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Ein Licht ist aufgegangen

Die polnische Regierung stellte im Zuge ihrer antikommunistischen Neuformierung 700 000 Menschen unter Stasiverdacht. Das Verfassungsgericht hat Teile des Gesetzes gestoppt.

von Kamil Majchrzak

In Polen wurden seit der Machtübernahme durch die Kaczynski-Zwillinge neue Instrumente entdeckt, um jegliche Sozialkritik auszuschalten und die politische Gleichschaltung im öffentlichen Raumes voranzutreiben. Das Ende vergangenen Jahres verabschiedete so genannte Lustrationsgesetz etwa verpflichtet alle Anwälte, Journalisten, Lehrer, Post- Bank- und Versicherungsangestellten, offen zu legen, ob sie zwischen dem 22. Juli 1944 und dem 31. Juli 1990 mit polnischen Staatssicherheitsorganen zusammengearbeitet haben.

Am 11.Mai nun erklärte das Verfassungsgericht, dass zahlreiche Bestimmungen zur Lustration (Durch­leuchtung), insbesondere die flächendeckende Überprüfung von Journalisten und Lehrern, verfassungswidrig seien. Die Veröffentlichung der Listen inoffizieller Mitarbeiter der kommunis­tischen Geheimpolizei im Internet wurde untersagt.

Das Lustrationsgesetz, das am 15. März in Kraft getreten ist, stellt 700 000 Polinnen und Polen, die vor dem 1. August 1972 geboren wurden, unter Generalverdacht. Bis zum 15. Mai hätten sie in einer »Lustrationserklärung« ihre eventuelle Zusammen­arbeit mit dem Geheimdienst offen legen müssen. Doch nur ein kleiner Teil der Betroffenen ist dem nachgekommen. Für großes Aufsehen sorgte die Weigerung des ehemaligen Außenministers und der­zeitigen EU-Parlamentariers Bronis?aw Geremek, die Erklärung zur Spitzeltätigkeit abzugeben. Auch die polnische Redaktion der Monatszeitung Le ­Monde Diplomatique verweigerte die Kooperation. Wer nicht mitarbeitet – wie etwa Angestellte des öffentlichen Rundfunks –, dem droht ein zehnjähriges Berufsverbot.

Bei wem eine Zusammenarbeit mit dem Geheim­dienst aufgedeckt werden kann, der soll weder ein öffentliches Amt bekleiden noch sich zu Wahlen stellen dürfen. Darüber hinaus muss jeder Bewerber für ein öffentliches Amt in Zukunft ein so genanntes moralisches Zeugnis vorlegen. Diese »Zeug­nisse« sollen mit Angabe des Vor- und Nachnamens öffentlich gemacht werden.

Aus der Präambel des Lustrationsgesetzes geht hervor, dass »der Dienst in Sicherheitsorganen des kommunistischen Staates oder einer Unterstützung dieser Organe (…) fest mit der Verletzung der Men­schen- und Bürgerrechte zugunsten des totalitären Staates verbunden war«. Die Offenlegung der Mitarbeit folge lediglich dem begründeten Recht staats­treuer Bürger, Informationen über all jene Personen zu erhalten, »die mit ihrem bisherigen Verhalten eine Garantie von Ehrlichkeit, edlem Verhalten, Ver­antwortungsbewusstsein für eigene Taten und Worte sowie Zivilcourage und Rechtschaffenheit gaben und geben«. Nichts anderes als diese feudal anmutende Anrufung soll auch das Bekennt­nis zum freiheitlich-demokratischen System darstellen, das sich durch Abhörmaßnahmen und Repression längst darauf spezialisiert, diese Rechte auszuhebeln.

Auch deshalb steht Geschichtspolitik im Zentrum des antikommunistischen Kulturkampfs der polnischen Regierung, die eine IV. Republik ausgerufen hat. Die Geschichts­politik soll die neuen Machthaber nicht nur legitimieren und ihnen eine reine politische Weste bescheinigen, sondern die offene Gesellschaft als Symbol westlichen sittlichen Verfalls ausschalten.

Aber das, was in Polen längst Wirklichkeit geworden ist, stellt nicht einfach polnische Folklore da. Der Angriff gilt dem gesamten europäischen Nachkriegsprojekt, wie die jüngsten Attacken des revisionistischen Historikers Bogdan Musia? gegen den polnischen Soziologen Zygmunt Bauman belegen. Musia? versucht seit Monaten krampfhaft, öffentlich die stalinistische Vergangenheit Baumans aufzudecken: Aus dem Kampf in der II. Polnischen Armee gegen den Faschismus wird so die Kollaboration mit Stalin, aus einer Medaille für den im März 1945 bewiesenen Mut in der Schlacht bei Kolberg ein Orden für Dienste in der Staatssicherheit.

Info.

Gleichzeitig erschienen in Jungle World # 21 vom 23.05.2007

Michal Stachura | 23.05.07 11:24 | Permalink