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Stasiaufarbeitung oder Historisierung der Gegenwart in Polen?

von Kamil Majchrzak

Flächendeckende Überwachung von E-Mails im Internet und Telefongesprächen ohne Tatverdacht, Handy-Ortung und die Erstellung sozialer Profile. Es ist längst bekannt dass Geheimdienste ungeniert mitlesen und die Grundrechte verletzen. Auch wenn sie dabei vorgeben gerade diese Rechte zu beschützen. Das es dabei nicht lediglich um den Sammel-Größenwahn von Rollstuhl-Mielke geht, sonder dem gesamten europäischen Projekt gilt wird insbesondere an der Debatte um das gerade in Kraft getretene Lustrationsgesetz in Polen sichtbar.

Es besteht scheinbar ein Widerspruch, wenn der Staat geltende Rechtsnormen im Namen deren Schutzes mit Füßen tritt. Doch bei der Datensammlung geht es nicht primär um Informationen um strafrechtlich bzw. verfassungsrechtlich relevantes Verhalten zu verfolgen. Bedeutung hat vielmehr die Kategorisierung bestimmter Personen als „Beobachtete“ oder „Gefährliche“. Durch die Selektion dieser Gefahr und ihre konkrete Zuschreibung wird scheinbar die freiheitlich demokratische Grundordnung geschützt. Doch in Wirklichkeit kann durch diese Kategorie der sog. „Innere Feind“ ohne Erklärungszwang stigmatisiert, marginalisiert und „unschädlich“ gemacht werden. Wem dieses Label verpasst wird, ist letztlich egal. Das Stigma ist ein universell einsetzbares Machtinstrument: gegen Flüchtlinge die europäische Stacheldrahtzäune gegen das uneingelöste Menschenrechtsversprechen durchbrechen oder KritikerInnen die eine echte Demokratie einfordern.

Polen hat seit der Machtübernahme durch die Kaczyński-Zwillinge ein gänzlich neues Instrument in diesem Repertoire entwickelt, das sich nicht einfach mit der Stigmatisierung einer Person zufrieden gibt. Es geht vielmehr um die Ausschaltung jeglicher Sozialkritik und die Hegemonisierung des öffentlichen Raumes an sich.

Das Lustrationsgesetz das Ende 2006 beschlossen wurde und am 15. März in Kraft trat, stellt 700.000 Polinnen und Polen die vor dem 1. August 1972 geboren wurden unter Generalverdacht.

Bis zum 15. Mai 2007 müssen sie in einer „Lustrationserklärung“ offen legen, ob sie zwischen dem 22. Juli 1944 und dem 31. Juli 1990 mit polnischen Staatssicherheitsorganen zusammengearbeitet haben. Das Gesetz verpflichtet nicht nur Funktionäre dia damlas Staatsfunktionen bekleidet haben, sondern alle AnwältInnen, JournalistInnen, LehrerInnen, Post- Bank- und Versicherungsangestellte sowie zahlreiche weitere Berufsgruppen.

Sollte eine Zusammenarbeit aufgedeckt werden, können sie in Zukunft nicht ein öffentliches Amt bekleiden oder sich zu Wahlen aufstellen lassen. Aber auch sonst muss jeder Bewerber für ein öffentliches Amt ein „Moralisches Zeugnis“ vorweisen können. Diese „Moralischen Zeugnisse“ werden mit Angabe des Vor- und Nachnamens auch öffentlich gemacht. Auf das Lustratrationsverfahren findet dabei das Strafrecht Anwendung. Der „Lustrierte“ wird selbstverständlich bis zur Klärung so behandelt als, ob er der Angeklagte eines Strafverfahrens wäre. Wer nicht mitarbeitet –wie dies bereits die polnische Redaktion der Le Monde Diplomatique in einer Protest-Erklärung angekündigt hatte- dem droht die Verhängung eines 10jährigen Berufsverbotes.

Aus der Präambel des Lustrationsgesetztes geht hervor, dass „der Dienst in Sicherheitsorganen des kommunistischen Staates oder einer Unterstützung dieser Organe (…) fest mit der Verletzung der Menschen- und Bürgerrechte zugunsten des totalitären Staates verbunden war“. Die Offenlegung der Mitarbeit folge lediglich dem begründeten Recht staatstreue Bürger aufgeklärt zu werden über all jene Personen, „die mit ihrem bisherigen Verhalten eine Garantie von Ehrlichkeit, Edlem Verhalten, Verantwortungsbewusstsein für eigene Taten und Wörter sowie Zivilcourage und Rechtschaffenheit gaben und geben“. Nichts anderes als diese feudal anmutende Invokatio soll auch das Bekenntnis zum freiheitlich-demokratischen System darstellen, das sich durch Abhörmaßnahmen und Repression längst darauf spezialisiert diese Rechte auszuhebeln.

