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Paul Bonatz

– Das Gesamtwerk im Deutschen Architekturmuseum
von Jürgen Schneider

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Nach seiner Teilsanierung zeigt das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt derzeit die Ausstellung »Paul Bonatz (1877-1956). Leben und Bauen zwischen Neckar und Bosporus«. Der Stuttgarter Hauptbahnhof, dessen Planungen 1911 ihren Anfang nahmen, gilt als das Hauptwerk des Architekten Bonatz. Das Museum begann vor acht Jahren mit der Ausstellungsvorbereitung, also lange vor den »Stuttgart 21-Protesten«. Der Kurator der Ausstellung, Wolfgang Voigt, erklärt, das Museum wolle zu dem Streit um die Bahnhofspolitik in der Schwabenmetropole keine Stellung beziehen, sondern das Augenmerk auf das Gesamtwerk »des moderaten Modernen, landschaftsbezogenen, moderaten Klassizisten« richten. Dies geschieht mit dem Versuch, die Rolle von Bonatz im Nationalsozialismus zu relativieren. Wir sehen das Werk eines vom Ehrgeiz getriebenen Baumeisters der Heterogenität, der sich in jedem politischen System zu etablieren wusste. Werden die von Bonatz gebauten großbürgerlichen Wohnhäuser, die »Wärme und Ruhe und Heimatgefühl« ausstrahlen sollten, moderner oder besser dadurch, dass dazu im Wandtext der Ausstellung der nazistische Brücken- und Luftwehrturm-Architekt, Intimus von Albert Speer, 1942 von Hitler zum Professor an der TH Berlin ernannte und 1944 in dessen Gottbegnadeten-Liste aufgenommene Friedrich Tamms zitiert wird? Kaum.

Es mag sein, dass der Stuttgarter Bahnhof, wie Voigt erklärt, einst »extrem funktional« war, dass er nicht nur der kubischen Komposition wegen lange Zeit als der moderne Bahnhof schlechthin galt, dass Impulse, die Bonatz von islamischer Architektur empfing, sich in Planung und Ausführung niedergeschlagen haben, doch will man einen Monumentalbau, in dem, wie sein Planer es formulierte, »alles Ordnung und Organisation, (...) doch nichts Weiches, Spielerisches, nur Strenges und Unausweichliches [ist]«? Einen Bau mit »Pfeilern, ein vertikaler Rhythmus in den langen horizontalen Massen, eindringlich durch die Vielheit, streng geordnet wie Soldaten in der Kompagniefront«? Bonatz kommt in seinen 1950 veröffentlichten Lebenserinnerungen »Leben und Bauen« allerdings zu dem Schluss: »Heute würde man einen Bahnhof auch viel einfacher bauen.« Von den Immobilieninteressen der heutigen Bahnoberen konnte er da noch nichts wissen.

Bonatz hatte seit 1908 den Lehrstuhl für Entwerfen und Städtebau an der TH Stuttgart inne. In der Novemberrevolution 1918 ließ er sich zur Stärkung der moderaten Kräfte in den zentralen Vollzugsausschuss der württembergischen Arbeiterräte wählen und plädierte »vehement gegen den Übergang der Novemberrevolution in die drohende Rätediktatur«, wie es im Ausstellungskatalog heißt. 1927 entstand als Bauausstellung der Stadt Stuttgart und des Deutschen Werkbundes unter der künstlerischen Leitung von Ludwig Mies van der Rohe die Weißenhofsiedlung, eines der bedeutendsten Zeugnisse des Neuen Bauens. Bonatz schrieb im »Schwäbischen Merkur«, die Siedlung erinnere »eher an eine Vorstadt Jerusalems als an Wohnungen für Stuttgart«. Doch bei der antisemitischen Polemik beließ er es nicht, sondern ließ 1933 mit konservativen Architektenkollegen als Gegenentwurf zu der kosmopolitisch ausgerichteten Weißenhofsiedlung in deren Nähe die Kochenhof-Siedlung errichten, »aus deutschem Holz«, wie es später auf einer eigens angebrachten Tafel hieß. Das »Stuttgarter Neue Tagblatt« berichtete am 23. September 1933, die Siedlung sei »mit einem dreifachen Sieg-Heil auf Hindenburg und Hitler, sowie mit dem gemeinsam gesungenen Deutschlandlied und Horst-Wessel-Lied« der Öffentlichkeit vorgestellt worden.

