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»Ein NATO-Angriff steht unmittelbar bevor«

Aus aktuellem Anlass spiegeln wir einen Beitrag aus der Jungen Welt der soeben erschienen ist.

Scott Taylor war Soldat und ist jetzt Herausgeber und Chefredakteur der kanadischen Militärfachzeitschrift Esprit de Corps. Als Kriegsberichterstatter bereist er Krisenherde in der ganzen Welt. In die Schlagzeilen geriet er, als er im September 2004 von Ansar Al-Islam Mudschaheddin im Nordirak in Geiselhaft genommen wurde.

Sie sind soeben von einer Recherchereise ins Kosovo zurückgekehrt. Welche Neuigkeiten bringen Sie mit?

Die mit Abstand wichtigste Information erhielt ich von einem hochrangigen UN-Funktionär. Demnach steht eine NATO-Operation unmittelbar bevor, mit der die Kontrolle über den nördlichen Teil des Kosovo wieder hergestellt werden soll. Vorgesehen ist, die führenden serbischen Persönlichkeiten in Mitrovica zu verhaften und dadurch eine gewaltsame Reaktion der serbischen Bevölkerung zu provozieren. Daraufhin sollen das Kriegsrecht verhängt, die Häuser durchsucht und alle Waffen beschlagnahmt werden. Da vermutet wird, daß die Serben Widerstand leisten, sieht der Plan vor, ukrainische und polnische KFOR-Truppen einzusetzen. Es ist einkalkuliert, daß es unter ihnen Verletzte und vielleicht sogar Tote gibt – man will die Soldaten bewußt ins Messer laufen lassen, um auf diese Weise die bislang noch serbenfreundliche öffentliche Meinung in der Ukraine und in Polen kippen zu können.

Das heißt also, daß die ­NATO zur Zeit keine Kontrolle über das nördliche Kosovo hat?

Die Serben im Nordkosovo, wo sie die Mehrheit der Bevölkerung stellen, haben die albanische Herrschaft nie akzeptiert. Da sie sich weigern, die Kappung ihrer Verbindungen zum Mutterland hinzunehmen, haben sie nach der kosovo-albanischen Unabhängigkeitserklärung Ende Februar die UNMIK- Kontrollposten an der Grenze zu Serbien zerstört. Die geplante NATO-Operation zielt aber nicht etwa auf die Wiederherstellung dieser Posten ab, sondern darauf, eine von Kosovo-Albanern kontrollierte Grenze zwischen zwei souveränen Staaten zu errichten.

Dies war Ihr erster Aufenthalt im Kosovo seit dessen Unabhängigkeitserklärung. Wie ist die Lage dort?

Die Kosovo-Albaner haben sich zwar für »unabhängig« erklärt – doch nichts ist »unabhängig«. Auf den Straßen sieht man Tausende ­NATO-Soldaten und Hunderte UN-Polizisten. Produziert wird so gut wie gar nichts, der Handel basiert auf dem Umlauf riesiger Summen, die aus der Hilfe des Auslands sowie aus dem Drogenhandel und dem Prostitutionsgeschäft stammen. Die Serben und andere Minderheiten leben weiterhin bedroht in bewachten Enklaven. Die kosovo-albanische Polizei strotzt vor Inkompetenz und Korruption, die Spitzen aller politischen Parteien sind mit ehemaligen UCK-Befehlshabern besetzt. Obwohl die USA eine Flagge für das unabhängige Kosovo entworfen und hergestellt haben, sieht man überall die albanische Flagge wehen. Ich war an der Grenze zu Albanien – sie ist völlig offen, es gibt keine Kontrolle. Nur ein Narr kann bestreiten, daß hier ein Groß-Albanien entsteht.

Wie die junge Welt berichtete, hat die ehemalige Chefanklägerin des UN-Tribunals zu Kriegsverbrechen im damaligen Jugoslawien, Carla Del Ponte, Hinweise auf schwerste Verbrechen der UCK jahrelang aus der Öffentlichkeit ferngehalten. 300 Serben und Roma sollen 1999 von der UCK nach Albanien entführt, ermordet und ihre Organe nach Westeuropa verkaufet worden sein. Was haben Sie darüber erfahren?

Schon damals gab es diese Vermutungen – sie klangen aber so abscheulich, daß man sie kaum für wahr halten konnten. Sie wurden als serbische Propaganda abgetan. Hätte man ähnliche Vorwürfe gegen Serben erhoben, hätte es einen Aufschrei in der Weltpresse gegeben.

Ich möchte nur daran erinnern, daß Del Pontes Vorgängerin Louise Arbour gegen den damaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic u. a. deswegen Anklage erhob, weil Serben im kosovo-albanischen Dorf Racak ein Massaker verübt haben sollen. Arbour hatte dabei allerdings viel weniger Beweise in der Hand, als Del Ponte sie in diesem Fall gegen die UCK hatte. Hätte Del Ponte die Hinweise auf den Organhandel damals verfolgt und öffentlich gemacht, hätte die Öffentlichkeit früher erkannt, welches Ungeheuer die NATO mit der UCK erschaffen hat.

Info:

Der Beitrag erschien in der Jungen Welt vom 5.04.2008


Michal Stachura | 04.04.08 21:56 | Permalink