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Angriff auf britische Streitkräfte in der nordirischen Grafschaft Antrim

Von Jürgen Schneider.

Am Samstagabend wurden bei einem Anschlag auf die Massereene-Kaserne in der nordirischen Grafschaft Antrim zwei britische Soldaten getötet. Zwei weitere Soldaten sowie zwei Boten von Dominos Pizza im Städtchen Antrim trugen schwere Verletzungen davon. Laut britischen Medien hielten die Soldaten die Attentäter für die Pizza-Boten und seien auf sie zugegangen, als aus deren Auto heraus das Feuer eröffnet wurde. Zeugen wollen zwei Maschinengewehrsalven gehört haben. Es ist dies der erste tödliche Anschlag auf britische Soldaten in Nordirland seit dem Februar 1997.

Ende Juli 2007 hatte die britische Regierung die »Operation Banner« für beendet erklärt. Damaligen Medienberichten zufolge war damit die seit 1969 anhaltende britische Militärpräsenz in Nordirland beendet. Weitgehend verschwiegen wurde, dass mit dem 1. August 2007 die »Operation Helvetic« begann. Einheiten der britischen Streitkräfte blieben weiter in Nordirland stationiert und können, mit umfangreichen Vollmachten ausgestattet, jederzeit zur Unterstützung des Police Service of Northern Ireland (PSNI) eingesetzt werden.

Die Massereene-Kaserne ist die Stationierungsbasis des britischen 38 Engineer Regiment, das laut einer Armeewebsite »seit seiner Rückkehr aus dem Irak nach Irland im Sommer 2008 für die nächsten Jahre mit der Bowman-Umstellung beschäftig sein wird«. Im Rahmen des Konzeptes der vernetzten Operationsführung (Network Enabled Capability) soll das Bowman-Funksystem die Anforderungen der britischen Streitkräfte an die Übermittlung taktischer Informationen erfüllen. Es soll das bisherige Clansman-Gefechtsfunksystem ersetzen und für sichere Sprachkommunikation und Datenübermittlung sorgen.

Britische Politiker und Medien machen »dissident Republicans« für das Attentat in der Grafschaft Antrim verantwortlich. Bei diesen handelt es sich um Mitglieder von Gruppen, die sich von der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) abspalteten, weil sie den Friedenskurs von IRA und der mit ihr verbundenen Partei Sinn Féin für einen Verrat an den Idealen des irischen Republikanismus halten. Die Dissidenten verfügen über keine breite Basis oder Unterstützung. Die IRA hatte ihre militärische Kampagne nicht zuletzt deshalb eingestellt und ihre Waffen unter internationaler Aufsicht abgegeben, weil sie zu der Erkenntnis gekommen war, dass sich die britische Übermacht militärisch nicht bezwingen lässt und die Bevölkerung des Krieges müde geworden war.

Erst am Donnerstag hatte der nordirische Polizeichef, Sir Hugh Orde, gewarnt, die Dissidenten stellten eine seit seinem Amtsantritt vor sieben Jahren nicht gekannte Gefahr dar. Gleichzeitig hatte er mitgeteilt, dass Soldaten des Special Reconnaissance Regiment (SRR) in Nordirland operieren. Laut einem Bericht der Irish Times sind die Soldaten dieser Spezialeinheit aus dem Irak und Afghanistan nach Nordirland abkommandiert worden. Der in London erscheinenden Times zufolge sind sie bereits seit Januar in Nordirland. Sir Orde erklärte, ihnen käme jedoch »keine operative Rolle« zu. Die Irish Times zitierte einen nicht namentlich genannten Sicherheitsexperten mit den Worten: »Die Jungs des Special Reconnaissance Regiment sind nicht die, die Türen eintreten. Sie liefern allerdings denjenigen, die es tun, die notwendigen Informationen.«

