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Prekarität und Flexibilität - Doch kein neuer Geist des Kapitalistmus?

„Es ist deutlich geworden, dass Prekarität heutzutage allgegenwärtig ist. Im privaten, aber auch im öffentlichen Sektor, wo sich die Zahl der Beschäftigungsverhältnisse und Teilzeitstellen vervielfacht hat“ schrieb 1998 Pierre Bourdieu in seinem Aufsatz „Prekarität ist überall“. „Prekarität hat bei dem, der sie erleidet tiefgreifende Auswirkungen. Indem sie die Zukunft überhaupt im Ungewissen lässt, verwehrt sie den Betroffenen gleichzeitig jede rationale Vorwegnahme der Zukunft und vor allen Dingen jedes Mindestmaß an Hoffnung und Glauben an die Zukunft, das für eine vor allem kollektive Auflehnung gegen eine noch so unerträgliche Gegenwart notwendig ist.“*

Oft wird dabei jedoch übersehen, dass Menschen die von der Arbeitslosigkeit betroffen sind in die institutionalisierte Verwaltung der Erwerbslosen hineingezwungen wurden. Nur wenige schaffen es da wieder raus. Und dies ist nicht zufällig. Denn das gesamte System der Kontrolle und Überwachung durch die Arbeitsagenturen hat nur ein Ziel, den „Klienten“ zur Annahme jeder Arbeit zu zwingen. Zumutbarkeitsgrenzen wurden faktisch nach 1989, durch Wegefall der hypothetischen System-Alternativen, kontinuierlich abgeschafft.

Mit den rot-grünen Hartz-Gesetzen wurde ein fundamentaler Wandel staatlicher Arbeitsmarktpolitik durchgesetzt. Seitdem werden unnachgiebig die sozialen Regulierungen des Arbeitsmarkts aufgebrochen und die Löhne gesenkt. Die Beschränkung des beitragsfinanzierten Arbeitslosengelds auf in der Regel ein Jahr, die Abschaffung der steuerfinanzierten Arbeitslosenhilfe als Lohnersatzleistung, die 1927 zusammen mit der Arbeitslosenversicherung geschaffen wurde, die Verpflichtung der „neuen Zumutbarkeit“ zur Annahme „jeder legalen Arbeit“, um die Leistungsverpflichtung der Armenfürsorge („Hartz IV“) zu mindern, bis hin zur nicht entlohnten Pflichtarbeit außerhalb des Arbeitsrechts („Ein-Euro-Jobs“), die rechtlich der Beschäftigung von Häftlingen nahe steht - all das dient dazu, die Prekarisierung der Lohnarbeit voranzutreiben und den Druck auf die tariflichen Regulierungen zu erhöhen.

Das Ergebnis lässt sich sehen lassen. Die ArbeiternehmerInnen werden zum Objekt des „freien Marktes“, reduziert zu einer Ware wie jede andere. Denn durch den Zwang jede Arbeit anzunehmen wird täglich aufs neue „Bewiesen“ dass Arbeit keinen gesellschaftliche Komponente hat. Im Kommunistischen Manifest schreibt Karl Marx dazu:

„Der Durchschnittspreis der Lohnarbeit ist das Minimum des Arbeitslohnes, d.h. die Summe der Lebensmittel, die notwendig sind, um den Arbeiter als Arbeiter am Leben zu erhalten. Was also der Lohnarbeiter durch seine Tätigkeit sich aneignet, reicht bloß dazu hin, um sein nacktes Leben wieder zu erzeugen. Wir wollen diese persönliche Aneignung der Arbeitsprodukte zur Wiedererzeugung des unmittelbaren Lebens keineswegs abschaffen, eine Aneignung, die keinen Reinertrag übrigläßt, der Macht über fremde Arbeit geben könnte. Wir wollen nur den elenden Charakter dieser Aneignung aufheben, worin der Arbeiter nur lebt, um das Kapital zu vermehren, nur so weit lebt, wie es das Interesse der herrschenden Klasse erheischt.“

Prekarität als euphemistische und affirmative Umschreibung der Verwerfungen der Flexibilität sollte hier eien zukunftsweisende Entwicklung zeigen nach dem Motto Freiheit, mehr Eigenverantwortung, Individualität, Kompetenz und bla bla…

Interessanterweise kommt nun selbst die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung zu einem ernüchternen Ergebnis dieser Entwicklungen. In der Studie „Prekäre Arbeit: Ursachen, Ausmaß, soziale Folgen und subjektive Verarbeitungsformen unsicherer Beschäftigungsverhältnisse“ von Ulrich Brinkmann, Klaus Dörre und Silke Röbenack, die herausgegeben wurde vom Wirtschafts- und sozialpolitischen Forschungs- und Beratungszentrum der Friedrich-Ebert-Stiftung (Abteilung Arbeit und Sozialpolitik) stellen ihre AutorInnen die Erhöhung des Drucks auf Arbeitslose, um sie zur Aufnahme einer prekären Beschäftigung zu bewegen, in Frage:

„Wer alle Energie darauf verwenden muss, um nicht durch den Rost zu fallen, der will früher oder später den Lohn für seine Anstrengungen ernten. Wird dieses Versprechen nicht eingelöst, droht genau das, was eine ‘aktivierende’ Arbeitsmarktpolitik eigentlich zu verhindern beabsichtigt: Erschöpfung, Resignation, Verzweiflung, Passivität, Absturz in Armut und Ausgrenzung, im besten Fall ein pragmatisches Arrangement mit Förderpraktiken, die es erlauben, den Kopf halbwegs über Wasser zu halten.“ Viele Betroffene verfügten in einer solchen Situation gar nicht mehr über die Kraft, sich für die Zukunft zu aktivieren.

Mehr Infos:

„Prekäre Arbeit: Ursachen, Ausmaß, soziale Folgen und subjektive Verarbeitungsformen unsicherer Beschäftigungsverhältnisse“
http://library.fes.de/pdf-files/asfo/03514.pdf

Weniger Geld, weniger Perspektiven
Böckler impuls (17/2007 31. Oktober)
http://www.boeckler.de/pdf/impuls_2007_17_gesamt.pdf

*Pierre Bourdieu: Prekarität ist überall, in Gegenfeuer, 1998 Konstanz.

Michal Stachura | 12.11.07 13:12 | Permalink