlangt, dass die Kamera ausgeschaltet wird. Ihr Mann belässt es nicht beim Verbalen, zeigt auch erschütternde physische Details von Krebs, gibt sich selbst ein denkwürdiges Interview.

Schockierend für Sensible und informativ für Fleischesser sind minutiöse Schlachterszenen.
Der Film bleibt erzählerisch unentschlossen. Das leicht Chaotische entspricht aber auch irgendwie dem Charakter von Heimvideos. Auf jeden Fall ist der Film erfrischend und lässt er der unprofessionellen Spontanität der Aufnahmen ihren Raum, etwas Neues im Kino, Internetcinema. Das Globale ist ja durch das Internet sinnlich erlebbar geworden. Der Film gibt dem eine Form, ein Gewand fürs Kino und übertreibt es gerade so nicht. 95 Minuten sind noch in Ordnung.

Missverständnisse gab es offenbar beim Motto der Ausschreibung im Internet. Die Menschen waren angehalten, besondere Augenblicke festzuhalten und dann erfreut der Film sich gerade am Banalen. Diese Verunsicherung bei den Usern machte eine Absenderin zur Tugend, indem sie der laufenden Kamera erklärt, bei ihr wäre nichts Besonderes passiert und dass es ihr Leid täte.

Angelika Nguyen

A.S.H. | 08.06.11 15:20 | Permalink