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Helden von heute - der Bayer Manfred Göbel in Brasilien

Katholischer Missionar und wichtigster Leprabekämpfer
"Die Politiker müßten mehr Herz für ihr eigenes Volk haben"

von Klaus Hart, Sao Paulo

Im Mittelalter wütete die Lepra auch in Deutschland, wurden die "Aussätzigen" in etwa 20000 Siechhäusern isoliert. Lediglich dank besserer Lebensbedingungen, ohne jegliche Therapie, konnte die Lepra bereits vor zweihundert Jahren ausgerottet werden. Weltweit gibt es jedoch noch viele Millionen von Kranken, die meisten in Indien, gefolgt von Brasilien, Lateinamerikas größter Demokratie. Dort ist der katholische Missionar Manfred Göbel aus dem bayrischen Eichstätt der bekannteste, angesehenste Leprabekämpfer.

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Der große brasilianische Menschenrechtsaktivist Helio Bicudo überreichte ihm den Menschenrechtspreis. Denn Göbels Arbeit ist prinzipiell Menschenrechtsarbeit. Derzeit koordiniert er 15 internationale Leprahilfswerke, darunter die „Deutsche Lepra-und Tuberkulosehilfe“, verhandelt mit der Regierung, unterstützt die Verbände der Lepraopfer. Denn das Tropenland zählt 98 Prozent aller Leprafälle Nord-und Südamerikas.
Brasilien ist die zehntgrößte Wirtschaftsnation, exportiert Flugzeuge und Hightech, Rindfleisch und Soja auch nach Deutschland, hat ein milliardenteures Raumfahrtprogramm. Doch auch unter Staatschef Lula gibt es noch Lepra wie im Mittelalter. „Etwa 48000 neue Leprafälle jährlich, bei sehr hoher Dunkelziffer“, so Manfred Göbel, „das ist kaum zu fassen, das fragt sich jedermann. Weil eben die sozialen Probleme nicht gelöst sind. Millionen hausen in den Slums unter unmenschlichen Bedingungen – es ist schockierend. Man fragt sich, wie die dort überhaupt überleben können, ohne Perspektive. Lepra ist ein Problem sozial ungerechter Strukturen, der Konzentration des Reichtums. In Brasilien sind diese Strukturen weltweit am ungerechtesten - es hat sich die letzten Jahre nur sehr wenig verändert.“
--Boomregion mit Lepra—
Göbel wohnt im westlichen Teilstaat Mato Grosso, in einer Boom-Region, die wegen der Produktions-und Exportrekorde des Agrobusiness immer wieder Schlagzeilen macht. Doch Mato Grosso liegt trotzdem bei der Lepra vorn.
„Das ist es ja. Mato Grosso ist dreimal so groß wie Deutschland, produziert 25 Millionen Rinder, 30 Millionen Tonnen Sojabohnen jährlich, vieles andere mehr. Die zweieinhalb Millionen Bewohner müßten eigentlich mehr als wohlgenährt sein. Doch 800000 leben in Armut, Elend. Neu angelegte Städte sind sehr reich und wohlstrukturiert – und dennoch ist die Leprarate dort am höchsten. Wegen der krassen Gegensätze zwischen Reich und Arm. Viele leben in einfachen Hütten, ohne Hygiene, im Chaos. Besonders schrecklich ist, daß auch sehr viele Kinder an Lepra erkranken."
Lepra ist längst durch Antibiotika, die sogenannte Multi-Track-Therapie, in mehreren Monaten heilbar – doch im neoliberalen, reichen Brasilien geschieht dies keineswegs flächendeckend, wird keineswegs ausreichend in die Früherkennung investiert. Viele Kranke kommen erst dann zur Behandlung, wenn grauenhafte Folgeschäden, Verstümmelungen nicht mehr zu verhindern sind. Wegen des extrem niedrigen Bildungsniveaus kommen sehr viele Infizierte gar nicht auf die Idee, daß sie Lepra haben könnten.
--„Brasilien hat die Gelder, die Mittel“—
