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Erster Riss in Sarkozy’s Regierung

von Emmanuelle Piriot

Gerade mal nach sechs Wochen im Amt hat der französische Kabinettschef der neuen Justizministerin Rachida Dati gekündigt. «Ich habe die Nase voll ständig beleidigt zu werden», soll Michel Dobkine seiner Mitarbeitern erklärt haben, berichtet die Zeitung l’Est républicain am letzten Freitag. Diese Äußerung hat er später abgelehnt. Offiziell soll aus persönlichen Gründen gekündigt. Aber am 10. von Dati gekündigt.

Diese Kündigungen bestätigen kürzlich geäußerte Vorwürfe über eine angespannte Atmosphäre im Justizministerium -so die linke Richtergewerkschaft (syndicat de la magistrature).

Die Kritik kommt ungelegen für die Regierung. Im Parlament wird derzeit der Entwurf eines Sicherheitsgesetzes debattiert, der bei vielen Richtern auf Ablehnung stößt. Die Debatte wird vor dem Hintergrund des französischen Nationalfeiertages am 14. Juli geführt, an welchem normalerweise Gefangene begnadigt werden. Frankreichs neuer Präsident will jedoch erstmalig in der Geschichte von diesem Recht keinen Gebrauch machen.

Sarkozy will damit seine Autorität stärken. Die Repressionen treffen nun auch Menschen, die bereits im Gefängnis sitzen. In Frankreich befinden sich derzeit 63000 Gefangene in Gefängnissen, obwohl Platz nur für 50000 Personen zur Verfügung stehen. Erst 2006 kritisierte die Menschenrechtskommission des EU-Rates in ihrem Bericht die Überbelegung und den maroden Zustand der französischen Gefängnisse. Laut Bericht herrsche dort die gleiche Situation in den Knästen wie in Moldawien.

Ein neuer Gesetzesentwurf, welcher derzeit in den Kommissionen verhandelt wird kann den Zustand in den Gefängnissen nicht verbessern. Das «Gesetz zur Verstärkung des Kampfes gegen den Rückfall in die Straffälligkeit von Voll- und Minderjährigen» geht davon aus, dass Rückfälle bei Straftaten stark gestiegen sind und dass die Richter zu lasch sind. Dabei belegen einschlägige Studien seit Jahren, dass diese Argumente falsch sind. Dennoch will die Regierung bei Rückfällen auch bei Kleinstdelikten selbst Minderjährige bestrafen. So soll beim Diebstahl eine zweite Verurteilung jeweils mindestens bei einem Jahr für Volljährige und sechs Monate für Minderjährige liegen.

«Mit diesem Gesetz wird das Prinzip einer Einzelstrafe zur Ausnahme. Die Strafjustiz wird zu einer Strafmaschine, ohne Beachtung der Umstände der Tat und einer Einschätzung der schwere der Delikte», meint die Richtergewerkschaft. In einem Papier wehrt sie sich gegen das Gesetz. Zahlreiche Organisationen und Menschen unterstützen dies.

«Wenn Inhaftierung, die einzige Antwort auf straffällig gewordene Jugendliche ist, ist das ein Zeichen des Scheiterns der Gesellschaft bei ihrem Bemühen um sozialen Eingliederung», fügt er hinzu.

Die Diskussion um die Delinquenz Jugendlicher spiegelt sich auch in der Debatte um das rechtliche und intellektuelle Verständnis von Gewalt wieder. Dieses ist ähnlich wie in anderen Ländern Europas im Wandel begriffen. Beispiele findet man in der bürgerlichen Presse. So berichtete die Tageszeitung Le Monde am 8. Juli über Zusammenstösse mit der Polizei am Rande einer Demo zur Aufklärung des Todes eines jungen Mannes, der einige Tage zuvor bei einer Polizeifestnahme umgekommen ist.

Die Zerstörung von mehreren Polizeifahrzeugen lieferte die Vorlage der Schlagzeile «Gewalttaten». Auf der gleichen Seite erfährt man, dass die Polizei im Rahmen eines Drogenschmuggels Raketenwerfer, Sturmgewehre und Sprengstoff gefunden hat. Diese Nachricht bekam allerdings nur den Titel « Faits divers ». Gewalt taucht immer nur im Zusammenhang mit Jugendlichen, zumeist mit Migrantenhintergrund in den Medien auf.

