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Tanz mit dem Maschinengewehr

“Waltz With Bashir” rekonstruiert Massaker zwischen Dokumentation und Traum

Von Angelika Nguyen

Er war dabei, aber er weiß nichts mehr. Mit 19 Jahren zog Ari Folman als israelischer Soldat in den ersten Libanonkrieg. Das war 1982. Mit 40 stellt Folman fest, dass er sich nicht daran erinnern kann. Er meint nicht die historischen Fakten, die sind überall nachzulesen. Er meint seine eigene Erinnerung.

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Was war so furchtbar, dass sein Gedächtnis davor zurück schreckt? Wie in einem Thriller kreist der Film “Waltz With Bashir” Aris Verbindung mit den Ereignissen in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Shatila immer mehr ein. Am Ende liegen Hunderte Frauen, Kinder und Männer tot in den Straßen. Niemand hat sie beschützt vor den Mördern, auch Ari Folman nicht. Obwohl er sich, wie ein Freund im Film bemerkt, im inneren Kreis befand. Darum erinnert sich Ari nicht mehr. Es geht um Schuld und um die Analogie von Ereignissen , die scheinbar nichts miteinander zu tun haben.

Du denkst an dieses Massaker, weil du dich an ein anderes Massaker erinnerst, sagt Aris Psycholanaliytiker-Freund, du interessierst dich für die Flüchlingslager, weil du andere Lager kanntest. Waren deine Eltern in Auschwitz? Ari nickt.

Warum ein Zeichentrick, wenn es um Krieg und Massaker geht? Diese Frage wurde Ari Folman oft gestellt. Er sagt, er könne sie nicht mehr hören. In der Tat enthält die Erklärung bereits der Film selbst. Kein Problem, sagt ein Freund während eines Interviews zu Ari, wenn du mich zeichnest und nicht filmst. Es geht also um Distanz, aber nicht nur. Dem Regisseur geht es auch um die Ausschöpfung bildnerischer Möglichkeiten, die die Kamera nicht hat.

Wie hätte Folman zum Beispiel real jenen Tanz filmen können, der dem Film seinen Namen gab. Im zerstörten Beirut fängt mitten im Straßenkampf ein israelischer Soldat an zu tanzen, im Walzerschritt. Vom Krieg meschugge geworden, dreht er sich schießend in Zeitlupe umher, an den Häuserwänden hängen Plakate von Bashir Gemayel. Oder wie hätte real jene überlebensgroße nackte Frau ausgesehen, die den winzig kleinen Carrie über Bord des Schiffes hebt und ihn in ihrem Schoß haltend, übers Meer rudert? Wie hätte auch diese magische Szene gelitten, in der blutjunge Männer, mit Erkennungsmarken um den Hals, am Ufer des zerstörten Beirut traumhaft langsam aus dem Meer steigen, wären sie von realen Schauspielern dargestellt worden. Wie unmöglich wäre es schließlich gewesen, die angeschossenen Pferde langsam krepieren zu lassen, bis Fliegen über ihre starren Augen krabbeln?
Das Irreale vieler Szenen, der oft unmittelbare Übergang von Realität in Traumwelten ist ein wichtiges Merkmal dieses Films. Träume, eigene und die seiner Freunde, weisen im Laufe des Films dem ehemaligen Soldaten Ari den Weg zur Wahrheit. Jeder Traum bringt ihn der Wahrheit ein Stück näher. Und diese ist real. Es ist das Massaker von Sabra und Shatila.

Ari muss die Wahrhheit finden, nicht nur über diese Zeit damals im ersten Libanonkrieg, sondern auch über sich selbst. Der Film ist vieles zugleich: ein Clip, große Zeichenkunst, kinematographischer Genuss, ein Generationsporträt, ein Krimi.

Mit der Empfindsamkeit für Katastrophen, die jüdische Geschichte mit sich bringt, fällt gegen Ende des Films Ari Folman noch eine Szene ein, die er mit eignen Augen gesehen hat: palästinensische Frauen und Kinder müssen mit erhobenen Händen vor den bewaffneten phalangistischen Milizen hergehen, auf dem Weg zur Erschießung. Das Entsetzliche dieser Szene kann Ari erfassen, indem er es mit einem berühmten Foto aus der jüdischen Ikonographie der Shoa vergleicht. Der kleine palästinensische Junge, den die Mörder abführen, ähnelt dem kleinen jüdischen Jungen, der im Warschauer Ghetto von SS-Männern abgeführt wurde. Mit diesem einfachen, einleuchtenden Vergleich überwindet der Regisseur filmisch den Abgrund zwischen Israelis und Palästinensern, gelingt es dem Sohn von Auschwitzüberlebenden, fremdes Leid zu seinem eignen zu machen.

Am Ende des Films lässt Ari Folman alle Kunst und ersetzt den Zeichentrick mit den gekörnten realen Bildern einer Amateurkamera von damals. Zu sehen sind überlebende Frauen, die um die Toten trauern, entsetzt, laut schreiend, zu sehen ist ein totes Kind unter Fliegen und Haustrümmern.

Es ist wirklich geschehen.

Mehr: http://waltz-with-bashir.pandorafilm.de/index.php

A.S.H. | 12.11.08 10:46 | Permalink