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Wie David gegen Goliath

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Keinen Schritt weiter im Rüstungswettlauf - Nein zum Raketenschild.
Demo in Slupsk Ende März dieses Jahres. Foto: Lewicowa Alternatywa


Die USA und Polen einigten sich auf den Bau von Raketenabschussrampen. Die Bewohner einer kleinen Dorf-Gemeinde in Nord-Polen in der die Raketen stationiert werden sollen protestieren seit nunmehr fast zwei Jahren gegen das Projekt und die Rückkehr der internationalen Politik zur verheerenden Logik des Wettrüstens.

von Kamil Majchrzak, Słupsk

gleichzeitig gekürzt erschienen auf stern.de

Die Nachricht aus Warschau verbreitete sich blitzschnell in der kleinen 15.000 Seelen-Gemeinde Słupsk, die nur wenige Kilometer von der Ostsee entfernt ist. Doch entmutigt hat sie die Bewohner in ihrem Widerstand gegen das amerikanische Raketenabwehrschild nicht.

Vor dem neogotischen Rathaus in Słupsk versammelten sich Ende der Woche spontan einige Dutzend Menschen der um ihren Unmut Ausdruck zu verleihen. „Wir fühlen uns betrogen“, riefen sie in die Kameras der zahlreich angereisten Journalisten.

Schon am Wochenende gingen die Proteste in eine neue Runde. Die Bürgerinitiative „Centrum Inicjatyw Obywatelskich (CIO)” [Zentrum für Bürgerinitiativen] sammelt Protestunterschriften unter einem Offenen Brief an Premierminister Donald Tusk. Die Demonstranten werfen der Regierung in Warschau „Fehlen von jeglichen Gesprächen mit der betroffenen Bevölkerung über die Lokalisierung des Raketenschildes“ vor. Das ist auch eine unmittelbare Reaktion darauf, dass der Vize-Premier und der Verteidigungs-Minister ihren für vergangenen Donnerstag geplanten Besuch in Słupsk abgesagt haben und die Belange der Lokalbevölkerung im Entscheidungsprozess ignorieren, erzählt Marcin Dadel, Vorsitzender des CIO.

Seit knapp zwei Jahren wehren sich die malerisch zwischen Fachwerkhäusern, Seen und Wäldern gelegenen Dörfer am Rande der Kaschubei gegen die Stationierung von Langstreckenraketen in dem dem Dorf Redzików. An vorderster Front steht der Gemeindevorsteher Mariusz Chmiel, der bereits angekündigt hat den Bau der Raketen-Silos notfalls durch administrative Maßnahmen zu behindern und konsequent z.B. die Umsetzung von Umweltvorschriften einzufordern. Der 50jährige Geodät mit penibel gepflegtem Spitzbart kennt seine Gemeinde wie seine Westentasche. Erst 2005 zeichnete ihn die Agentur für Information und Auslandsinvestitionen mit einem Prestigepreis für die Erschließung von Investitionsböden in Redzików. Ein Jahr später platzierte er sich in einem Ranking des Polnischen Fernsehens TVP schon unter den zehn besten Gemeindevorstehern in ganz Polen. Unsere Gemeinde gehört zu den führenden Körperschaften wenn man das Investitionsvolumen pro Kopf berücksichtigt – erzählt Chmiel stolz.

Durch sein engagiertes Auftreten gegen die Stationierung von amerikanischen SM-2 Langstreckenraketen, das von benachbarten Kommunen unterstützt wird, zog er in den vergangenen Monaten den Zorn der Regierung in Warschau auf sich. Das polnische Ministerium der Verteidigung warf ihm vor, er spiele sich als zweiter Außenminister auf.

In Wirklichkeit haben wir nur unsere rechtliche Verantwortung für die Bewohner unserer Gemeinde wahrgenommen, erzählt sein Stellvertreter Bernard Rybak gegenüber Stern.de. Wir sind verpflichtet für die Sicherheit und Gesundheit unserer Gemeindemitglieder Sorge zu tragen, fügt der Diplom-Landwirt hinzu.

Mit offenen Briefen und einer Linkssammlung trotze die Dorfgemeinde fast zwei Jahre lang einer ganzen Reihe von Maßnahmen die vergeblich versuchten die Stimmung gegen das Raketenschild abzumildern. Vergebens. Einen Stimmungswechsel brachte erst der Georgien-Konflikt.