Unter diesen Umständen erscheinen die Massenentlassungen im Justizministerium als Warnung, dass die Weigerung der Richter eine extrem repressive Politik zu unterstützen, die in erster Linie gegen die sozial ohnehin Schichten zielt, für diese unangenehme Folgen haben wird.

Es ist kein Zufall, dass Dati selbst aus einem sog. „quartier populaire“ stammt. Mit Dati’s Persönlichkeit und sozialem Hintergrund wollte Sarkozy ein Signal setzten, dass sozialer Aufstieg und Erfolg möglich ist, wenn man Sarkozys Politik bereit ist mitzutragen. Als Justizministerin sollte Dati eine Art Kaution für die repressive Politik in den sozial schwachen Schichten gelten. Da dieser Legitimierungs-Versuch nun selbst in politischen und juristischen Machtkreisen gescheitert ist, darf man bezweifeln, dass es auch von den Menschen auf der Strasse geschätzt wird.

Das Leben von Rachida Dati erinnerte bis vor kurzem an ein Märchen, in einer modernen Fassung der amerikanischen Success Story, die Sarkozy besonders schätzt. Als zweites Kind eines marokkanischen Arbeiters und einer algerischen Mutter die weder Lesen noch Schreiben konnte ist sie mit ihren elf Geschwistern in einem Hochhaus aufgewachsen. « In ihrem Leben gab es keinen Zufall, alles war geschrieben, kalkuliert, orchestriert bis zum Millimeter. Hätte sie die Chance vertan, würde sie noch in ihrer Heimatstadt Châlon-sur-saône wohnen », schreibt die Zeitschrift Le nouvel économiste. « Mit sechzehn erlebt sie eine Wende. Sie arbeitet als Krankenhilfe in einem Privatklinikum und sammelt Zeitschriften, die im Wartezimmer liegen. Zu Hause, in der Nacht, dokumentiert sie sich und lässt sich von der Welt ihrer Träume einprägen».

Sie beginnt Wirtschaft und Jura zu studieren und wie Aschenbrödel hat sie das Glück sehr schnell eine gute Fee zu treffen. Sie heißt Jean-Luc Lagardère, ist Geschäftsführer von Matra (Heute EADS) und bezahlt ihr das Studium. Nach dem Studienabschluss arbeitet sie bei der BERD, die Lyonnaise des eaux (eine der zweit größten Wasserunternehmen in Frankreich, die sich in der Vergangenheit durch illegale Parteien-Finanzierung ausgezeichnet haben) und wird 1995 zur Mitarbeiterin des Bildungsminister. Nach diesem klassischen Parcours durch all jene Orte der Macht, in denen junge Leute später zur Elite der Rechten heranwachsen, wird sie ohne Prüfungen an der Ecole nationale de la magistrature zugelasen um eine Richterin zu werden. Dies ist zwar nach der Studienordnung zulässig, aber jeder weiß, dass es ohne starke politische Unterstützung unmöglich ist. Ab 2002 arbeitet sie mit Nicolas Sarkozy in dem Innenministerium. Sie schreibt eines der fünf Sicherheitsgesetze, die in fünf Jahren verabschiedet werden aber nie bewertet worden sind. Während des Sarkozy’s Wahlkampfs avanciert sie zu seiner Sprecherin.

Sarkozy Condollezza Rice begeht jedoch einige grobe Fehler. Auf YouTube kursiert ein Video in dem Bruno Julliard, Stellvertreter der großen Studentengewerkschaft UNEF sie fragt: « Wenn Nicolas Sarkozy Präsident wird, welches Ministerium interessiert Sie?». « Das Ministerium der Banlieue-Sanierung mit dem Kärcher », antwortet sie und lacht. « Das war nur ein blöder Witz », versuchte sie sich später zu rechtfertigen. Dann müsste man sich jedoch auch fragen, ob ihr Gesetz gegen Rückfälle auch nicht nur ein blöder Witz ist. Eins ist jedenfalls sicher ihre Mitarbeiter wissen ihren Humor nicht zu schätzen.

Video:

Ministerin für die Kärcher-Sanierung der Vorstädte

natter | 12.07.07 16:01 | Permalink