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Haftbefehl gegen Berliner Soziologen aufgehoben

Die Bundesrichter haben gerade den skandalösen Haftbefehl gegen Dr. Andrej Holm aufgehoben, wollen aber nicht sagen was eine terroristische Vereinigung ist.

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Pressekonferenz nach der BGH-Entscheidung

Haftbefehl gegen Andrej H. aufgehoben
AnwältInnen fordern die Einstellung der §129a-Verfahren

Heute hat der Bundesgerichtshof (BGH) seine Entscheidung über den Haftbefehl gegen den Berliner Andrej H. bekannt gegeben. Der BGH hat entschieden, dass zu keinem Zeitpunkt ein dringender Tatverdacht bestand.
Der Haftbefehl gegen den Aktivisten und Wissenschaftler war von Beginn an rechtswidrig und wurde deshalb aufgehoben.

„Wir begrüßen natürlich diese Entscheidung. Besonders, weil der BGH bestätigt, dass die Rückschlüsse der Bundesanwaltschaft überzogen und rein spekulativ sind“, so Christina Clemm, die Andrej H. vertritt.
„Sämtliche Grundrechtseingriffe, die mein Mandat in den vergangenen Monaten über sich ergehen lassen musste, sind damit rechtswidrig. Der nächste Schritt wird sein, das Verfahren einzustellen.“

Nicht befasst hat sich der Bundesgerichtshof mit der Frage, ob es sich bei der „militanten gruppe“ (mg) tatsächlich [[um eine terroristische Vereinigung handelt. „Damit hat der BGH nicht die eigentlich erwartete Grundsatzentscheidung getroffen. Gleichzeitig dürfte diese Entscheidung auch für das Verfahren gegen die weiteren Inhaftierten von großer Bedeutung sein,“ sagte Ulrich von Klinggräff, einer der Verteidiger von Florian L.. „Die Verteidigung ist in ihrer Kritik an der Bundesanwaltschaft bestärkt; die Ermittlungen beruhen größtenteils auf Mutmaßungen und Konstruktionen. Wir gehen davon aus, dass auch bezüglich der weiteren Beschuldigten kein dringender Tatverdacht für den §129a vorliegt. Auch bei den Dreien ist der Haftbefehl demnach aufzuheben.“ Die Verteidigung erwarte, dass sich der BGH im Zusammenhang mit den Haftbeschwerden der drei noch Inhaftierten grundsätzlich zu der Frage äußert, ob die „mg“ tatsächlich eine terroristische Vereinigung sei.

Seit gestern finden zudem erste ZeugInnenvernehmungen vor der Bundesanwaltschaft statt. Bisher sind mindestens 19 Bekannte und Freunde der Beschuldigten vorgeladen. Alain Mundt, Rechtsbeistand der ZeugInnen, sagte:

„Bei diesen Vernehmungen geht es vor allem darum, das persönliche und berufliche Umfeld der Beschuldigten auszuforschen.“ Außerdem sei die BAW eindeutig auf der Suche nach neuen Kontaktpersonen. Die ZeugInnen würden besonders nach ihrer eigenen Persönlichkeit befragt, beispielsweise ihrer Schulbildung. „Da stellt sich schon die Frage, worauf das hinauslaufen soll. Die BAW scheint bei den Ermittlungen im Trüben zu fischen.“

Wolfgang Kaleck, Vorsitzender des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV) und ebenfalls Verteidiger in dem Verfahren, wies auf die grundsätzliche Handhabung des §129a in den vergangenen Jahren hin.
„Nach dem 11. September 2001 sind leider die Stimmen gegen den §129a leise geworden. Das vergangene Jahr hat gezeigt, dass dieser Paragraph weiter gegen Soziale Bewegungen und bestimmte Formen militanten Protestes angewandt wird. Deshalb ist es wichtig, weiter daran zu arbeiten, dass die Terrorismussondergesetze abgeschafft werden.“


http://juris.bundesgerichtshof.de
Mitteilung der BGH-Pressestelle Nr. 154/2007:

Haftbefehl gegen Berliner Soziologen aufgehoben

Der Generalbundesanwalt führt gegen den Beschuldigten - einen promovierten Soziologen, der u. a. an der Berliner Humboldt-Universität beschäftigt ist - ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Auf seinen Antrag hatte der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs am 1. August 2007 Haftbefehl gegen den Beschuldigten erlassen. Dieser ist auf den Vorwurf gestützt, der Beschuldigte habe sich mitgliedschaftlich an der linksextremistischen gewaltbereiten Organisation "militante Gruppe (mg)" beteiligt, der die Strafverfolgungsbehörden, insbesondere aufgrund entsprechender Selbstbezichtigungsschreiben, eine Serie von Brandanschlägen zurechnen, die seit mehreren Jahren überwiegend in dem Gebiet Berlin/Brandenburg begangen worden sind. Mit Beschluss vom 22. August 2007 hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs den Haftbefehl gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt, worauf der Beschuldigte aus der Untersuchungshaft entlassen worden ist. Gegen diesen Beschluss hat der Generalbundesanwalt Beschwerde eingelegt.

Dieses Rechtsmittel hat der für Staatsschutzstrafsachen zuständige 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs nunmehr zurückgewiesen und gleichzeitig den Haftbefehl aufgehoben. Die bisherigen Ermittlungen belegen zwar die Einbindung des Beschuldigten in die linksextremistische Berliner Szene, seine Mitwirkung bei der Veröffentlichung der letzten Ausgaben der aus dem Untergrund publizierten Szenezeitschrift "radikal" und auch seine - konspirativ angelegten - Kontakte zu zumindest einem Mitbeschuldigten, der verdächtigt wird, als Mitglied der "militanten gruppe" am 31. Juli 2007 an einem versuchten Brandanschlag auf drei Lastkraftwagen der Bundeswehr beteiligt gewesen zu sein. All dies begründet zwar den Anfangsverdacht, dass der Beschuldigte selbst dieser Gruppierung angehört, weshalb gegen ihn mit Recht Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden geführt werden. Jedoch darf nach den Bestimmungen der Strafprozessordnung (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO) ein Haftbefehl nur dann erlassen werden, wenn der Beschuldigten einer Straftat dringend verdächtig ist. Dies ist nur der Fall, wenn die große Wahrscheinlichkeit besteht, dass er der ihm vorgeworfenen Tat schuldig ist und deswegen verurteilt werden wird. Eine solche Wahrscheinlichkeit, dass er sich an einer terroristischen Vereinigung mitgliedschaftlich beteiligt hat, kann im Fall des Beschuldigten zur Zeit nicht bejaht werden; denn die in den bisherigen Ermittlungen aufgedeckten Indizien sprechen nicht hinreichend deutlich für eine mitgliedschaftliche Einbindung des Beschuldigten in die "militante gruppe", sondern lassen sich ebenso gut in anderer Weise interpretieren.

Der Haftbefehl konnte schon aus diesem Grund keinen Bestand haben. Der 3. Strafsenat musste sich daher bei seiner Entscheidung nicht mit der Frage befassen, ob es sich bei der "militanten gruppe" nach den Maßstäben der einschlägigen Strafvorschrift (§ 129 a Abs. 2 Nr. 2 StGB) tatsächlich um eine terroristische Vereinigung handelt.

Beschluss vom 18. Oktober 2007 - StB 34/07

Karlsruhe, den 24. Oktober 2007

Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501

Ausführlicher Text des BGH-Beschlusses [DOWNLOAD PDF]

A.S.H. | 24.10.07 12:28 | Permalink