Nicht nur mit den Satteldachhäusern der Kochenhof-Siedlung empfahl Bonatz sich für die Bauvorhaben der neuen nationalsozialistischen Machthaber. Die erste Brücke nach seinem Entwurf war bereits 1905 in Ulm fertiggestellt worden. Bei dem ab 1926 begonnenen und zehn Jahre später abgeschlossenen Bau der Staustufen am Neckar erwies sich Bonatz als Meister des Ingenieurbaus. Ende Mai 1934 beauftragte der für die »Straßen des Führers« verantwortliche Fritz Todt Bonatz mit der Begutachtung der bis dahin ausgeführten »Überführungsbauwerke« und bat ihn um Verbesserungsvorschläge. Im Frühjahr 1935 wurde Bonatz zum künstlerischen Berater von Todt berufen und lieferte die Entwürfe für zahlreiche Reichsautobahnbrücken, darunter für die Adolf-Hitler-Brücke von Köln-Rodenkirchen. Handelt so einer, von dem die Ausstellungsmacher behaupten, er habe dem Naziregime »bis zu dessen Ende kritisch gegenübergestanden«? Lässt sich ein Reichsautobahnbrückenbauer unter Verwerfung der historischen Wertung einfach in den Bezugsfeldern Romantik und Klassik einordnen, wie es Hartmut Frank im Ausstellungskatalog versucht? 1942 schrieb Bonatz: »Die preußischen Straßenwärterhäuser um 1800 drückten bei all ihrer Kleinheit aus: Ich vertrete den Staat. Dazu müssen wir bei den um so vieles vergrößerten Aufgaben auch kommen.« Zu den Autobahnbauten führte Bonatz aus: »Hier können neuartige Aufgaben zu neuem Ausdruck führen. Und wie beim Römerreich können die Ingenieurbauten die Kraft des Staates repräsentieren. (...) Das dritte Reich hat Möglichkeiten, wie sie noch niemand hatte. Möge die Baukunst des dritten Reiches seiner Kraft ebenbürtig sein.« Zur Vernutzung von Zwangsarbeitern beim Reichsautobahnbau schwieg Bonatz konsequent, im Ausstellungskatalog findet sich immerhin eine kurze Fußnote dazu. 1943 trug Bonatz vor: »Wie in den großen Zeiten der Antike wird nicht das Individuum sich selbst darstellen, sondern es wird sich freiwillig einordnen in den großen Gesamtwillen, wie im Politischen, so auch im Bauen.« Da war Bonatz längst in die gigantischen Planungen Albert Speers und Herman Gieslers eingebunden. Er lieferte Pläne für die »Massengliederung und Fassadengestaltung« des südlich vom Rathaus der künftigen »Welthauptstadt Germania« vorgesehenen Oberkommandos der Kriegsmarine (OKM) sowie für den Bahnhofsneubau in München. Nach Hitlers Entscheidung, das OKM an anderer Stelle zu bauen, bearbeitete Bonatz im Auftrag Speers die OKM-Pläne für einen neuen Zweck – für die Errichtung eines Polizeipräsidiums.

Es mag sein, dass Bonatz in »Briefen den Verlust an Maßstab und Qualität der Entwürfe aus dem Umfeld Albert Speers beklagte«, wie es im Ausstellungstext heißt, sein entscheidender Beweggrund, 1944 in der Türkei zu bleiben, wo er zuvor bereits intensiv Kontakte geknüpft hatte, war dieser briefliche Unmut wohl nicht. Was im Architekturmuseum »Exil« genannt wird, war eher die Bonatz’sche Konsequenz aus seinem durch die Nazibauherren nicht befriedigten Ehrgeiz, an »den Aufgaben« noch umfassender und prominenter beteiligt zu werden.

Bonatz vermeintliche »Flucht aus dem Wahnsinn« führte nach 1945 dazu, dass er dem Gottbegnadeten Hitlers, Friedrich Tamms, half, in Düsseldorf wirken zu können. Tamms stieg vom Leiter des Stadtplanungsamtes zum Baudezernenten auf. Der dortige »Architektenring« sah in der Stadt ein »Zentrum der ehemaligen Nazi-Prominenz« und rief 1952 dazu auf, »darüber nachzudenken, ob wir erkannt haben, wie tief die nationalsozialistische Vorstellung von Baukultur sich von der Demokratie unterscheidet. Die Baulöwen der Parteibauten haben sich in ihrer Baugesinnung nicht geändert.« Zusammen mit dem Naziarchitekten Julius Schulte-Frohlinde, der auf Vermittlung Tamms nach Düsseldorf gekommen war und ab Januar 1952 das Hochbauamt leitete, war Bonatz für den Wiederaufbau der Düsseldorfer Oper zuständig.

»Paul Bonatz (1877-1956). Leben und Bauen zwischen Neckar und Bosporus«. Deutsches Architekturmuseum, Schaumainkai 43, Frankfurt/M. Bis 20.März 2011. Am 1. Februar wird Christoph Ingenhoven über seine »Transformation des Hauptbahnhofs Stuttgart« sprechen. Am 15. Februar wird der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete, Architekt und Gegner der Stuttgart-21-Pläne, Peter Conradi, zu Wort kommen. Zur Ausstellung erschien ein Katalog (Wasmuth-Verlag, 320 S., 35 Euro). www.dam-online.de

A.S.H. | 06.02.11 18:57 | Permalink