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Treffpunkt Krankenhaus

“1.Mai”, ein Kollektivfilm von Jan-Christoph Glaser, Carsten Ludwig, Svenn Taddicken, Jakob Ziemnicki

von Angelika Nguyen

Der 1. Mai ist für jeden etwas anderes. Die einen haben einen freien Tag und machen auf der Suche nach dem großen Kick einen Ausflug nach Berlin wie Jakob und Pelle, ein anderer muss in Kreuzberg auf seinen kleinen Bruder aufpassen, obwohl er lieber auf der Demo Polizisten platt machen würde, wie der 11jährige Deutsch-Türke Yavuz, manche müssen arbeiten wie Uwe, der Polizist und für wieder andere ist das der Tag, an dem sie einmal im Jahr die Sau raus lassen oder sich zumindest daran erinnern, wie das früher mal war –wie der Aussteiger und Säufer Harry. Sie alle sind Figuren in dem Kollektivfilm “1.Mai” . Fälschlicherweise als Epiosodenfilm bezeichnet, erzählt der Film drei Geschichten, die statt nacheinander parallel erzählt werden, bis sie sich am Ende im Urban Krankenhaus treffen.

Jede dieser Figuren hat ihre eigenen Probleme, Jakob treibt irgendetwas von seinen Großeltern weg, bei denen er lebt, Pelle hängt wie eine Klette an Jakob, Yavuz ist sich selbst noch viel zu klein, er will endlich ein Mann sein, Harry findet im 1.Mai kein so rechtes Ventil mehr und Polizist Uwe hat schwer an den Raten für sein Reihenhaus und dem Betrug seiner Frau zu tragen.

Alle stehen unter großem persönlichen Druck, in einer Ausnahmesituation an einem Ausnahmetag. Das gibt gutes dramatisches Futter. Sollte man meinen. Dabei ist der Film besonders in den ersten zwei Dritteln eher ruhig, er lässt sich Zeit mit der Vorstellung seiner Figuren und ihren kleinen Erlebnissen, bis es für jede dieser Figuren zu einer aufregenden Entladung kommt.

Mit dem politischen 1.Mai hat der Film nicht viel zu tun. Auch die Dramatik der Ereignisse kommt nicht etwa aus dem Zusammenstoß zwischen protestierenden Staatsgegnern und der Polizei. Jede der Figuren erlebt eine sehr persönliche Geschichte jenseits des 1.Mai. Und doch vibriert durch den Film jene besondere Straßenatmosphäre der latenten Eskalation. Die authentische Stimmung des 1.Mai, vor einem Jahr aufgenommen. wirkt wie ein filmischer Sog, der alle Sehnsucht, Melancholie, Verletzung, Aggression, Langeweile der Figuren mit sich nimmt. So kommt es, dass mit verschiedenen Geschichten und verschiedenen Protagonisten die Regisseure es schaffen, trotz der geteilten Inszenierung einen dichten Film zu schaffen, aus dem allerdings die Geschichte des Uwe als motivschwächste mit den unspannendsten Verknüpfungen herausfällt. Das Geheimnis schließlich, das Jakob den ganzen Film über mit sich herumgeschleppt hat, wird am Schluss mit einem Knall enthüllt. Eine persönliche Tragödie, ganz ohne 1.Mai und ohne Berlin.

Alle Helden, die beiden Jungs aus der Provinz, das türkische Berlinkind, der Aussteiger Harry und sogar der Polizist Uwe sind irgendwie Außenseiter, keiner bewegt sich an diesem 1.Mai wirklich im Zentrum des Geschehens. Vielleicht, erzählt der Film liebevoll, findet das Eigentliche ja immer an der Peripherie statt.

“1.Mai” ist ein Berlin-Film der besonderen Art. Vielleicht weil zwei Drittel seiner Protagonisten keine Berliner sind, vermittelt der Film vor allem den fremden, neugierigen Blick auf Berlin-Kreuzberg.

Insofern ist der Titel des Films irreführend, noch mehr aber das Plakat, das eine Klamotte vermuten lässt. Dabei ist “1.Mai” ein eher stiller und innerdramatischer Film.

Einige Schauspieler prägen sich stark ins Gedächtnis, wie der junge Darsteller Jakob Matschenz, der den Jakob mit schmerzvoller Intensität und orientierungsloser Trauer spielt, der kleine Cemal Subasi als Yavuz, der mit scheinbar immer gleichem Gesichtsausdruck die erste große Krise des Kindes glaubwürdig vermittelt. Peter Kurth als Harry liefert das melancholische Porträt eines alterndenden Berliner Suffkopfes, dessen politische Protestvergangenheit nicht nur vorbei ist, sondern vor allem im Plündern eines Supermarktes bestand. Die tragikomische Pointe von Harrys und Yavuz’ Geschichte gehört zu den schönsten Momenten des Films.

Am Schluss stellt sich heraus, dass der Film eben doch politisch ist. Macht er doch mit seinen Sujets deutlich, dass der 1.Mai längst kein Kampftag der Massen mehr ist. Der Film erinnert an die politische und soziale Zersplitterung derer, die er ursprünglich zusammen bringen sollte: die arbeitenden Mernschen, die Lohnarbeiter, die Unterdrückten –gegen das Kapital.

A.S.H. | 09.05.08 12:39 | Permalink