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Zur Diskussion über die jüngsten Anschläge in Nordirland

Von Jürgen Schneider

Nach den Anschlägen in Nordirland vom 07. und 09. März 2009, bei denen zwei britische Soldaten und ein nordirischer Polizist ums Leben kamen, sind am 11. März mehrere Tausend Menschen zu Mahnwachen in Belfast, Derry und an anderen Orten zusammengekommen, um ihrem Willen Ausdruck zu verleihen, nicht in Kriegszeiten zurückkehren zu müssen. Zudem hat in den Medien eine Diskussion über die Bedeutung und die Rolle der irisch-republikanischen Organisationen begonnen, die sich für die Anschläge verantwortlich erklärt haben – die Real IRA (RIRA) und die Continuity IRA (CIRA).


Anthony McIntyre, Autor des jüngst erschienenen Buches »Good Friday: The Death of Irish Republicanism« und einst Kämpfer der IRA, schreibt in einem Text mit der Überschrift ›Massereen‹1: »Wie die meisten anderen, die einigermaßen mit den republikanischen Entwicklungen vertraut sind, hatte ich das Gefühl, dass – wenn schlauere Köpfe ihren Einfluss auf die Zentren der Entscheidung, die in der republikanischen Gewalttradition stehen, nicht geltend machen können –, es nur eine Frage der Zeit sein würde, bis Republikaner in einem sinnlosen Akt des Militarismus ein Mitglied der britischen Sicherheitsapparate töten würden.« Der Anschlag auf die Massereen-Kaserne sei durch eine von den meisten Leuten den Attentätern nicht zugetraute »Effzienz und eine stählerne Entschlossenheit« gekennzeichnet gewesen. Es gäbe junge Leute, die der Meinung seien, solche Aktionen müssten durchgeführt und nicht abgelehnt werden. Es habe sich um eine Aktion gehandelt, für die ein IRA-Mann wie Francis Hughes [der 1981 während des Hungerstreiks im Gefangenenlager Long Kesh starb] bekannt gewesen sei und für die ihn der britische Nordirlandminister als Kriminellen bezeichnet hätte. Das Massereen-Attentat sei ununterscheidbar von ähnlichen Angriffen, wie sie von der Provisorischen IRA während ihres bewaffneten Kampfes durchgeführt worden seien. Es werde jedoch keine Kampagne von dem Ausmaß des gescheiterten Unternehmens der Provisorischen IRA in Gang setzen. Und wenn letzteres unter Umständen gescheitert sei, die mehr Aussicht auf Erfolg versprochen hätten als die heutige Situation, würde auch den gegenwärtigen bewaffneten republikanischen Aktionen kein Erfolg beschieden sein. Wenn diejenigen, die derartige Aktivitäten vorantrieben, politisch so kurzsichtig seien, dass sie die Konsequenzen nicht sähen, würden sie sich mit einiger Sicherheit als empfänglich für jene Art von Annäherungen erweisen, mit der sich Sinn Féin so kompromittiert hätte. Die Dissidenten verachteten die katholische Partei, die sich in die britische Verwaltung Irlands habe locken lassen, wo sie nun Schulter an Schulter mit dem derzeitigen Nordirlandminister stünde und alle als ›Kriminelle‹ bezeichnete, die der von Sinn Féin aufgegebenen Position anhingen, es gelte, den bewaffneten Kampf unmissverständlich zu unterstützen. McIntyre fährt fort: »Hin und wieder heißt es, ›wenn du das tust, was du schon immer getan hast, wirst du das bekommen, was du schon immer bekommen hast‹. Tote auf allen Seiten, Gräber, Beerdigungen, Witwen, Kinder, die mit nur einem Elternteil aufwachsen müssen, Gefängnisse, Menschenrechtsverletzungen und am Ende des Ganzen kein vereinigtes Irland. Warum dieses Verlangen nach dem Scheitern? Die Phantasie des Republikanismus muss selbstverständlich weitreichender sein.«

