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´68 – Brennpunkt Berlin

Das neue Jahr ist nun gerade mal fünf Wochen alt, schon befinden wir uns mittendrin im Spektakel des neuen Jubiläumsjahres – 1968. Das Feuilleton hat längst seine Serien gestartet, mit welchen die dabei waren, natürlich und denen, die schon immer nicht wollten. Bucherscheinungen folgen, von Götz Aly bis Hubertus Knabe. Verortet der eine die 68ger irgendwo als Deutschnationalisten, „beweist“ der andere die Steuerung des SDS durch die Staatssicherheit.
Pünktlich dazu eröffnete am letzten Donnerstag die Ausstellung „´68-Brennpunkt Berlin“ im Amerikahaus in der Nähe vom Bahnhof Zoo. Allen gemein ist ihre Überbewertung der Ereignisse in Westberlin. Aber alle wissen - 1968 waren Paris und Prag, Proteste und Widerstandsaktionen in den USA, Italien und Polen. In internationalen Publikationen zu 68 taucht Berlin nur als Randnotiz auf. Aber bleiben wir bei der Ausstellung die von der Bundeszentrale für politische Bildung organisiert wurde.

Wie ihre meisten Publikationen so ist auch diese Ausstellung gestaltet –Schüler kompatibel. In zwei Etagen hängen zu 90 Prozent Fotos und es laufen auf mehreren Monitoren Zusammenschnitte von Demonstrationen und Reden der SDS-Helden. Eine Vielzahl der Fotos stammen von Günter Zint, er wurde bekannt durch seine Schnappschüsse, die in Günther Wallraffs Buch „Ganz unten“ zu sehen waren, aber auch durch seine Fotos von Frank Zappa und John Lennon.
Daneben gibt es eine Menge von scheinrevolutionären Utensilien in Vitrinen zu sehen, präsentiert wie die Standartmodelleisenbahnen auf deutschen Bahnhöfen, die was auf sich halten, also Spandau und Chemnitz zum Beispiel. Da liegen die obligatorischen Mao-Bibeln neben den alten Polizeihelmen, rote Sternabzeichen neben Masken aus Papiertüten, usw. Man erfährt in der gesamten Ausstellung nichts über Hintergründe der Studentenrebellionen, nichts über deren politischen Ziele, nichts über das was es daneben noch gab. Wer weiß schon noch, dass es in Westberlin eine starke proletarische Jugendbewegung gab, die meistens nichts von den Studenten wissen wollte und aus denen die Haschrebellen und die Bewegung 2, Juni als ihre militanten Vertreter hervorgegangen ist. In einer Zeit als Pornos noch befreiend wirkten gingen die Haschrebellen mit aufrührerischen Statements an die Öffentlichkeit, eine Kostprobe:
In Berlin besteht seit einiger Zeit der
ZENTRALRAT DER
UMHERSCHWEIFENDEN HASCHREBELLEN
Die HASCHREBELLEN haben dem Polizei- und Dezernatsterror den aktiven Kampf angesagt. Sie haben öffentliche Smoke Ins, Demonstrationen vor Entziehungsanstalten, Vergeltungsanschläge gegen die Polizei, einen Rechtsbeistand für verfolgte Kiffer und ein Ärzteteam für Ausgeflippte organisiert.
Die HASCHREBELLEN sind der militante Kern der Berliner Subkultur.
Sie kämpfen gegen das moderne Sklavensystem des Spätkapitalismus.
Sie kämpfen für eigene freie Entscheidung über Körper und Lebensform.
SCHLIESST EUCH DIESEM KAMPF AN
Bildet militante Kader auf den Dörfern und Metropolen. Nehmt Kontakt mit ähnlichen Gruppen auf.
SCHEISST AUF DIESE GESELLSCHAFT
DER HALBGREISE UND TABUS
WERDET WILD UND TUT SCHÖNE SACHEN
HAVE A JOINT
ALLES WAS IHR SEHT
UND ES GEFÄLLT EUCH NICHT,
MACHT ES KAPUTT
HABT MUT ZUM KÄMPFEN; HABT MUT ZU SIEGEN
Mit anarchistischen Grüßen
Zentraltat
Der umherschweifenden Haschrebellen

Die Eröffnung der Ausstellung ´68 entwickelte sich zum gut besuchten Klassentreffen mit Gruselcharme. Irgendwie ist es immer traurig so viele gestrige Menschen zu sehen, die in aktuellen Auseinandersetzungen keine Rolle mehr spielen und auch nicht spielen wollen (vielleicht sind sie aber auch alle SPD-Mitglieder), wie sie vor den Fotos stehen und über die gute alte Zeit reden. Diszipliniert wurde vor einer verschlossenen Tür gewartet, hinter der bald DIE Band der Jugend spielen sollte. Beim geduldigen Warten unterhielten sich die Besucher schon mal über Erlebnisse ihrer Freunde, die im Seniorenheim Ärger mir zu lauter Musik bekamen. Als die Rufe „Macht die Türen auf, die 68er können nicht mehr stehen“ lauter wurden, hatten die Ordner in guten schwarzen Anzügen ein Einsehen.
Und dann waren da also Amon Düül II. Meine ersten Informationen über das was rebellische Jugendliche in der BRD so machen, bekam ich als Jungpionier der POS Johannes-R.-Becher in Karl-Marx-Stadt durch die Illustrierte Stern Anfang der 70er Jahre. Unter der Überschrift „Ihr tägliches Brot sind Hasch und Hirse“ wurde die Band Amon Düül II vorgestellt. Ihre Musik hörte ich erst viel später, mit dem Aufkommen des Krautrockrevival Mitte der 90 er. Nach den neuen Erfolgen von „Neu“, „Faust“, „Harmonia“ und dem Dauerbrenner „Kraftwerk“ fehlte nur noch Amond Düül II. Jetzt also einmalig zur Ausstellung im Amerikahaus. Vor einer sich drehenden psychedelischen Ölscheibe gaben sie ihr bestes. Dabei passten sie sich dem Stehvermögen des nichtrauchenden Publikums an, die Stücke wurden merklich gekürzt auf maximale fünf Minuten. Die Begeisterung des mit silbernen Luftballons herumtänzelnden Publikums hielt sich leider in Grenzen. Aber zu großes Herumtollen macht Rotweinflecken in weiße Hemden.

P.S. Neben Rotwein gab es Berliner Pilsner und Rotkäppchensekt.


´68 – Brennpunkt Berlin, Amerika-Haus, Hardenbergstr. 22-24, Öffnungszeiten: täglich 10:00 bis 20:00 Uhr. Die Ausstellung wird begleitet mit einem umfangreichen Filmprogramm und Diskussionsrunden mit Katharina Rutschky, Dan Diner, Elke Heidenreich, Oskar Negt, Claus Peymann u.v.m.
www.bpb.de/1968

natter | 05.02.08 19:55 | Permalink