« Neue Erkenntnisse zur Eichmann-Entführung? | Hauptseite | Die Aktion. Zeitschrift für Politik, Literatur, Kunst. »

GREUDE FRÖNER SCHÖTTERGUNKEN

– Der Kleinstverlag Peter Engstler mit Großlesung in Frankfurt

von Jürgen Schneider

Den Verlag Peter Engstler gab es schon, als Braumeister Leipold von der kriselnden Dorfbrauerei Peter im unterfränkischen Ostheim, Biosphärenreservat Rhön, »nach einer Fannda ohne Chemie« forschte und das alkoholfreie Erfrischungsgetränk Bionade erfand. Groß sind sie geworden, die Biobrausehersteller, doch der Ostheimer Verlag Peter Engstler kommt nach wie vor klein, aber oho, daher, wenn auch die Backlist mittlerweile auf 70 Titel angewachsen ist. Das ungeschriebene Motto des Verlages lautet: »Gegen die lineare Langeweile.« Zu seinen Autoren gehören u. a. Jörg Burkhard, William Burroughs, Hadayatullah Hübsch, Bert Papenfuß, Jürgen Ploog, Ulf Stolterfoht und mit der Neuerscheinung »Die elektrische Banane/2-fisted version/« nun auch die 2006 verstorbene Mary Beach. Deren Cut-up-Collage preist Burroughs in der Einleitung mit den Worten: »Sprache wird enthüllt als ein dreidimensionaler Organismus von enormer Ausdehnung, der sich weltweit in Milliarden von Kehlköpfen artikuliert (...) als hätte ein gewaltiger Krake mit Myriaden von Tentakeln alles im Griff, und all die miteinander verhedderten Wortschnüre erscheinen wie ein einziger endloser Wurm.«

Peter Engstler schert sich nicht um die Taktzeiten der Krake Buchmarkt mit der strikten Teilung in Herbst- und Frühjahrsprogramm und den obligatorischen Auftritten bei den Buchmessen in Leipzig und Frankfurt. An der Frankfurter Buchmesse nimmt er nur jedes zweite Jahr teil. Im buchmessefreien Jahr veranstaltet er auf einer Jungviehweide in der Rhön eine Mammutlesung mit den Autorinnen und Autoren seines Verlages. Am ersten Buchmessetag in Frankfurt lässt er sie nun im dortigen Mal Seh'n Kino auftreten, die meisten mit Neuerscheinungen.

Jürgen Ploog bereichert den Buchherbst mit seinem Essay »Simulatives Schreiben«, der ein Plädoyer für das Prinzip der Montage und Decollage ist. Ploog zufolge taugen die linear-hierarchischen Muster der alphabetischen Kodierung nicht mehr, Vorgänge der aus dem materiellen Gegebenheiten ausgebrochenen Lebenswelt zu erfassen, sie erlebbar zu machen. Hat der Schreiber »den Himmel über sich oder ist er von Partikeln umgeben, die sich in Spiralen verflüchtigen & gelegentlich zu Gebilden zusammenfügen? Das ist der Schritt aus dem Historischen ins Formale, & die sich daraus ergebende Formel wäre dann, in Windungen zu denken & zu leben. Kategorische Begriffe wie Anfang & Ende sind damit insofern auf der Strecke geblieben, als im Anfang das Ende eingewirkt ist.«
Jörg Burkhard bietet in »Rheinmetall« wieder subversiven »Niederfrequenz-Salat«. Mit dieser Bezeichnung charakterisierte Engstler-Autor Helmut Höge (»Neurosibirsk«) einmal das Burkhard’sche Verfahren, den ständig auf uns niedergehenden Wortmüll zu filtern. Unter der Überschrift »GREUDE FRÖNER SCHÖTTER GUNKEN« und unter Berufung auf den »18. Brumaire« von olle Marx rückt Burkhard dem »parlamentarischen Kretinismus« im »deutschreichland« zu Leibe. Unter den auf sieben Seiten in die Schreibmaschine gehauenen Injurien sind »arschfallas« und »schrumpfnazis« noch die harmlosesten für den »vip mob (...) des deutschen hundtags«, wie »roi losse«, der nicht aufhört, das »Horst-Wessi-Lied« zu spielen. Der Preziose ›BLEIBE IM ALDI UND NÄHRE DICH REDLICH‹ entnehmen wir, dass Burkhard in seinem Morris Minor einst Herrn Schmierer (früher ZK Kommunistischer Bund Westdeutschland, dann auf dem Feldherrenhügel des heutigen Albright-Kulis Joseph Fischer) von Heidelberg über den Gotthard gen Italien karrte. Der Morris lahmte, weil der selbsternannte Proletenführer, »stalinbonsai« Schmierer, bergeweise Raviolidosen aus Aldiland in den Pastastiefel chauffieren ließ, »eine auseinandersetzung mit den italienischen genossen nicht auf der tagesordnung«.