Ed Moloney, Autor des Buches »The Secret History of the IRA«, schreibt unter der Überschrift ›This attack will be a recruiting call in the Bogside‹2: »Dies ist keine gute Zeit für Sinn Féin, um sich der Konkurrenz einer wiederauferstandenen Real IRA gegenüber zu sehen, keine gute Zeit, die britischen Sicherheitskräfte gegen Angriffe von dissidenten Republikanern verteidigen zu müssen. Die Partei hat zwei harte Jahre hinter sich – ihrer alternden Führung wurde vorgeworfen, sie vernachlässige das Wohlergehen ihrer Unterstützer in West Belfast und mache einen Kotau vor der Democratic Unionist Party in Stormont [Sitz des Regionalparlaments], während die Strategie mit dem Versprechen, Sinn Féin auf beiden Seiten der Grenze an die Macht zu bringen, in Scherben liegt. Eine Aura des Niedergangs umgibt die Partei. Jetzt steht sie einer Real IRA gegenüber, die mit einem brutalen Angriff in Antrim ihr Image, eine inkompetente, korrupte und durch und durch infiltrierte Organisation zu sein, abgestreift hat und es offenbar an tödlicher Effizienz mit der Provisorischen IRA aufnehmen kann. Darüber hinaus droht die schlimmste ökonomische Rezession seit Menschengedenken die Reihen solcher dissidenter Gruppen mit arbeitslosen Jugendlichen aus West Belfast und der Bogside in Derry zu verstärken.«

Ähnlich argumentiert der frühere IRA-Kommandant Tommy McKearney in einem Interview von »Spiegel online« unter der Überschrift ›In den IRA-Splittergruppen sammeln sich erfahrene Kämpfer‹: »Bisher hat man von diesen Organisationen zwar die alte Rhetorik der siebziger Jahre gehört, aber sie hatten nicht das Potential, ihre Drohungen wahr zu machen. Jetzt haben sie neue Leute, und das ist der Unterschied. Beunruhigender ist jedoch, dass es in den marginalisierten und verarmten Vierteln Überreste von Unterstützung zu geben scheint. Der Neoliberalismus und die auseinander gegangene Schere zwischen Arm und Reich haben zu einer Frustration geführt, die ein Ventil sucht.«3

In seinem Artikel ›Divided by bitter internal rancour, these dissidents CAN be defeated‹4 schreibt Moloney, die Abspaltungen von der Provisorischen IRA würden den Friedensprozess nicht scheitern lassen können. Diese Hoffnung habe sich mit dem Rauch des verheerenden Bombenanschlags von Omagh im Jahr 1998 aufgelöst, bei dem 29 Menschen getötet und 220 zum Teil schwer verletzt wurden. »Die Real IRA wurde für diese Katastrophe verantwortlich gemacht, war aber nicht allein dafür verantwortlich.« Im Sommer 1998 hätten die Real IRA (die ein paar Monate zuvor als Abspaltung von der Provisorischen IRA entstanden war), die Continuity IRA (die als der militärische Arm von Republican Sinn Féin gilt) sowie die bereits 1974 als Abspaltung von der IRA entstandene Irish National Liberation Army (INLA) kooperiert, versucht eine Einheit gegen den von Sinn Féin angeführten Friedensprozess zu bilden und sich auf ein gemeinsames Programm zu einigen. Derweil seien sie überein gekommen, auf militärischer Ebene zusammenzuarbeiten. Bei dem Bombenanschlag in Omagh habe die Real IRA den Sprengstoff geliefert und sei für die Kommunikation verantwortlich gewesen, die Continuity IRA habe das Angriffsziel ausgewählt und ein paar Mann zur Verfügung gestellt, während die INLA den Wagen beschafft habe, in dem die Bombe transportiert wurde. »Nach Omagh zerbrach die Allianz, vor allem, weil die Real IRA verbittert darüber war, dass allein sie für den Anschlag verantwortlich gemacht wurde. Doch die Allianz war ohnehin schon brüchig wegen schwerwiegender ideologischer Differenzen zwischen allen drei Organisationen und Konflikten zwischen einzelnen Mitgliedern. Der wichtigste Teil dieser Geschichte ist, dass die drei Gruppen ihre Differenzen nicht wieder beilegen konnten.«

