« Weitere §129-Ermittlungen gegen "militante gruppe (mg)" eingestellt | Hauptseite | Kinder der Maschinenrepublik »

Nüchterne Tragödie

“Che – Guerrilla”, Regie: Steven Soderbergh
von Angelika Nguyen

Che-movie-poster2.jpg

Stärker noch als im ersten Teil vermittelt “Che-Guerrilla” seine Geschichte per Bildsprache. Der Film beginnt mit der Verlesung jenes Briefes, mit dem Che Guevara sich aus dem Staatsdienst Kubas und überhaupt von der kubanischen Revolution verabschiedet. Dunkel bleibt das angebliche Einvernehmen zwischen Castro und Guevara über diesen Schritt. Filmisch erzählt das Steven Soderbergh, der Kameraarbeit und Regie in Personalunion leistet, mit einer leicht verzerrten Perspektive auf ein TV-Bild. Damit nimmt er dem Ereignis das Offizielle, codiert Che Guevaras Verhältnis zu Kuba visuell. Hier ist etwas in Schieflage geraten, sagt das Bild, hier ist Ches Platz nicht länger, er muss weg.

Dem Kunstlicht der geschlossenen Räume des Anfangs entronnen, feiert Soderberghs Kamera das Wiedersehen mit dem natürlichen Licht der Hochebene Boliviens, den Elementen der Natur. Hier nun werden fast alle sterben.
Der Stil erzählerischer Nüchternheit, der “Che-Revolucion” auszeichnete, wird in “Che-Guerilla” fortgesetzt. Ja, die Abstinenz von jeglicher Sentimentalisierung scheint zunächst noch stärker zu sein. Distanziert und frei von Gerüchten um eine Liebesaffäre erzählt der Film die Mitwirkung der Deutschen Tania Bunke. Wütend darf Che Guevara sein, als Tanias Verhalten den Verlust einer lebenswichtigen Station zur Folge hat. Schwer asthmakrank, selbstkritisch, aber niemals verzweifelt, bleibt er der unermüdliche Stratege, der beim letzten Schusswechsel noch den Plan zum Ausbruch entwirft.

Ein Fest für Puristen, ein Leckerbissen für Cineasten, nur für den Mainstream zu subtil. Die Che-Filme sind eben nicht, wie behauptet, ein Heldenepos. Die Darstellung der Persönlichkeit Che Guevaras ist im zweiten Teil sogar noch zurück genommener als im ersten. Der Mann erscheint niemals allein: ein Credo des Films. Che, obwohl Anführer, wird konsequent als integriertes Gruppenmitglied gezeigt. Das geht filmisch so weit, dass Che in Dialogszenen manchmal in der Unschärfe erscheint. Seine Imagination ist ein so selbstverständliches Unterpfand, dass Soderbergh sie nicht extra inszenieren muss.

Das Ende von Ches Guerrilla-Truppe beginnt mit einem gewaltigen Kameraschwenk um 360 Grad. Nicht durch Schnitte unterbrochen, sehen wir in einem großen szenischen Arrangement von allen Seiten bolivianische Soldaten auf die Falle zuklettern, in der sich die letzten Kämpfer befinden. Wir sind gewissermaßen mitten im Kessel, erleben die Ausweglosigkeit sehr nah mit.

Das ist mehr als der Thriller, den der Verleih verspricht, das ist großes Kino.

Dabei ist Soderbergh keineswegs unsentimental, nur eben auf seine sachliche Art. Mitten in der Agonie, da einer nach dem anderen stirbt, leistet er sich filmisches Innehalten, zeigt er den Moment des Todes immer wieder als ein unerhörtes Ereignis: blutiges Verbandszeug, der letzte Blick auf rauschende Bäume.
Spannung erzeugt der Film durch die parallel gezeigte Vorbereitung des gemeinsamen Vernichtungsschlages von Landesarmee und CIA.

Als Che stirbt, ehrt der Film ihn nicht mit den üblichen Mitteln der Erhöhung, sondern mit einer Kamera neuen Typus und einer ungewöhnlich subjektiven Perspektive. Der Film, so nüchtern er ist, zeigt seine Liebe grandios in seinen Schlussszenen.

Jetzt stellt sich die Zweiteilung des Filmwerks endgültig als ungeeignet heraus. Es ist zu hoffen, dass später Programmkinos beide Teile hintereinander zeigen, damit zusammen kommt, was zusammen gehört


Teil 1. Eine Pop-Ikone wird lebendig

“Che-Revolucion”, Regie: Steven Soderbergh
von Angelika Nguyen

In einer Szene des Films wartet Ernesto Che Guevara in einem US-amerikanischen Fernsehstudio auf sein Interview. Eine Mitarbeiterin fragt ihn, ob er etwas Puder ins Gesicht möchte. Che schüttelt den Kopf. Kurzes Schweigen. “Ach ja”, sagt der Comandante daraufhin, “doch ein bisschen Puder, bitte.” Für eine solche Szene lässt Regisseur Steven Soderbergh sich Zeit. So unterläuft er eine berühmte Figur der kubanischen Revolution, macht er einen zur Pop-Ikone geronnenen Menschen wieder lebendig, gibt ihm, dessen stilisiertes Konterfei womöglich Millionen Zimmer und T-Shirts schmückt, seine Widersprüche zurück.

