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Lost In Los Angeles

Sofia Coppolas Film “Somewhere” neu im Kino
Von Angelika Nguyen

Wer “Lost in Translation” mochte, wird auch diesen Film mögen. Denn Regisseurin Sofia Coppola zitiert in “Somewhere” sich selbst. Es gibt da etwas, das sie nicht loslässt in der Szene der arrivierten feinen Hollywoodgesellschaft, in der sie als Tochter von Regielegende Francis Ford Coppola aufgewachsen ist.
Den Tochterblick hat sie behalten, hat ihn zur Autorenfilmperspektive stilisiert. Es ist ihr ganz persönlicher Blick, eine Mischung aus Insiderwissen und Unschuld.

Coppolas selbst geschriebene Filmgeschichten sind ereignisarm, lassen sich oft in einem Satz zusammenfassen, äußere Konflikte gibt es nicht wirklich. Leere dehnt den Figuren die Stunden - was sie noch leerer macht. Was Bill Murray in Tokio einst auf stoische, schweigsame Altmännerart ertrug, die Fremdheit seiner Umgebung, die Einladung in eine japanische TV-Show, das Hotelzimmer, die marmorne Luxus-Badewanne, die Abendstunden in der Bar, durchleidet auf stoische, schweigsame Art nun Stephan Dorff in Los Angeles. Verloren in Los Angeles und doch im Zentrum des Filmgeschäfts. Johnny Marco, Dorffs Figur, ist ein gefeierter Filmschauspieler, im Zenit seines Startums, Schwerverdiener, Ferrarifahrer, Hoteldauerbewohner.

Die Handlung des Films: Aneinanderreihung von Marcos Arbeitsterminen, einsame Hotelabende, zu denen er sich zwei grazile blonde Tänzerinnen einlädt, Partys, Empfänge, dann der Wendepunkt, der als solcher lange nicht auszumachen ist: der Besuch von Marcos Tochter Cleo.

Scheinbar passiert da nicht viel. Aber Coppola zeigt uns, was Kino ist. Sie spielt mit Zeit. Da lotet sie den Termin von Johnny Marco im Special-Effect-Studio aus zu einer intensiven Darbietung menschlicher Einsamkeit: in Echtzeit sitzt Marco minutenlang unter der hautengen Silikonmaske, zum Atmen nur die Nasenlöcher und die Kamera läuft und läuft und wir hören Marco atmen. Das ist komisch und beängstigend zugleich. Oder es werden Szenen geduldig zerlegt, aus vielen Details montiert und in ihrer dramatischen Ereignislosigkeit durch den langen Blick Coppolas zum Ereignis. Auch Bezüge zwischen Szenen stellt Coppola her. Wenn da erst die Profitänzerinnen vor Marco gekonnt aufregend tanzen und er am nächsten Tag in einer endlosen Sequenz seiner Tochter beim Eislaufen zusieht, stellt sich eine Affinität her - in der Gemeinsamkeit des Grazilen und dem himmelweiten Unterschied von Absichtslosigkeit (Tochter) und Absicht (Tänzerinnen). Allmählich baut der Film eine Beziehung zwischen Tochter und Vater auf, die, wie viele Kinder und Väter nicht zusammenleben. Sichtlich erholt sich Marco bei dem Kind, das keine Leere kennt.

Coppolas Johnny Marco ist besonders durch sein Unbehagen am eigenen Leben. Bei aller Verlorenheit gelingt es ihm, sich der Leere seines Lebens bewusst zu werden, daran zu verzweifeln - und sich auf geheimnisvolle Art zu befreien. Sowohl in “Lost in Translation” als auch in “Somewhere” hilft den müden Männern dabei eine Art Tochterfigur. In Tokio weckt und bezaubert die 19jährige Scarlett Johansson den alten Murray, in Los Angeles die wirkliche eigene Tochter den Filmstar Marco. Mädchen zeigt Coppola als Inkarnation der Unschuld, ihre Anwesenheit ohne Berechnung, ihr Dasein noch unberührt von dem, was die Alten kaputt macht, ihre Inspiration.

Sofia Coppolas Filme sind eine stilvolle Anklage der Oberflächlichkeit und Lebenslüge des medialen Establishments. Dabei arbeitet sie selber gern mit etablierten Symbolen. Das Hotel Chateau Marmont am Sunset-Boulevard, wo Johnny Marco wohnt, ist so ein Symbol oder die tanzenden blonden Shannon-Zwillinge – Insiderattraktionen in Hollywood, deren Bedeutung uns erst erklärt werden muss. Denn Teil des Establishments ist Coppola selbst. Sie weiß, wovon sie erzählt.

Feines Gespür hat sie für das schauspielerische Vermögen ihrer Hauptdarsteller. Stephen Dorff spielt Johnny Marco mit dem Charisma eines erschöpften jungen Wilden, mit müde gewordenem Sexappeal, der Impotenz als fast willkommene Grenzsetzung erfährt. Elle Fanning, zur Drehzeit 11 Jahre, eine Naturbegabung wie ihre große Schwester Dakota, spielt sicher und zart alle Nuancen ihrer gleichermaßen verwöhnten und bedrohten Figur Cleo.

Wie in “Lost in Translation” beschreibt Coppola auch diesmal einen Wendepunkt im Leben ihres Protagonisten, der so diskret und leise vorgeführt wird, dass er erst am Schluss zu sehen ist. Und auch hier ist dieser Wandel nicht ganz nachvollziehbar, das Happy End mehr so eine Phantasie harmoniebedürftiger Zuschauer, ein Geheimnis, gelüftet vielleicht im Off.

A.S.H. | 11.11.10 14:44 | Permalink