Das staatliche Radio-Programm rief unverholen zu antirussischen Demonstrationen auf und richtet die Sonderseite „Polnisches Radio mit Georgien“ ein. Die Grenze zwischen Berichterstattung und Politikmache wurde dadurch völlig verwischt.

Bis zum Vertragsschluss zwischen den USA und Polen am vergangenen Mittwoch wurden wir nicht einmal offiziell darüber in Kenntnis gesetzt, ob das US Raketenabwehrschild wirklich in Redzików gebaut wird – beklagt Rybak die mangelnde Informationspolitik Warschaus. Praktisch haben wir bislang keine Antwort auf unsere Schreiben bekommen, mit Ausnahme der US-Botschaft in Warschau, die unsere Bedenken herunterspielte, fügt Rybak bitter hinzu.

Die Gemeinde setzte deshalb von Anfang an auf Offenheit und friedlichen Protest. Zu einer Kriminalisierung des Protests kam es dennoch als im März dieses Jahres die Polizei im Anschluss an eine friedliche Demonstration mehrere Friedensaktivisten aus ihren Wohnungen zerrte. Ihnen wurde „Störung der Nachruhe“ vorgeworfen. Auf der Polizeidienststelle wurden sie über die Gegner des Raketenschildes ausgefragt erzählt die Soziologie-Studentin Agnieszka vom Unterstützerkomitee.

Das polnische Fernsehen veranstaltete derweil gemeinsam mit dem Museum des Warschauer Aufstandes sogar ein Konzert unter dem Motto „Solidarisch mit Georgien“ dessen Ehrenpatronat Präsident Kaczynski übernahm. Kritische Informationen über den Konflikt und seine Hintergründe waren nicht zu hören. Es überraschte deshalb wenig dass die massive Ablehnung des Raketenschildes durch die polnische Bevölkerung im Zuge des Georgien-Konfliktes über Nacht in einer verblüffenden Befürwortung mündete. Den Menschen wurde Angst gemacht, kommentiert Rybak dem Meinungswechsel.

Im staatlichen Fernsehen sinnierten selbsternannte Kaukasusspezialisten und bekennende Hobby-Georgier über die russische Bedrohung. Die Solidarität reichte vom ehemaligen Botschaftern und Außenministern bis zum Playboy Chefredakteur Marcin Meller.

Ohne Kampf darf man sich nicht ergeben – erzählt Bernard Rybak. Wir werden weiterhin um die Sicherheit unserer Bewohner und die Weiterentwicklung der Gemeinde kämpfen. Wir sind unter Investoren sehr beliebt, unsere Bevölkerung wächst beständig und wir befinden uns auf Platz 5 der attraktivsten Dorfgemeinden in Polen. Unser Etat ist innerhalb der letzten vier Jahre um 100% gestiegen, unterstreicht Rybak.

In ihren Bebauungsplänen will die Gemeinde den stillgelegten Militärflughafen in einen zivilen umgestalten. Beim Wirtschaften setzt sie auch auf erneuerbare Energien, bei denen. auch deutsche Firmen beteiligt sind. In der Gemeinde verfügen wir mittlerweile über 100 Windkrafträder – erzählt Rybak. Weitere 80 sind geplant.

Nach wie vor halten wir an unserem Beschluss fest die seit elf Jahren bestehende Sonder-Wirtschaftszone um die ehemaligen Militärgebiete, die wir einer zivilen Nutzung zuführen wollen zu erweitern, berichtet Rybak. Der Flughafen bildet eine zentrale Forderung der Gemeinde. Potentielle Investoren, darunter ein indischer Reifenhersteller von Weltrang haben immer wieder ihr Interesse danach bekundet, erklärt Rybak.

Das amerikanische Abwehrschild ist eine Niederlage für uns klagt Tadeusz Krajny aus dem Dorf Redzików, wo die Anlage gebaut werden soll. Wie er haben auch viele andere Bewohner Angst vor der Zukunft, sind nach dem Vertragsschluss unsicher geworden, beklagen sich über die Medien und befürchten Umsiedlungen aufgrund der Einrichtung einer 4 km breiten Sicherheitszone um den alten Militärflughafen.

Die vermeintlichen Vorteile könnten der Gemeinde nun zum Verhängnis werden. Paradoxerweise sind es gerade die lockere Besiedlung, der stillgelegte Militärflughafen und die natürlichen Wasservorkommen die eine Stationierung der Abschussrampen und deren Kühlung so attraktiv machen. Redzików liegt nur 4 km von der ehemaligen Wojewodschafts-Hauptstadt Słupsk entfernt inmitten der wichtigen Verkehrsachse zwischen Stettin und Danzig.



