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WELTSTADT

Nicht nur ostdeutsch

Von Angelika Nguyen


2004 zündeten zwei junge Männer in Beeskow einen Obdachlosen an, der im Fröbelpark auf einer Bank schlief. Sie hätten nach Geld gesucht, sagten sie und aus Frust, weil sie nichts gefunden hätten, den Mann in Brand gesetzt. Beide wurden zu längeren Haftstrafen verurteilt. Das Opfer überlebte schwer verletzt.

Zwei Jahre später kehrte der Regisseur Christian Klandt, Jahrgang 1978, nach Beeskow zurück und drehte über dieses Verbrechen einen Spielfilm.

24 Stunden vor der Tat setzt der Film an. Parallel wird erzählt, wie fünf Menschen den Tag vor dem Mordanschlag verbringen: Till und Karsten, die späteren Täter, Steffi, Tills Freundin, Heinrich, der Imbissbudenbesitzer, Günter, der Polizist. Regelmäßig durchquert der obdachlose Jargo, das spätere Opfer, die Szene. Nicht als Gag, sondern weil das in einer Kleinstadt so ist. Man sieht sich. Man kennt sich. Die Personnage des Films ist beschränkt und verknüpft sich immer wieder neu. Günter ist auch Tills Vater, Heinrichs Bude ist nahe dem Park, Steffi wird später Passantin am Tatort.

Dieser Tag vor der Tat, erzählt der Film, ist ein ganz normaler Tag. Normal sind der Streit Karstens mit seiner Mutter, Tills Gang zum Lehrbetrieb, das Ablehnungsschreiben auf Steffis Bewerbung. Normal ist Günters Gespräch mit seiner Frau über Geld und dass Heinrich in seiner Imbissbude Öl für Pommes Frites einfüllt. Normal sind Langeweile, Perspektivlosigkeit, Angst. Aber an diesem Tag spitzen die Dinge sich zu.

Schließlich zeigt der Film den brutalen Mordversuch Tills und Karstens an dem Obdachlosen. An ihm lassen sie alles aus.

Aber der Film wählt die Tat nicht zum dramaturgischen Höhepunkt, er erzählt die Menschen danach weiter. Im letzten Teil bekommt die eigentlich nüchtern erzählte Geschichte magische Momente, wie sie vielleicht nur in einer Kleinstadt möglich sind. Sie steigern sich zu einem beklemmenden Schlussbild.

Nicht nur das Verbrechen wollte Christian Klandt rekonstruieren, sondern auch ein Porträt von Beeskow zeichnen. Er kennt sie gut, diese Stadt und ihre Menschen: er ist in ihr geboren.

Die genaue Ortsbestimmung ist dem Regisseur wichtig. Er meint Beeskow im Landkreis Oder-Spree, nennt es im Film auch so und hat an den Originalschauplätzen gedreht. Er wollte nicht, sagt Christian Klandt, den Schutz der Fiktion. “Der Film ist eine Liebeserklärung an meine Stadt.” sagt der Beeskower. Dazu gehört für ihn, dass er nichts beschönigt, schon gar nichts entschuldigt. Er wollte denen, die die Tat ignorieren wollten, einen Spiegel vorhalten. “Der Film ist für die 9000 Menschen meiner Heimatstadt.” Liebe heißt für Klandt aber auch, dass er ohne Vorurteile an die Geschichte herangeht.

Es ärgert ihn, dass der Osten, wie er meint, oftmals mit drei Wörtern charakterisiert wird: “Nazis, Hartz IV, Plattenbauten. Es ist sehr einfach zu sagen, alles klar, das ist der Osten,.” In dem Film kommen alle drei Klischees tatsächlich vor, aber für Christian Klandt sind sie Äußerlichkeiten. Sie machen nicht das Wesentliche aus. Er zeigt die Menschen in ihren Umständen, zeigt ihre Gefühle hinter dem sozialen Status.

Gewalt hält Christian Klandt für kein besonderes Merkmal des Ostens. Gut die Hälfte aller Gewalttaten, die er recherchiert habe, seien im Westen passiert. Wegsehen sei das Schlimmste. “In München, wo vor ein paar Wochen der 50jährige Mann totgeschlagen wurde, standen 15 Leute auf dem Bahnsteig. Das ist das eigentliche Problem. Darüber redet kaum einer. Das ist die Gesellschaftsform, in der wir heute leben. Das ist die Parallele zwischen Beeskow und München.”

Christian Klandts Gewissenhaftigkeit in Figurensprache und sozialem Gestus, seine genaue Detailkenntnis und authentischen Emotionen für Beeskow, sein konträrer Blick für die Schönheit des Ortes zahlten sich künstlerisch aus.

Anteilnahme des Publikums und Gespräche bei einer exklusiven Kinovorführung in Beeskow 2008 und sowohl deutsche als auch internationale Preise geben den Filmemachern Recht.

Der Film WELTSTADT ist das Resultat eines Seminars der Filmhochschule Babelsberg und ging mit dem Budget von 18.000 Euro auf Festivals in Konkurrenz mit Millionen-projekten. In Montréal, New York, Singapur, Bergamo, Zlin begeisterten sich Menschen für den Film. “Da sagten uns Leute, dieselbe Geschichte ist in meinem Land passiert, in meiner Stadt. Dann ist es nicht mehr typisch ostdeutsch.”

Christian Klandt versteht Kunst auch als Auftrag. Immerhin habe sein Regiestudium 450.000 Euro gekostet.

20 Jahre nach dem Mauerfall macht hier ein junger Regisseur aufmerksam. Auf den Zustand unserer Gesellschaft.

http://www.weltstadt.x-verleih.de/

A.S.H. | 05.11.09 18:12 | Permalink