Eamonn McCann, Aktivist seit den Tagen der nordirischen Bürgerrechtsbewegung Ende der 1960er Jahre, sieht in der Real IRA eine reale militärische Gefahr. Die Warnung des nordirischen Polizeichefs Sir Hugh Orde müsse ernst genommen werden, schrieb McCann in seinem Artikel ›Don't believe Sinn Fein's propaganda that this atrocity is simply the work of racketeering thugs - the danger is real‹.5 »Die wichtigste politische Folge des Anschlages der Real IRA in Antrim vom Samstag ist wohl die, dass er die Führung von Sinn Féin dazu bewogen hat, ihre Unterstützer zu drängen, andere Republikaner zu denunzieren. Dies markiert einen weiteren Schritt von Sinn Féin hin zu der völligen Anerkennung der Legitimität des nördlichen Staatsgebildes. Die RIRA ist damit vielleicht in einer besseren Position als je zuvor, das entstandene Vakuum zu füllen.«

McCann beschreibt, wie die Sinn Féin-Führung sich in den letzten Monaten Schritt für Schritt dem nun propagierten Denunziantentum genähert hat. Dazu gehört die wie ein Mantra wiederholte Aussage, bei der Real IRA oder den anderen Abspaltungen von der IRA handele es sich um winzige Gruppierungen, denen es an Unterstützung mangele. Und waren die dissidenten Republikaner von den einstigen Genossen erst einmal als Kriminelle abgestempelt, durften die Aufrufe, sie ans Messer zu liefern, auch nicht als solche bezeichnet werden, da es laut einem von McCann zitierten Sinn Féin-Sprecher doch nur um »den Versuch geht, einen Kontext zu schaffen, in dem die Kooperation [mit der nordirischen Polizei, dem Police Service of Northern Ireland] besser wird und zunimmt«.

McCann erinnert Sinn Féin daran, dass irische Republikaner eine breite Unterstützung nie als notwendige Bedingung angesehen haben, den bewaffneten Kampf führen zu können. Das sei die Auffassung der Provisorischen IRA während ihrer bewaffneten Kampagne gewesen, wenn dies in jüngster Zeit auch ein »energischer Revisionismus« leugnen wolle. »Die Provos mögen die meiste Zeit über mehr Unterstützung gehabt haben als die Real IRA sie heute genießt. Doch dies war nie ein notwendiger Faktor. Bewaffnete Republikaner haben ihr Mandat stets nicht von der Anhängerschaft hergeleitet, in deren Namen der Kampf geführt wurde, sondern aus der Geschichte. Sie sehen sich als Verteidiger der Ostern 1916 von Patrick Pearse auf den Stufen des Hauptpostamtes ausgerufenen Republik – einer Republik, die nicht als ein zu erreichendes Ziel erachtet wird, sondern als eine tatsächlich existierende Entität, die es mit Waffen zu verteidigen gilt.«


1) http://thepensivequill.am/2009/03/massereene.html
2) http://www.dailymail.co.uk/debate/article-1160971/ED-MOLONEY-This-attack-recruiting-Bogside.html
3) http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,612538,00.html
4) http://www.dailymail.co.uk/debate/article-1161249/ED-MOLONEY-Divided-bitter-internal-rancour-dissidents-CAN-defeated.html
5) http://www.dailymail.co.uk/debate/article-1160977/EAMONN-MCCANN-Dont-believe-Sinn-Feins-propaganda-atrocity.html

A.S.H. | 12.03.09 18:00 | Permalink