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Gott und die Schwulen

„Du sollst nicht lieben“, Regie: Haim Tabakman

Von Angelika Nguyen

Erlaubt Gott das Schwulsein? Und wenn ja, darf er das? Auf keinen Fall erlaubt es jene ultraorthodoxe jüdische Gemeinde in Jerusalem. Dort lebt Aaron mit seiner Frau und seinen vier Kindern ein geordnetes Familienleben, wie es von ihm erwartet wird. Alles ändert sich, als in Aarons koscherer Fleischerei der junge, schöne, ebenfalls orthodoxe Student Ezri auftaucht und nach Arbeit fragt. Die erotische Anziehung zwischen beiden ist sofort zu spüren, wobei Ezri der sichere Verführer ist und Aaron der staunende Verführte.

Spannungsvoll und schlicht erzählt der Film die Annäherung der beiden. Vor dem ersten Kuss weicht Aaron noch zurück, versucht, es sich als religiöse Prüfung hinzustellen, die es zu bestehen gilt. In der Kühlkammer dann ist es mit der Zurückhaltung vorbei. In dem kleinen Zimmer über der Fleischerei beginnen Aaron und Ezri eine leidenschaftliche Affäre. Es ist nicht die große, lebensumspannende Liebe wie in Ang Lees Film Brokeback Mountain. Vielmehr ist Aaron für Ezri, der Liebeskummer hat, eine erotische Gelegenheit. Für Aaron wiederum ist die Affäre mit Ezri eine Befreiung aus dem unerfüllten leidenschaftslosen Leben mit Ehefrau Rivka. Groß wird die Liebesgeschichte erst durch den Widerstand der Gemeinde. Der wird eines Tages zur offenen Bedrohung, als eine Abordnung radikaler Juden in Aarons Laden drängt und fordert, Ezri müsse die Stadt verlassen. Ezri, als er sich seinem Ex-Liebhaber auf offener Straße nähert, wird zusammen geschlagen. Aaron muss sich entscheiden.

Die Geschichte wird geradlinig erzählt, ohne jede sentimentale Ausschmückung. Regisseur Haim Tabakman zeigt in diesem Spielfilmdebüt bereits eine klare visuelle Handschrift. Die traumhaft schönen Bilder entstehen durch eine fast strenge Stilisierung. Alles Zufällige in den Kulissen lässt der Film weg. Die Räume der Fleischerei wirken karg, nicht wie ein wirklicher Kaufladen, gebaut für die Darsteller, die die Gefühle ihrer Figuren sicher und genau spielen. Der Kamerablick auf das Wasserbecken außerhalb der Stadt, in das Ezri und Aaron anfangs nackt eintauchen, zeigt die biblische Landschaft, macht die Geschichte der beiden universell. Die abstrahierte Darstellung der Jerusalemer Straßen betont das Modellhafte. Denn die orthodoxe Welt ist für Tabakman auch nur ein Beispiel und Jerusalem nur einer von vielen Orten.

Der deutsche Filmtitel - im Gegensatz zum Originaltitel „Einaym Pkuhot“ (Mit offenen Augen) - zeigt bereits die konsequente Haltung des Films: Du sollst nicht lieben ist ein Gebot, das es nicht gibt. Wer aber Schwulsein verbietet, verbietet die Liebe. Nicht also Gott verbietet es, sondern Menschen.

Der Film erzählt nicht den Konflikt zweier gläubiger Schwuler mit ihrer Religion, sondern mit der religiösen Gemeinde, einem starren sozialen Regelwerk. Aaron und Ezri tragen stets ihre schwarz-weiße orthodoxe Uniform mit Gebetsschal und Kippa, außer wenn sie nackt sind. Sie befolgen alle religiösen Vorschriften. So wäscht sich Ezri vor dem Aufstehen in einer bereit stehenden Schüssel die Hände und so versieht Aaron gewissenhaft seinen Dienst in der Synagoge. Die beiden nehmen Gott ernst. Gerade das aber bedeutet Aufruhr.

Der Film rührt an ein Tabu des orthodoxen Judentums. In Israel wurde „Du sollst nicht lieben“ auf mehreren Festivals ausgezeichnet. In der orthodoxen jüdischen Welt hingegen hat es das Thema immer noch schwer. Die Wirkung eines einzelnen Filmes sollte nicht überschätzt werden. Das Schwierige sei, so Tabakman, dass Schwulsein dort schlichtweg nicht existiert. Und mit etwas, das nicht existiert, braucht man sich auch nicht auseinandersetzen. Daher ist es für den Regisseur schon viel, überhaupt wahrgenommen zu werden: „Wenn jemand zum ersten Mal sagt: Ja, ich weiß, das existiert, dann haben wir gewonnen.”

A.S.H. | 17.05.10 18:08 | Permalink