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too much

Punkrock ist nicht tot singt die erfolgreiche englische Band Art Brut auf ihrem aktuellem Album "It's a bit complicated", eine Coverversion eines Billy Childish Songs. Die letzten Jahre gaben ihnen recht, auch was die Musik junger Bands aus England und anderswo betrifft Aber kann man das Gleiche auch über die Protagonisten sagen? Der Film- regisseur Carsten Fiebeler versucht eine Antwort zu geben. Mit seinem aktuellem Film „OstPunk! too much future“, stellt er sechs Leute in den Mittelpunkt, die den Anfang von Punk in der DDR erlebten und durchlebten.

Der Film, der in Zusammenarbeit mit dem Co-Regisseur Michael Boehlke entstand, besteht zum großen Teil aus Interviews mit den Musikern von den DDR-Punkbands „Namenlos“, „Wutanfall“, „Planlos“, „Betonromantik“ – Mita Schamal, Bernd Stracke, Daniel Kaiser, Mike Göde und Colonel sowie der Malerin und Sängerin der Künstlerband „Zwitschermaschine“, Cornelia Schleime. „Dass sie … dabei ist, hat wohl eher mit ihrer starken Medienpräsenz zu tun“ schrieb Claus Löser in einer Kritik für den Filmdienst. Aber wer von der Zielgruppe der potentiellen Kinobesucher kennt Cornelia Schleime? Die Frage nach ihrer Beteiligung bleibt unbeantwortet, denn sie war nie Punk.

Zwitschermaschine spielte zwar mit der Thüringer Punkband Schleim-Keim zusammen, es erschien 1983 eine gemeinsame Vinylscheibe mit dem Titel „DDR von unten“ bei dem Westberliner Label „Agressive Rock Production“, aber zu jener Zeit war es normal, dass bei sogenannten Werkstätten in Kirchen Künstler-, Punk- und Rockbands gemeinsam auftraten.

Der Film wird immer wieder von DDR-Propagandafilmausschnitten, MfS-Observationsaufnahmen und Super 8 Filmschnipseln unterbrochen, alles unterlegt mit DDR-Punkmusik. Die durch das Bild fahrenden und marschieren NVA-Soldaten oder FDJler unterstützen ein gern verbreitetes DDR Klischee, haben aber mit dem Alltag der Punks nur wenig zu tun. Da schon eher die Super 8 Filmausschnitte. Diese wurden aber leider zu sehr zerstückelt. Das geht vielleicht bei dokumentarischen Aufnahmen, wenn aber aus dem bemerkenswerten Film „Schreiende Stadt“ der beiden Erfurter Matthias Schneider und Stefan Schilling aus dem Jahr 1984 nur einige zusammenhangslose Sekunden gezeigt werden, wird eine Chance vergeben. Mehr Mut wäre gut. Mit einer Gesamtlänge von nur 5 Minuten hätte „Schreiende Stadt“ als authentisches Dokument den Film bereichert. Auch tauchen immer wieder Filmszenen aus Cornelia Schleimes Film „Das Puttenest“ von 1984 auf. Da sieht man die Erfurter CD Spinne und Jens Ernst Tuckiendorf in Pose und in Szenen eines Brudermordes. Aber warum immer wieder die sich wiederholenden Szenen gezeigt werden erschließt sich nicht. Künstlerische Arbeiten, die Anfang der 1980er Jahre auch in der Punkszene entstanden, verkommen so zur reinen Dekoware.

Dabei wäre eine Geschichte ganz einfach zu erzählen: Die Künstlerin Cornelia Schleime, hatte sich1984 in Erfurt an einer Ausstellung in einem von Punks bewohntem Haus beteiligt. Dort stellten auch Erfurter Künstlerinnen, die Punk-Künstler Spinne, Tukiendorf, Schneider und Mita Schamal aus Berlin aus. Zu dieser Zeit entstand auch die Idee des Super 8 Films „Das Puttennest“ mit drei der Ausstellenden.

Aber zurück zum Film „too much future“. Es gibt all zu verspielte Effekte, eine Art Filmscratching, welches mittlerweile selbst bei Studenten der Hochschule für Film und Fernsehen "Konrad Wolf" nicht mehr angewendet wird. Auch wirken die Drehorte teilweise klischeehaft, da muss dann auch der Palast der Republik kurz vorm Abriss als Kulisse herhalten.

Was der Film nicht schafft, ist ein Bild über DDR-Punk zeigen. Wer nichts über DDR-Punk weiß, weiß es nach dem Film auch nicht. Alles was gezeigt und gesagt wird, wurde schon ausführlicher und treffender in etlichen Büchern dargestellt. Auch sind sich die Interviewten zu ähnlich, sie kommen aus einer Szene, Berlin-Leipzig, vier von ihnen wurden inhaftiert, fünf verließen die DDR in Richtung Westen. Aber es gab eben weitaus mehr und eine vielschichtiger Punkbewegung in allen Teilen der DDR. Die Legende von den Punkzentren Berlin und Leipzig ist eben nur eine Legende und zeugt von Ignoranz. Dass die Staatssicherheit in ihrem Verfolgungswahn 1983 ebenso viele Punks im Bezirk Erfurt registrierte wie im Bezirk Leipzig sei nur am Rande erwähnt.

Es ist ein persönlicher Film für Freunde und Kenner der Szene. Die Stärken des Films liegen in der Darstellung der Jetztzeit. Es werden die heutigen Arbeits- und Lebensorte gezeigt und was da so passiert. Wir sehen die Sechs im Atelier, auf dem Baugerüst, in der Garage oder im Theater. Und wir sehen die Veränderungen. Während der eine als Abgeordneter parlamentarisch gegen rechte Gewalt kämpft, haben sich bei anderen die Erlebnisse tief eingegraben und psychische Spuren hinterlassen. Ihre Biografien sind DDR-typisch und plötzlich ähneln sie denen, die sie vor 25 Jahren nie sein wollten und stehen dazu.

ostPunk! too much future
Dokumentarfilm Deutschland 2007
s/w und Farbe 93 Minuten DF 35mm Beta
Regie: Carsten Fiebeler, Michael Boehlke (Co-Regie)
Kinostart: 23.08.2007

natter | 23.08.07 23:43 | Permalink