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Staatschutztheater

Nach der richterlichen Einstellung des ersten Gerichtsprozesses gegen den Buchladen oh21 wegen ‚Beihilfe zum Anleiten zu Straftaten’ und ‚Verstoß gegen das Waffengesetz’ hat die Staatsanwaltschaft nun alle anhängigen Verfahren gegen die Buchläden oh21, Schwarze Risse und M99 eingestellt.

Die Durchsuchungswelle gegen die Berliner Buchläden begann
2009 zunächst mit Ermittlungsverfahren wegen eines antimilitaristisches Flugblatts und einer antimilitaristischen Internetseite. Im Zuge dieser Verfahren wurden der Buchladen Schwarze Risse und der linke Internetprovider so36.net von polizeilichen Durchsuchungen heimgesucht. Ermittelt wurde gegen 'unbekannt'.

Im Jahr 2010 folgten ab nun zeitgleich und mit identischen Vorwürfen mehrfach Durchsuchungen bei den Buchläden M99,
oh21 und Schwarze Risse wg. Zeitschriften der autonomen Szene. Während die Ermittlungsverfahren zunächst gegen ‚unbekannt’ geführt wurden, richteten sich die Durchsuchungsbeschlüsse ab Juli 2010 gegen die Geschäftsführer der jeweiligen Buchläden. Gegen sie wurde nun wg. Beihilfe zur Anleitung zu Straftaten und Verstoß gegen das Waffengesetz ermittelt.

Im Februar 2011 wurde der erste und einzige Gerichtsprozess unter verstärkten Sicherheitsvorkehrungen am Moabiter Amtsgericht gegen den Geschäftsführer des Buchladens oh21 eröffnet, doch das Verfahren wurde am zweiten Verhandlungstag auf Vorschlag des Richters nach 153 StPO eingestellt.

Wenige Tage später bot die Staatsanwaltschaft die Einstellung weiterer Verfahren nach 153 StPO an. Ende Mai wurden endlich auch die letzten Berliner Verfahren eingestellt.

Indessen dienten die Berliner Durchsuchungsbeschlüsse mehrfach als Vorwand für Durchsuchungen von Infoläden in München und Osnabrück. Zuletzt wurde am 11. Mai 2011 der Schanzenbuchladen in Hamburg wegen einer Ausgabe der Zeitschrift ZECK durchsucht.

Alles nur heiße Luft?

Die Ladenbetreiber von oh21, M99 und Schwarze Risse wurden wiederholt durch Durchsuchungen und die Beschlagnahmung der Arbeitsgeräte in ihrem Arbeitsalltag belästigt. Die Durchsuchungsbeschlüsse legitimierten, dass Unterlagen durchwühlt, Daten gesammelt und die Läden bzw. die Ladenbetreiber beobachtet wurden.

Nach anderthalb Jahren Staatschutztheater folgt nun die Einstellung der Verfahren durch die Staatsanwaltschaft. Es bleibt im Unklaren, wieso zunächst ein derartiger Aufwand betrieben wurde und nun die Verfahren sang- und klanglos eingestellt werden. Hatten die Staatsschutzbehörden von Anbeginn nur das Ausschöpfen ihrer Ermittlungsinstrumentarien verfolgt, um Informationen über die Läden, ihre Betreiber und ihre Kundschaft zu sammeln und die Buchhandlungen als Gefahrenorte zu markieren? Oder ist die ermittelnde Staatsanwaltschaft mit dem Versuch, die Rechtssprechung dahingehend zu verschieben, dass linke Buchhändler für die bei ihnen ausliegenden Inhalte strafrechtlich verantwortlich gemacht werden können, an der mangelhaften Beweislage, dem Druck der liberalen Öffentlichkeit, oder an unterschiedlichen Interessen innerhalb von Polizei, Staatsanwaltschaft und Justiz gescheitert?

Klar ist in jedem Fall, dass es sich um eine politisch motivierte Strafverfolgung gehandelt hat. Im Gespräch mit einem Journalisten hatte die Staatsanwaltschaft bestätigt, dass das Auffinden der inkriminierten Zeitschriften in ‚normalen’ Buchhandlungen nicht dieselben Verfolgungsmaßnahmen nach sich ziehen würde. Diese Aussage bekräftigt die Einschätzung, dass es mit den Maßnahmen weniger darum ging, konkrete Inhalte oder Publikation aus dem Verkehr zu ziehen, sondern um die Kriminalisierung der Buchläden als Teil linker Infrastruktur und Orte der Gegenöffentlichkeit sowie um die Diskreditierung politischer Inhalte und Aktivitäten.

Doch mit ihrem Versuch, Berührungsängste zu schüren und einzuschüchtern ist die Repression gescheitert. Als Initiative unzensiert-lesen geht es uns darum, dass wir uns nicht vorschreiben lassen, welche Inhalte und Themen wir diskutieren und verbreiten. Wir glauben, dass wir mit unserer Kampagne Bewußtsein für die Notwendigkeit und die Verteidigung eigener Räume schaffen konnten. Ebenso positiv sehen wir die vielfältigen Solidaritätsbekundungen und die breite Unterstützung. Beides, eigene Strukturen und praktische Solidarität, werden wir auch in Zukunft brauchen, denn der nächste Angriff kommt bestimmt.

Quelle: Erklärung der Initiative unzensiert-lesen vom 8.6.2011

A.S.H. | 14.06.11 14:13 | Permalink