Das SRR wurde 2005 aufgestellt. Über dessen Aufgaben informierte der damalige Verteidigungsminister Hoon am 5. April 2005 schriftlich das Unterhaus: »Die Aufstellung des Special Reconnaissance Regiment zeigt unseren Willen, unsere Streitkräfte den Anforderungen des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus anzupassen. Das neue Regiment wird dabei helfen, das wachsende Bedürfnis nach besonderen Aufklärungsfähigkeiten zu erfüllen.« Die Hauptaufgabe der Einheit sei die weltweite nachrichtendienstliche Unterstützung britischer Einsätze gegen internationale Terroristen. Die schottische Tageszeitung The Scotsman schrieb, die Spezialeinheit solle bei derartigen Einsätzen die Informationsbeschaffung »mittels human intelligence« sicherstellen, mittels menschlicher Quellen also. Im Gegensatz zur nachrichtendienstlich-technischen Aufklärung (Signal Intelligence) werde dabei jede Art der verdeckten Operation in fremden Hoheitsgebieten genutzt.

Die Soldaten des SRR wurden vor allem aus den Reihen des Special Air Service (SAS) und der 14th Intelligence Unit rekrutiert. Beide Spezialeinheiten sind nicht nur in Nordirland wegen ihrer Shoot-to-kill-Politik berüchtigt.

Seine »Feuertaufe« erlebte das Special Reconnaissance Regiment im Sommer 2005, als es in die Erschießung des brasilianischen Staatsbürgers Jean Charles de Menezes involviert war. Der vom SRR als Terrorist erachtete Elektriker war in der Londoner U-Bahn-Station Stockwell regelrecht hingerichtet worden. Wie sich aber rasch herausstellte, war der Terrorismusverdacht völlig unhaltbar. Ebenfalls im Jahr 2005 waren zwei im irakischen Basra von Aufständischen festgesetzte SRR-Soldaten in einer Kommandoaktion befreit worden.

Zum Nordirland-Einsatz des SRR hatte Sinn Féin-Präsident Gerry Adams am Samstag erklärt: »Für britische Spezialeinheiten kann es in Polizeistrukturen, die den Bürgern verpflichtet und ihnen gegenüber verantwortlich sind, keinen Platz geben. Die Menschen in Irland wissen sehr genau, wie diese Einheiten zu operieren pflegten. Sinn Féin-Mitglieder und viele andere Menschen in Irland sind bei zahllosen Gelegenheiten von diesen mit unionistischen Mörderbanden zusammenarbeitenden Einheiten ins Visier genommen worden.«

Auch andere Politiker von Sinn Féin und der Social Democratic Labour Party (SDLP) kritisierten Sir Hugh Orde in den vergangenen Tagen heftig, hatte er es doch nicht für nötig befunden, Sir Des Rea, den Vorsitzenden des Northern Ireland Policing Board davon zu informieren, dass das Special Reconnaissance Regiment eingesetzt wird.
Anders als diese nordirischen Politiker weiß ihr Polizeichef, dass das nordirische Regionalparlament über keinerlei Machtbefugnisse verfügt, wenn es um den Einsatz britischer Truppen geht. Über einen solchen Einsatz entscheiden einzig und allein die Regierungsverantwortlichen in London. Orde war einer Empfehlung des britischen Geheimdienstes MI 5 gefolgt, dessen Agenten von einer Basis im Osten Belfasts aus schalten und walten, wie sie wollen, ohne sich um das in der Nähe gelegene Stormont-Parlament scheren zu müssen. Es ist jener MI 5, dessen Agenten der jüngst aus Guantanamo entlassene englische Staatsbürger Binyam Mohamed in einem Interview mit der Mail on Sunday (8.März 2009) beschuldigte, sie hätten seine Folterer in Marokko mit den Fragen gefüttert, die diese ihm gestellt hätten.

Am Sonntagnachmittag bezeichnete Sinn Féin-Präsident Gerry Adams das tödliche Massereene-Attentat »als falsch und kontraproduktiv«. Die Attentäter wollten, dass britische Soldaten wieder auf Nordirlands Straßen zurückkehrten.

A.S.H. | 08.03.09 16:25 | Permalink