Freiheit wird von den Herrschenden ohnehin nicht so gemeint wie die Bürger sich das in ihrer Naivität vorgestellt haben. Denn die Beschützer der herrschenden Ideologie der ökonomischen Freiheit meinen als Freiheit nur ihre eigene Handlungsfreiheit. Egal was sie machen und wie sie es nennen, es geht um Deregulierung des Marktes und Liberalisierung. Menschen sine nur eine Ressource für die kontrollierende Seite, und nur deren Handlungen dürfen eigenständige Handlungen sein. Freiheit ist somit nur eine Freiheit die auf sozialem Zwang beruht.

Auch deshalb steht Geschichtspolitik im Zentrum des antikommunistischen Kulturkampfes der neuen polnischen Regierung, die eine IV. Republik ausgerufen hat. Sie soll die neuen Machthaber nicht nur legitimieren und eine „astreine“ politische Abstammung bescheinigen, sondern die offene Gesellschaft als Symbol westlichen sittlichen Verfalls ausschalten. Diesem Zweck dient die Verrechtlichung des Freund-Feind Schemas des Nazi-Juristen Carl Schmitt in Gestalt des Lustrationsgesetzes. So bestimmt Geschichte die Gegenwart und entscheidet darüber, wer zur Teilnahme am öffentlichen Leben berechtigt ist und wer nicht.

Aber das was in Polen längst Wirklichkeit geworden stellt nicht einfach polnische Folklore da. Sie gilt dem gesamten europäischen Projekt, was die jüngsten Attacken des revisionistischen Historikers Bogdan Musiał gegen den polnischen Soziologen Zygmunt Bauman belegen. Auch hier wird versucht unter Antikommunismus als Geschichtsaufarbeitung in Form eines historischen Halb-Analphabetismus zu kaschieren. Musiał zielt damit auf die Keime einer kapitalismus-kritischen Gegenöffentlichkeit, um die sich im Zuge des G8-Gipels auch europaweit der Widerstand sammelt. Er gilt all jenen die trotz der antikommunistischen Paranoia an einer linken Kritik der herrschenden nationalen und sozialen Verhältnisse festhalten.

So wie Zygmunt Bauman, der zu Recht für eine leidenschaftliche Anklage des globalen Kapitalismus steht und das Jahr 1989 als verloren gegangene Chance zur Erzeugung einer Utopie kritisiert. Damit untergräbt Bauman einerseits den Identitätsstiftenden Gründungsmythos als Kausalität zwischen Danziger Werft und dem Thron eines Kaczyński. Zum anderen fordert Baumans Philosophie den moralischen Bankrott dieser Gesellschaft aufzudecken. Als „linker Intellektueller, der sich für die Schwachen einsetze“ und somit ein Synonym von Sozialkritik darstellt wird Bauman zum legitimen Ziel erklärt.

Bauman geht in seiner Kritik der Konsumgesellschaft davon aus, dass es gar keines kostspieligen Überwachens mehr bedarf. Allein der Gedanke beobachtet zu werden reicht aus, damit die „Konsumenten“ das System stabilisieren und nicht auf die Idee kommen es in Frage zu stellen. Nur wer nicht konsumiert wird unterdrückt. Deshalb hat es heute eine andere Bedeutung arm zu sein oder zum Prekariat zu gehören als im klassischen Kapitalismus. So erzeugt der Markt die soziale Kontrolle über das Verhalten indem er zunehmend die Erwartung von der Produktion auf den Konsum verlagert und hier durch ein System von Ansprüchen und Belohnungen den Blick der Menschen auf die Quantität der Belohnung fixiert.
Bei all den Grundrechtsverletzungen durch die Verfassungsschützer auch in Deutschland bleiben die gesammelten –angeblich strafrechtlich relevanten- Daten immer Spekulation. Selbst wenn es zu einem Verfahren kommt, findet dieses im Rahmen einer sog. geschlossenen Kammer statt und das Opfer des Rechtsbruchs bekommt die Belege für die ihm gestellten Vorwürfe nie zu Gesicht.

Und das ist der Grund warum der Staat die panoptischen Wachtürmchen im Grenzstreifen zwischen Freiheit und Zwang gar nicht mehr mit Grenzsoldaten besetzen muss. Die Idee beobachtet zu sein reicht aus um den Platz für den Neoliberalismus zu räumen.

Info:

Der Autor ist Redakteur der polnischen Edition der Le Monde Diplomatique und Mitbegründer des JournalistInnen-Kollektivs "Krise und Kritik"

Michal Stachura | 26.04.07 10:59 | Permalink