« USA: Class War - Republikaner zerschlagen Gewerkschaften | Hauptseite | Pleitebanker straffrei? »

Am Rande der RAF

“Wer wenn nicht wir” von Andres Veiel

Der neue Film über die RAF ist kein Film über die RAF. Es ist ein Film über Bernward Vesper, ein heimliches Biopic. Regisseur Andres Veiel rückt eine Randfigur der RAF ins Zentrum seines Films, und die Berühmtheiten Andreas Baader und Gudrun Ensslin an dessen Rand, Ulrike Meinhof schon mal ganz weg lassend.

Bernward Vesper ist eine Nachkriegsfigur im Zwiespalt zwischen Nazivater und kapitalismuskritischer Aufbruchsstimmung gemeinsam mit Freundin Gudrun, seiner Studentenliebe und Mutter seines Kindes Felix. Vesper war Geistesarbeiter der 68er Bewegung, Ablehner der RAF-Gewalt, Autor des Buches “Die Reise”. Das ist eine Verschiebung der Perspektive, ein neuer filmischer Blick auf das RAF-Thema. Als Gegenpart zu den Gewaltaktionen der Rote Armee Fraktion erzählt der Film einen Menschen, der Bücher herausgibt und schreibt.

Dazu holt Andres Veiel viel weiter aus als bis zur RAF-Vorgeschichte in den 60iger Jahren, und beginnt die Handlung 1945 auf dem Familiengut der Vespers. Als studierter Psychologe hat der Regisseur ein Gespür für frühe Traumata und als Dokumentarfilmer ein Interesse an historischen Quellen. Verbürgt ist also, dass der Nazi Will Vesper, Bernwards Vater, Katzen als Juden der Tiere bezeichnete und sie auf dem Gut erschoss. Das verdichtet Andres Veiel zu einem Kindheitserlebnis des kleinen Bernward: Nachtigallen im Sonnenlicht, dann frisst die geliebte Katze des Kindes die Vögel. Die Strafe des Vaters wird Bernward nie vergessen.

Es wird weiter erzählt, wie der Junge Schreck und Schmerz fühlt und den Konflikt mit der Liebe zum Vater, der ihm so schön vorlesen kann, dann, wie der Junge erwachsen, Student wird, ein Mädchen kennenlernt, sich verliebt, intellektuelle und sexuelle Gemeinsamkeit erlebt. Spät fällt der Name des Mädchens, enthüllt der Film seinen historischen Focus: Das ist Fräulein Ensslin.

Längst ist das bundesdeutsche Politphänomen RAF zum eigenen Kunstthema geworden und weites Feld für Interpretationen. Beim RAF-Sujet gilt, auf welche Weise nachfolgende Generationen die “bereits ikonographisch gewordenen Figuren” (Felix Ensslin) wieder ins Konkrete, Erzählerische holen. Dazu passt, dass Andres Veiel sich seine eigene fragmentarische Version der Ereignisse schafft und nicht versucht herauszufinden, wie es wirklich gewesen ist. Die vielfach eingeblendeten Archivaufnahmen bedeuten weniger Wahrheitssuche als atmosphärisches Beiwerk. Auch nimmt Veiel sich die Freiheit, Andreas Baader als Verführer mit verwirrend queerem Sexappeal zu zeigen oder den kleinen Felix viel länger als in Wirklichkeit bei Vater Bernward zu lassen. Vielleicht für dieses eine Bild der Bedrohung des Kindes: Bernward stellt im Wahn das Kind aufs Fensterbrett, von wo aus er zuvor Hausrat hinunter geworfen hat.

So ist der Film von Andres Veiel auch eine Antwort auf Bernd Eichingers lautes Action-Spektakel “Der Baader-Meinhof-Komplex” von 2008, führt der Filmemacher eine Diskussion fort, setzt seinen Beitrag.

“Wer wenn nicht wir” ist vor allen anderen ein Film des Schauspielers August Diehl. Sein Bernward Vesper schmerzt und bewegt, bekommt im aussichtslosen Kampf um das Wir-Gefühl, die Frau und sich selbst immer mehr Größe, später in Vereinsamung und Wahnsinn steigert Diehl die Figur quasi nach innen und hält ein abgrundtief trauriges Lächeln in der letzten Einstellung des Films. Der “kaputte Typ”, als den Vesper selbst sich gesehen haben soll, ist Veiels Held.

Daneben wirken die RAF-Gründer Baader und Ensslin wie selbstverliebte Krawallmacher. Ihre Beziehung zeigt der Film in gänzlich unrevolutionärer Rollenverteilung. Schlüsselszene ist der Moment, als Gudrun Ensslin am Telefon sehnsüchtig mit ihrem kleinen Sohn spricht, Andreas Baader daraufhin die Verbindung kappt und sie brutal niederschlägt. Da kriegt Veiel die beiden an ihrer schwächsten Stelle, da zeigt er den Abgrund zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Da erscheint sogar die Versager-Elterngeneration noch integrer. Auf die Selbstgerechtigkeit seiner jungen Tochter (“Du hast überhaupt alles in deinem Leben nur halb gemacht!”) antwortet Vater Ensslin beinahe schüchtern: “Du kannst es doch besser machen.”

Angelika Nguyen

A.S.H. | 11.03.11 15:52 | Permalink