Bert Papenfuß kommt mit »Rumbalotte Continua« (5. Folge) daher, geht frei mit Songtexten von allerlei Rockern um (Hawkwind, Captain Beefheart, Black Debbath, Black Sabbath u. a.), übersetzt mit Maria Randina Gedichte des ukrainischen Anarchisten Nestor Machno, streut Fußnoten zuhauf und konstatiert: »So ist das mit Kunst und Wulst: Kunst fließt, Wulst stockt. Soll ist Sülze.«

Paulus Böhmer hat »21 Briefe an Froilleins« adressiert, in denen von merkwürdigen Wesen, wie etwa dem Savannenspezi, den Gelee-Aposteln oder von Mastmäusen die Rede ist. Matratzengeflüster? Der ›Brief an Moni in the Hall of Fames‹ ist überschrieben: ›Nein, Stolterfoht‹. Dieser Stolterfoht sei keine Sonderbriefmarke, auch kein Erdferkel nicht. Und weiter:»Beuys erklärt mit einem mit honigbestrichenem und mit blattgoldbelegten Hasen seine Bilder. Stolterfoht? Stolterfoht ist nicht zu trauen.« Nein? Nur weil der mal notiert hat: »das gefühl im mund: lyrik jahrelanng mit einem unaufgeräumten kulturbeutel verwechselt zu haben«? Trau, schau: Ulf Stolterfoth untersucht und dekonstruiert Fachsprachen der Radiotechnik etwa ebenso wie der Schweinemast (s. »fachsprachen«, drei bände, I-IX, X-XVIII, XIX-XXVII, alle verlegt von Editor Urs Engeler). Und auch sein Opus »holzrauch über heslach« (ebenfalls Engeler) gilt in gewisser Weise einer Fachsprache, dem Idiom des Ortes, in dem er aufwuchs. Bei Engstler erschien bereits 2005 »traktat vom widergang«, dem im nächsten Jahr ein neues Büchlein folgen wird.

Und last, but not least, werden im Mal Seh’n Kino lesen: die norwegische Elfe Tone Avenstroup (»sølvskjekny/provolog«, 2007) sowie Caroline Hartge. Letztere widmet sich in ihrem Gedichtband »Wilde Brombeeren« den Epiphanien der Natur und des Alltags. In dem Gedicht, das dem Band den Namen gab, heißt es: »hinab an die hecke zu den brüdern / die nachts auf blachem felde ruhn / die rücken am feuer zusammen die sagen / gib deinen napf hier ist tee & hier sind / wilde brombeeren; // kalt ist die nacht für gendarmen.«

LESUNG mit Caroline Hartge, Tone Avenstroup, Jürgen Ploog, Paulus Böhmer, Ulf Stolterfoht, Bert Papenfuß, Jörg Burkhard, FILME von Pola Reuth und Gunter Deller, SOUND von TOTES KAPITAL. Mittwoch, 15.10. 2008, 20.00 Uhr, MAL SEH'N KINO, Adlerflychtstr.6, 60318 Frankfurt/M.; Öffis: Linie U 5, Haltestelle Musterschule.
Verlag Peter Engstler auf der Frankfurter Buchmesse 2008, 15.10.-19.10.08, Stand-Nr. 3.1, A 143.


A.S.H. | 15.10.08 00:27 | Permalink