„Polen bringt in die Außenpolitik der EU neuen Zündstoff und stellt diese vor eine katastrophale Alternative: die Verschärfung der Situation im Kaukasus oder die Zuspitzung der Beziehungen zwischen Moskau und Brüssel.“


Mit so starkem Widerstand aus einer Gemeinde am Rande der Kaschubei, hat weder die Regierung in Warschau noch Washington gerechnet. Noch im Juni bewertete der polnische Premierminister Donald Tusk die amerikanischen Bedingungen als inakzeptabel. Erst im Zuge des Georgien-Konfliktes kam es zu einer überraschend schnellen Einigung.

Gemäß der am Mittwoch in Warschau unterzeichneten Vereinbarung sollen bis 2012 zehn US-Abfangraketen in Polen stationiert werden. Präsident Lech Kaczyński kündigte bereits an, er werde alles tun, dass der Vertrag bis Ende Januar 2009, das heißt bis zum Ende der Amtsperiode seines amerikanischen Amtskollegen George W. Bush ratifiziert wird.

Im Gegenzug für die Genehmigung in Polen 10 Abwehrraketen zu stationieren hat Washington der polnischen Forderung nach der Installation einer Staffel PATRIOT-Abwehrraketen mit insgesamt 96 Lenkflugkörpern und der Intensivierung der militärischen Zusammenarbeit zugestimmt.

In Warschau beeilte man sich zu versichern, die Einigung sei nicht gegen Russland gerichtet und hänge in keiner Weise mit der Krise in Georgien zusammen. Doch genau das Gegenteil behauptete zeitgleich Condoleezza Rice in der Fernsehsendung „FOX News Sunday“ und brachte die Vertragsunterzeichnung in Warschau in direkten Zusammenhang mit dem Konflikt im Kaukasus.

Paradoxerweise hat Polen mit der unnachgiebigen Forderung nach der Stationierung von PATRIOT-Raketen den Befürchtungen Russlands neue sachliche Argumente geliefert. Damit kann die Renationalisierung der internationalen Sicherheit in Osteuropa weiter voranschreiten. Mit dem Raketenabwehrschild versucht Polen ein Instrument für seine partikulare Auseinandersetzung mit Russland zu bekommen, die zuvor auf NATO- und EU-Ebene abgelehnt wurde.

Polen bringt in die Außenpolitik der EU neuen Zündstoff und stellt diese vor eine katastrophale Alternative: die Verschärfung der Situation im Kaukasus oder die Zuspitzung der Beziehungen zwischen Moskau und Brüssel.

Die PATRIOT Staffel die in Redzików stationiert wird, soll aus Deutschland verlegt werden. Die Bundeswehr besitzt selbst 12 PATRIOT-Staffeln.

In diesem Zusammenhang sollen nach Redzików 4 sog. PAC-2 Abschussrampen älteren Typs mit je vier Lenkflugkörpern verlegt werden. Nach Ansicht von Experten zeigten diese im Einsatz gegen ballistische Raketen deutliche Schwächen. Daneben sollen auch 2 neuere PAC-3 mit je 16 Lenkflugkörpern nach Polen kommen.

Allerdings ist nur die PAC 3 in der Lage ballistische Raketen abzufangen. Ihre Effektivität ist dabei hoch umstritten. Gemäß einer unabhängigen Untersuchung, habe das PATRIOT-System eine Erfolgsquote „unter 10%“ erreicht. Dessen Raketen haben dabei nur eine Reichweite von 10 bis 45 km. Damit ist das System allenfalls dazu geeignet das Gebiet um das kleine Redzików vor evtl. Raketenangriffen zu schützten. Die technische Beschaffenheit des PATRIOT-Systems ist somit faktisch –sieht man von einem Angriff von Deutschland oder Dänemark ab- allenfalls in der Lage einen Flugzeug- bzw. Raketenangriff aus Russland abzuwehren. Offiziell hieß es aber bislang das Raketenabwehrschild in Polen richte sich gegen einen Angriff aus dem Iran. Inoffiziell sollen die Amerikaner im Rahmen eines sog. Offsets zu dem jüngsten Vertrag ca. 40 Mld. USD jährlich in die Modernisierung der polnischen Armee reinpumpen, die in kürze zu einer Berufsarmee transformiert werden soll.

