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Mädchenmangel

--von Gertrud Eggert, Peking, Das Blättchen--
Frau Wang war bei der Ultraschall-Untersuchung, und ihr Mann zeigt stolz die Aufnahmen herum. Deutlich ist zu sehen, daß sich die beiden auf einen Jungen freuen können. Natürlich wäre ein Mädchen ebenso willkommen, beteuert der werdende Papa immer wieder.

Doch es ist ihm anzusehen, daß er erst jetzt die Vorfreude in vollen Zügen genießen kann. Daß sein Sohn möglicherweise einmal keine Frau finden wird, weil der Männerüberschuß in China rapide zunimmt – davon will er nichts wissen. Auch wenn sich die Berichte in den chinesischen Medien über dramatische Verschiebungen im Verhältnis von Jungen- und Mädchengeburten in letzter Zeit häufen. Nach jüngsten Untersuchungen sollen auf hundert weibliche Säuglinge durchschnittlich 119 Jungengeburten im Land kommen. Vor zwanzig Jahren war das Verhältnis noch relativ ausgeglichen und lag bei hundert Mädchen- zu 108 Jungengeburten. Jetzt aber muß man wohl damit rechnen, daß in zwanzig Jahren dreißig bis vierzig Millionen frustrierter chinesischer Männer alleinbleiben werden müssen.

Die letzte Volkszählung im Land brachte das gesamte Ausmaß der Verfehlungen in der Bevölkerungspolitik seit den achtziger Jahren ans Tageslicht. Während in Großstädten wie Peking und Shanghai das Geburtenverhältnis mit 109 Jungen- auf hundert Mädchengeburten noch einigermaßen in der Waage ist, liegt es in der südlichen Provinz Kanton bei 130 zu hundert. Beim zweiten und jedem weiteren Kind sind die Verschiebungen noch gravierender. So liegt das Geschlechterverhältnis beim zweiten Kind bereits bei 150 zu hundert, beim dritten gar bei 160 zu hundert zugunsten der Jungen. In der zentralchinesischen Provinz Shaanxi stieg es sogar auf über zweihundert zu hundert an.

Für diese dramatischen Entwicklungen werden aus chinesischer Sicht weniger die seit Ende der siebziger Jahre geltenden strikten Geburtenvorschriften verantwortlich gemacht, sondern die weiterhin vorherrschenden traditionellen Vorstellungen. Denn auch aus anderen asiatischen Ländern, in denen nicht wie in China die »Ein-Kind-Ehe« gilt – aus Südkorea etwa oder aus Indien – hört man, daß der Männerüberschuß immer größer wird. Noch immer hält sich die seit Jahrhunderten überlieferte Überzeugung, wonach nur männlicher Nachwuchs die Fortexistenz der Familie garantiert, weil Mädchen mit der Heirat das Elternhaus verlassen. Jungen werden als Arbeitskraft und zugleich als Altersversorgung betrachtet, zumal dann, wenn – wie in weiten Teilen Chinas – keine staatliche Kranken- und Rentenversicherung greift.

So lassen sich viele der zukünftigen Eltern – ganz so, wie es auch Familie Wang getan hat – das Geschlecht bei den Ultraschall-Voruntersuchungen nicht nur aus Neugier, sondern für die ganz zielgerichtete Abwägung bestimmen. Weibliche Föten werden oft abgetrieben, vor allem ab der zweiten Schwangerschaft, um sicher zu gehen, daß die Familie doch noch den lang ersehnten männlichen Nachwuchs erhält. Das ist zwar verboten, aber gegen entsprechendes Entgelt »hilft« das medizinische Personal immer wieder gern. Der Wunsch nach einem männlichen Nachkommen ist nicht nur bekannt, sondern auch allzu verständlich.

Experten befürchten nun einen Anstieg des Frauen- und Kleinkinderhandels sowie der Prostitution im Land. Schon jetzt vergeht kaum ein Tag, an dem die Medien nicht über aus Geburtenstationen verschwundene Säuglinge, beim Spielen auf der Straße entführte Kinder und den Handel mit jungen Mädchen berichten. Gerade in entlegenen Gegenden kommt es immer wieder vor, daß heiratsfähige Frauen wie auf einem Basar feilgeboten und dann an Junggesellen verhökert werden.

Angesichts dieser Entwicklungen will Peking reagieren. Care for Girls – Kümmert euch um Mädchen – lautet ein Projekt der Staatlichen Kommission für Bevölkerungsentwicklung und Familienplanung, das helfen soll, das völlig aus dem Gleichgewicht geratene Geschlechterverhältnis langsam wieder zu normalisieren. Insbesondere auf dem Land sollen Familien mit »nur« weiblichen Nachkommen unterstützt werden. Allein die südchinesische Provinz Fujian stellt zwanzig Millionen Euro bereit, um Mädchen die Schulgebühren zu erlassen und sie bei der Ausbildung und Arbeitsaufnahme zu unterstützen. Den Eltern werden finanzielle Zuwendungen ab Höhe eines Viertels des durchschnittlichen Einkommens der Bauern im Jahr zuteil.

Vor allem aber soll das Projekt helfen aufzuklären. Denn, wie eine weitere Kampagne verkündet: »Die Hoffnung des Landes ruht auf den Mädchen und Jungen.«

http://www.dasblaettchen.de/GANZE.htm


Klaus | 16.03.07 00:31 | Permalink