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Belfast: Die Ulster Volunteer Force greift Short Strand an

von Jürgen Schneider

Ein von der loyalistischen Terrororganisation Ulster Volunteer Force (UVF) angeführter Mob hat in der zweiten Nacht in Folge die katholisch-nationalistische Enklave Short Strand in Ostbelfast angegriffen. Dabei wurde gestern ein Pressefotograf durch einen Schuss am Bein verletzt. Die Bewohner von Short Strand haben sich massiv gegen die Übergriffe gewehrt. Der stellvertretende Chef des Police Service of Northern Ireland (PSNI) Alistair Finlay sagte, die UVF habe die Auseinandersetzungen begonnen und mache keine Anstalten, sie zu beenden.
Bereits am Montag hatte der Mob, angeführt von Männern in schwarz, die maskiert waren und Handschuhe trugen, Punkt 21 Uhr von zwei Richtungen her Short Strand attackiert. Es handelte sich um die heftigsten Angriffe, denen Short Strand in den letzten zehn Jahren ausgesetzt war. Die Übergriffe schüren Befürchtungen, dass es die UVF auf Auseinandersetzungen während der im Juli beginnenden »marching season« des Oranierordens ankommen lassen will.
Dutzende Häuser in Short Strand wurden beschädigt, und ein Anwohner wurde mit schweren Schädelverletzungen ins Krankenhaus gebracht. Die Bewohner von Short Strand konnten den Mob schließlich abwehren, wurden dann aber stundenlang mit allerlei Wurfgeschossen weiter attackiert. Polizisten des PSNI griffen schließlich ein und verletzten einige Jugendliche in Short Strand mit Plastikgeschossen.
Es ist unklar, ob Machtkämpfe innerhalb der UVF zu den Angriffen führten oder die Frustration der UVF über die Untersuchung ihrer bereits 1966 begonnenen Mordkampagne durch das Historical Enquiries Team der PSNI. Im Mai 2007 hatte die UVF erklärt, endgültig der Anwendung von Gewalt abzuschwören. Die Waffen sollten nicht abgegeben, sondern lediglich unzugänglich gemacht werden. Die Erklärung, dass das gesamte Arsenal permanent unbenutzbar gemacht worden sei, folgte erst im Juni 2009. Diese Unbrauchbarmachung wurde von der unabhängigen Abrüstungs-Kommission unter Leitung des kanadischen Generals John de Chastelain überwacht und verifiziert.

Short Strand grenzt im Osten und im Süden an protestantisch-loyalistische Wohnviertel, im Norden an ein Industriegebiet und im Westen an den Fluss Lagan. Im 19. Jahrhundert ließen sich hier Katholiken aus der Grafschaft Down nieder. Obwohl ganz in der Nähe einst der Schiffsbau blühte, waren die katholischen Arbeiter von der Arbeit in den Werften weitgehend ausgeschlossen. Zu schweren sektiererischen Auseinandersetzungen kam es in den Jahren 1920 bis 1922 sowie im Jahr 1935. Die letzten schweren Angriffe auf Short Strand ereigneten sich im Jahre 2002. Im März 2011 war die örtliche St. Matthew-Kirche mit Farbe besudelt worden.
»Die Schlacht um St. Matthews« in Short Strand markiert die eigentliche Geburtsstunde der Provisional IRA. Ende Juni 1970 – in England hatte sehr zur Freude der nordirischen Unionisten und Loyalisten gerade der Tory Edward Heath den Labour-Premier Harold Wilson abgelöst – versammelte sich ein loyalistischer Mob, um Short Strand anzugreifen. Die britische Armee unternahm nichts, obwohl deutlich war, dass es die Angreifer auf Tod und Zerstörung abgesehen hatten. Das Kürzel IRA war bis dahin in Graffiti als »I Run Away« übersetzt worden. Nun bewies die IRA, dass sie die katholisch-nationalistischen Wohngebiete zu verteidigen in der Lage war. Eine kleine Gruppe von IRA-Freiwilligen unter dem Belfast Commander Billy McKee bezog in Short Strand auf dem Gelände des katholischen Gotteshaus St. Matthews Stellung und schoss auf die loyalistischen Angreifer. Die Loyalisten erwiderten das Feuer und mussten sich nach einem fünfstündigen Gefecht zurückziehen. Billy McKee wurde schwer verwundet, zwei Loyalisten und ein Bewohner von Short Strand wurden getötet. Die IRA hatte die »Schlacht um St. Matthews« gewonnen und sich als die einzige Kraft erwiesen, die von den Loyalisten attackierte Katholiken verteidigen kann und konnte in der Folge einen großen Zulauf verzeichnen. Nicht verhindern konnte die IRA allerdings, dass am Tag nach dem Feuergefecht die protestantischen Arbeiter der Titanic-Werft Harland & Wolff ihre katholischen Kollegen von ihren Arbeitsplätzen vertrieben. In der Werft arbeiteten damals 10.000 protestantische und 400 katholische Arbeiter.

A.S.H. | 22.06.11 17:38 | Permalink