Dank Manfred Göbel wurden zwar enorme Erfolge beim Kampf gegen die Lepra erreicht – doch sehr viel bleibt noch zu tun, hängt nicht von seiner Arbeit ab. „Die Gelder müßten besser eingesetzt, die massive Zweckentfremdung müßte gestoppt werden. Die Politiker müßten mehr Herz für ihr Volk haben, sich mehr für die Benachteiligten einsetzen. Denn Brasilien hat die Gelder, die Mittel. Und man müßte mehr in die Erziehung, in das prekäre Schulwesen investieren, um das Niveau der Bevölkerung zu heben. Asiatische Länder erreichten dadurch große Fortschritte. Deshalb ist heute meine Hauptarbeit, mit den Regierungen in Brasilia und den Teilstaaten über eine effizientere Leprabekämpfung zu verhandeln. Ich muß allen Ernstes Politiker, selbst Bürgermeister davon überzeugen, etwas gegen die Lepra zu tun. Dabei warten derzeit immerhin etwa hunderttausend Leprakranke mit schweren Folgeschäden auf chirurgische Maßnahmen. Ich fördere Problembewußtsein, damit möglichst viele Menschen die Lepragefahr verstehen, sich organisieren und politische Forderungen stellen. Ich arbeite auch mit Menschenrechtsorganisationen zusammen, weil Leprakranke diskriminiert, sogar entlassen werden.
Die brasilianische Megacity Sao Paulo ist Lateinamerikas reichste Stadt, hatte die jetzt zur Tourismusministerin ernannte Marta Suplicy von der Arbeiterpartei PT bereits als Präfektin. Wurde unter der PT die Lepra in Sao Paulo ausgerottet, oder gibt es sie etwa noch in den 2000 Slums?
„Und wie – jedes Jahr werden über 6000 neue Fälle registriert, grassiert außerdem Tuberkulose. In fünfzig Slums in der Stadtregion von Sapobemba starte ich deshalb jetzt ein Programm gegen die tödliche TBC. Brasilienweit zählen wir jährlich etwa 100000 Neuerkrankungen, viel mehr als bei der Lepra.“
Jährlich sterben weltweit rund zwei Millionen Menschen an Tuberkulose, gemäß den Statistiken.
--Hohes Lebensrisiko—
Göbel kam 1979, mitten in der schwärzesten Phase der Militärdiktatur, als katholischer Missionar nach Brasilien, wurde von den Militärs gar als Subversiver angesehen, entsprechend traktiert. Im Land, das jährlich über 50000 Morde zählt, arbeitet er immer noch unter hoher Lebensgefahr, die sich gewöhnlich in Deutschland kaum jemand vorstellen kann. „Um die Leprabekämpfung aufzubauen, bin ich über eine Million Kilometer mit dem Jeep durch den Urwald gefahren, mußte über kaputte Brücken, habe in Hütten geschlafen. Und ich mußte oft vor Berufskillern, bewaffneten Banden flüchten – es gab Kämpfe zwischen Indianern und Landlosen. Heute sind Gewalt und Kriminalität überall im Land noch viel höher - die Menschen in Brasilien haben Angst. In der Stadt Cuiabà, wo ich wohne, stellen Drogenbanden sogar Straßensperren auf, gibt es täglich Überfälle und Entführungen. Letztes Jahr wurde meine Sekretärin verschleppt. Ich bin jetzt in Cuiabà von Gangstern verfolgt worden, mußte mit 120 durch die Stadt rasen, um denen zu entkommen. Wenn man sich für die sozialen Probleme einsetzt, muß man vor allem als Ausländer sehr aufpassen, auf welcher Ebene man sich bewegt.“
--Indiomentalität—
Göbel wohnt in der Region mit der nach Amazonien zweitgrößten Indianerpopulation, lernte durch seine Arbeit zwangsläufig auch Sitten und Gebräuche, die Mentalität von Indianern kennen. Auch bei den Stämmen hat er Programme gegen Lepra und Tuberkulose realisiert. Daß bei den Indianern Unterernährung existiert, daß deshalb sogar immer wieder Kleinkinder sterben, hat nach seiner Beobachtung mit den kulturellen Strukturen zu tun. „In den Familien“, so erläutert er, „essen zuerst die Männer von der Nahrung. Erst dann dürfen die Frauen essen. Denn wenn die Frau vor Hunger stirbt, so die Mentalität, kann sich der Mann ja eine andere nehmen.“ Und was ist mit der Ernährung der Kinder? „Zuletzt erst essen die Kinder. Das ist die Kultur bei den Indianern. Denn man kann ja, wenn das Kind stirbt, ein anderes Kind zeugen. Die haben diese Denkweise. Und das ist natürlich ein schwieriges Problem – man muß also neue Strategien entwickeln, damit die Kinder auch genügend zu essen bekommen. Denn es ist nicht damit getan, daß man den Indianern Nahrungsmittelhilfen liefert und es dann eben so abläuft – erst der Mann!“



Klaus | 23.03.07 17:53 | Permalink

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