« Fußball und Politik | Hauptseite

Dancing Auschwitz? - Die Trivialisierung der Erinnerung

Erst kürzlich kursierte durch die Bloggosphäre ein Video "Batallion 50 Rock the Hebron Casbah" mit tanzenden israelischen Besatzungstruppen (IDF) die aus ihrem täglichen Tod und Leid bringenden Militär-Einsatz in Hebron (Palästina) ein verklärtes und kriegsverherrlichendes Promo-Video machten. Dabei entsteht unweigerlich beim zuschauen das Gefühl, das der Einsatz nicht nur ein solidarisches und erlebnisreiches Unterfangen von echten Kerlen ist, sondern dass das Töten auch noch einen kaum zu übertreffenden Spaßfaktor vorweisen kann. Nachahmer liessen nicht lange auf sich warten, und zeigen das der Kriegsdienst einfach Spass macht. Dabei ist die Besatzungs-Realität gerade in Hebron durch Erniedrigung und Demütigung der BewohnerInnen nicht nur durch die Soldaten selbst, sondern insbesondere durch rassistiche Siedler geprägt. Mittlerweile wurde das Video der tanzenden Soldaten persifliert und in Jerusalem ein Tanz der Besatzer abgehalten, welche die Tänzer festnehmen.

Als wäre dies nicht genug versucht nun eine bislang durch ihr Schaffen eher unauffällige australische „Künstlerin“ Jane Korman -deren Kunst man einst im Ostblock als "gescheiterte Individualismen" zu bezeichnen pflegte- mit einem ähnlich leichtsinnigen und respektlosen Video aufsehen zu erregen. Sie filmte Ihre Familie vor dem Eingang zum deutschen Konzentrationslager Auschwitz als diese eine Disco-Show abziehen zu Gloria Gaynor "I will survive". Auf dem Video tanzen drei ihrer Kinder und ihr 89jähriger Vater Adolek Kohn, der als polnischer Jude das Lager überlebt hatte.

- Ich wollte ein Kunstwerk schaffen, dass eine frische Interpretation, der anderen Geschichtserinnerung darstellt sagte Korman der Tageszeitung Haaretz. Auf diese frische könnten wir getrost verzichten, denn Auschwitz ist keine Tanzfläche sondern eines der größten Friedhöfe der Erde.

Es drängt sich die Frage auf, was hat das alles miteinander gemeinsam? Ist es nur die unreflektierte Leichtfertigkeit im Umgang mit der Geschichte und der Gegenwart? Oder ist dies vielmehr die Verblödung der Leute durch die alltäglichen Zwänge der kapitalistischen Konsumgesellschaft, bei der in der beständigen Selbstoptimierung und Rivalität um öffentliche Aufmerksamkeit gegebenenfalls auch der eigene Vater, als Holocaust-Überlebender herhalten muss...

… oder der dieser Generation zugefügte Leid zur Legitimierung der Zufügung von Leid durch die Enkelkinder als Ersatz für das historische Versagen nun als Gerechtigkeit gegenüber als Feind deklarierten Neuen-Anderen beschworen wird? Dass also Geschichte und Erinnerung in einer adiaphorisierten Gesellschaft, einer Gesellschaft also in der ethische Überlegungen und die Verantwortung des Menschen für den Menschen weitgehend neutralisiert wurde, was die Quintessenz einer jeden kapitalistischen Gesellschaft ausmacht, in welcher der Unterscheid zwischen dem eigenen Erlebten und dem Anderen zu einer eigennützigen gegenwartsbezogenen Mystifikation wird, bei denen die zwischenmenschlichen sozialen Beziehungen nur den (Tausch)Wert besitzen, die der Konsummarkt vorschriebt?

In dem „Dancing Auschwitz“ Video ist bezeichnend, dass es zu einer Auflösung der sich aufdrängenden Fragen nicht kommt. Was sollte es sein? Eine Verarbeitung der eigenen Gefühle? Als Enkelkind eiens Auschwitz-Überlebenden kann ich mir dies beim besten Willen nicht vorstellen, wie jemand vor dem Tor „Arbeit macht frei“ zu tanzen zu mute ist.

Gewiss, es ist auch möglich den Faschismus in seiner Tragikomik zu zeigen, dabei auch das Thema Konzentrationslager zu berühren. Doch das was Charlie Chaplin mit „Der große Diktator“ gelungen ist, das System Hitler lächerlich zu machen und selbst in den Schlussszenen wenn das Tor von Auschwitz auf prophetische Weise gezeichnet wird, kommt es dennoch zu einer Katharsis, die große Rede des Frisörs der für Hinkel gehalten wird führt zur Auflösung des Faschismus. Ebenfalls mit Slapstick-Elementen versetzt gelang es auch Roberto Benigni in seinem „Das Leben ist schön“ trotz des nicht Zurückschreckens vor der dramatischen Szene der Ermordung des Vaters zu einer Überwindung der Gräuel. Das Kind wird am End von der Mutter empfangen und ist sich sicher in dem vom Vater inszenierten Versteckspiel als Schutz vor dem Massenmord gewonnen zu haben.

Es wäre vermessen den Film von Korman mit diesen beiden Filmen zu messen. Jedoch ist unklar, was ein Standfoto ihres Vaters an den Öfen von Auschwitz aussagen soll in zusammen geschnittenen Szenen von Tanzenden Tussis, die immerhin wissen müssten, dass für Filmaufnahmen dieser Art eine formelle Erlaubnis der KZ-Gedenkstätten-Verwaltung notwendig ist. Diese würde nicht erteilt werden, denn eine solche wird für Spielfilme nicht erteilt. So durfte auch Steven Spielberg für seine „Schindlers List“ nicht auf dem Gelände des Lagers drehen, obwohl dessen Handlung in Płaszów spielt, aber auch nicht Robert Thalheim „Am Ende kommen Touristen“.

Was also bleibt von dieser als „Kunst“ deklarierten Rumhampelei an einem Ort wo mehr als 1 Million Menschen ermordet wurden?

Siehe auch Interview mit Yehuda Shaul dem Gründer der israelischen Organisation „Breaking the Silence“:
http://www.haaretz.com/print-edition/features/head-to-head-breaking-the-silence-founder-yehuda-shaul-is-there-a-crack-in-the-israeli-army-s-wall-of-silence-1.300681

Michal Stachura | 13.07.10 17:24 | Permalink

TrackBack

TrackBack-URL zu diesem Eintrag:
http://www.ostblog.de/cgi-bin/mt/mt-tb.cgi/1151