Mit der Grundsteinlegung zur Stationierung der Raketen hat der Rüstungswettlauf längst reale Ausmaße angenommen. Der stellvertretende russische Generalstabchefs Anatolij Nogowizin erklärte bereits am vergangenen Sonntag während einer Pressekonferenz in Moskau, dass das Raketenschild der USA in Polen, zu den ersten Zielen gehört die bei einem Konflikt vernichtet werden.

Mit ihrer antirussischen Phobie beschwört die Regierung in Warschau eine Situation die noch für den Rüstungswettlauf vor 1989 kennzeichnend war. Heute traut sich noch kein Kommentator auszusprechen was die Konsequenz daraus sein könnte. Wenn klar ist das das Raketenprogramm in seiner jetzigen Form untauglich ist Raketenangriffe tatsächlich abzuwehren, könnte es früher oder später mit atomaren Sprengköpfen versehen werden müssen um seine abschreckende Wirkung behaupten zu können.

Staatsnahe Kommentatoren in Polen werden nicht müde zu betonen, dass Russland nach Afghanistan und Tschetschenien auch im Georgien-Konflikt die mobile taktische ballistische Boden-Boden-Rakete SS-21 einsetzt. Die zwei Tonnen schwere Rakete aus UdSSR-Zeiten ist in der Lage Sprengköpfe auch mit atomarer Ladung zu befördern. Die russische Traditions-Tageszeitung Iswestija zitierte am Montag den Befehlshaber der baltischen Flotte Vize-Admiral Viktor Mardusin, mit der Aussage, dass die Abrüstungsabkommen mit den USA weder mobile Abschussrampen noch die ihm selbst unterstellte Flotte betreffen. Eine Installation von taktischen Atomwaffen sei innerhalb kurzer Zeit möglich zitiert die zeitung Mardusin.

Der Admiral spielt damit direkt auf die die Logik des Kalten Krieges zurück, die nach der kurzen Zeit der Entspannung in den 70er Jahren -im Zuge der Rüstungskontroll-Verträge SALT I und II- durch die Entwicklung mobiler Abschussrampen in den 80er Jahren zu Nichte gemacht wurden. Die Logik des Wettrüstens besteht dabei darin Ursache und Wirkung zu vertauschen und einen Abrüstungsstopp erst dann zu fordern nachdem ein Rüstungsvorsprung erreicht wurde.

So gesehen ist der Konflikt in Georgien nicht die Ursache die ein Raketenabwehrschild in Osteuropa notwendig macht, sondern vielmehr die Folge des bereits unter der Clinton-Regierung beschlossenen National Missile Defense Act (NMD; dt.: nationale Raketenabwehr) von 1999. Das NMD ist ein direkter Nachfolgers der von Ronald Reagen entwickelten Strategic Defense Initiative (SDI; dt.: Strategische Verteidigungsinitiative) auch bekannt als Krieg der Sterne die durch Gorbatschows Abrüstungsinitiative gestoppt wurde.

Die Fertigstellung von NMD verstieß dabei gegen den noch mit der UdSSR abgeschlossenen ABM-Vertrag von 1972 (Salt-Verhandlungen). Deshalb erklärten die USA am 13. Dezember 2001 einseitig ihren Rücktritt. Bereits anderthalb Jahre später veröffentlichte das Weiße Haus Mitte Mai 2003 seine „Nationale Politik auf dem Gebiet ballistischer Raketentechnik“ der zur Entwicklung des heutigen Raketenabwehrschild führte. Der Abschuss eines Spionagesatelliten im Februar dieses Jahres gilt als erster Test dieses Systems und bekräftigt zugleich die Weigerung der US-Regierung Verhandlungen über das Verbot bzw. über die Begrenzung des Wettrüstens auch im Weltraum aufzunehmen.

Nicht nur für Russland ist unlängst deutlich geworden, dass der Rüstungswettlauf heute nicht mehr die Gewährleistung eines vermeintlichen „Gleichgewicht des Schreckens" bedeutet. Das Wettrüsten heute ist vielmehr ein Rückfall in die offene Barbarei. Der hight tech gestützte Eiserne Vorhang zieht allenfalls eine Grenze zwischen Energie-Vorkommen, Pipelines und der Macht Aktienkurse zu bestimmen.

Kamil Majchrzak ist Jurist und Redakteur der polnischen Edition der LE Monde Diplomatique

Michal Stachura | 26.08.08 07:21 | Permalink