Ausgehend von der Erstarrung und Ikonisierung Che Guevaras wollte dieser Film den umgekehrten Weg gehen: zur jungen Unbefangenheit 1955, als Guevara Fidel Castro kennen lernte, zur Mühsal, zum Alltag des Guerrillakampfes um Kuba zurück bis zur Einnahme von Santa Clara, zu den wirklichen Auftritten, dem wirklichen Wortlaut der Reden. Che Guevara steigt in diesem Soderbergh-Film von seinem eigenen Denkmal herab und bekommt wieder menschliche Züge.
Dabei konzentrierten sich die Filmemacher auf zwei revolutionäre Kampagnen im Leben Che Guevaras. Die eine machte ihn berühmt, die andere brachte ihm den Tod: Kuba 1956 bis 1958 und Bolivien1966 bis 1967.
Weit entfernt von einem klassischen Biographiefilm, ist die Struktur des Films zunächst verwirrend. Zu Beginn sehen wir in extremer Nahaufnahme die Insignien der Che- Guevara-Ikone: schwarzer Bart, schwarze Baskenmütze, Zigarre. Isolierte TV- Interviewatmosphäre. Das ist, wie sich später herausstellt, ein zeitlicher Vorgriff. Immer wieder gibt es Rückblenden und Zukunftsszenen von Che Guevaras späterem UNO-Auftritt, jenem Interview mit Lisa Howard, der Begegnung mit Eugene McCarthy. Erzählerisches Zentrum aber ist der Alltag der Guerillos in Kubas Urwald, der praktische Kampf um die Macht im Land. Die Fülle des Materials, in sieben Jahren recherchiert, zwang Regisseur Steven Soderbergh zu einem Kino-Zweiteiler. Steven Soderbergh verschränkt auch hier wieder virtuos unterschiedliche Zeit- und Raumebenen. Die diplomatischen Schlaglichter zeigt der Film in semidokumentarischer Manier schwarz-weiß, stellt sie in scharfen Kontrast zum natürlichen Licht der Außenaufnahmen in Dörfern und im Dschungel. zum Lärm der Gewehrschüsse, dem Stress der angreifenden oder zurückweichenden Guerillios, der Hast, mit der Verwundete geborgen werden, zum Tempo der Entscheidungen, Rekrutierungen, Verarztungen, die Che Guevara am laufenden Band zu bewältigen hat. Hinzu kommt eine natürlich gehaltene Tonspur, Szenengeräusche und kaum Musik. Hier erlaubt sich Soderbergh keinerlei Stilisierung, nicht mal ein bisschen Zeitlupe oder eine einsame Pose des Che. Im Gegenteil, Che Guevara erscheint immer in der Gruppe. Nicht chronologisch-buchhalterische Auflistung von Che Guevaras Biographie stand hier im Vordergrund, eher die Interpretation, ein Projekt engagierter Filmemacher, ein Credo, gestützt auf die subjektive Wahrhaftigkeit von Tagebüchern – der Tagebücher von Che Guevara selbst. So erzählt der Film sehr genau den Hergang einer Episode, an deren Ende Che Guevara Guerillos exekutiert, die ein Mädchen vergewaltigt und dessen Familie massakriert haben. Auch Che Guevaras Augenmerk auf Alphabetentum als ein wichtiges Fundament für den Kampf wird ausführlich in einer Szene erzählt, in der er Bewerbern die zwei Bedingungen für Rekrutierungen nennt: eine eigene Waffe und die Fähigkeit zum Lesen und Schreiben. “Zorn und Entschlossenheit” sagte Alberto Korda, der das berühmte Foto von Che Guevara schoss, “waren in seinem Blick.” Beides spielt der Puertoricaner Benicio del Toro sichtbar und ohne jede Exaltiertheit. Selbst mit Charisma und starker Körperpräsenz ausgestattet, sieht er Che Guevara verblüffend ähnlich. Furchtlos zeigt Benicio del Toro die vielen Facetten seiner überlebensgroßen Figur: Wärme und Sachkenntnis des Arztes, Unabhängigkeit und Sozialität, physische Urkraft und Charme, Härte und Gespür für Notwendigkeiten. Immer in seiner praktischen Bezugnahme, niemals als Pose. Das hat Benicio del Toro zu Recht in Cannes den Darstellerpreis eingebracht. Steven Soderbergh wiederum hat eine Ausnahmestellung in Hollywood, denn er kann beides: ernsthafte Gesellschaftskritik mit “Traffic” und perfekte Unterhaltung mit “Ocean’s Eleven”. Eine Nüchternheit, fast Sachlichkeit, ist allen seinen Filmen eigen. So auch bei “Che”. Bis zum Ende des ersten Teils spart Soderbergh offensichtlich bedacht Momente mit sentimentalem Potential aus: die Liebesgeschichte mit Aleida etwa oder den siegreichen Einzug der Kämpfer in Havanna.

Der Film ist weder Hohelied noch Denunziation. Gewissenhaft, auch unbestechlich, verarbeitet er das dramatische Material einer realen Biographie, die ihre eigene Dramaturgie mitbringt: das eine Mal als Triumph, das andre Mal als Tragödie.
Dabei mag die Zweiteilung zwar pragmatisch richtig, in Hinblick auf kathartische Erlösung aber eher hinderlich sein. Denn der Film “Che – Revolucion” endet gewissermaßen mitten im Satz.

Der zweite Teil ist noch anderthalb Monate weit weg.

http://www.trailerseite.de/archiv/trailer-2009/11341-che-film-trailer.html

A.S.H. | 21.07.09 20:01 | Permalink