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Deutschland: Streit um die Freilassung früherer RAF-KämpferInnen.

von Andreas Fanizadeh, Berlin

Um eine mögliche Haftverschonung der früheren Mitglieder der Roten Armee Fraktion (RAF) Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar wird weitergestritten. Die beiden sitzen seit über 24 Jahren im Gefängnis. Im Fernsehen sprechen ExpertInnen von «Massenmördern», die TV-Talkmasterin Sabine Christiansen setzte gar ein Opfer des Islamistenanschlags von Dscherba in die RAF-Debatten-Runde. Blitzumfragen bescheinigen, dass viele die früheren RAF-Kader gerne weiter im Knast sähen. Wenige ExponentInnen, etwa der ehemalige Bundesinnenminister Gerhard Baum, vertreten öffentlich eine andere Ansicht und weisen auf die gesellschaftlichen Ursachen der Auseinandersetzung hin. Die RAF war schliesslich zu einer Zeit entstanden, die mit dem heutigen Laisser-faire – Akzeptanz von Homosexualität bis Biowurst - nicht vergleichbar ist. In Deutschland (wie zum Beispiel auch in Italien) war in den sechziger Jahren eine faschistische Mentalität stark präsent. Rudi Dutschke wurde 1968 Opfer dieser Geisteshaltung, für die neben der Springer-Presse auch viele Staats- und Wirtschaftsfunktionäre standen. An deren demokratischer Gesinnung zweifelte eine ganze Generation.

In Deutschland war in den sechziger Jahren eine postfaschistische Generation erwachsen geworden. Sie kollidierte mit den Lebenslügen einer jungen demokratischen Republik. Erstaunt stellte die Jugend im Westen fest, dass sie sich womöglich mitten unter früheren NS-Mitläuferinnen und -Verbrechern bewegte. Dabei schien der «offizielle Antifaschismus» wie die D-Mark zum Gründungsmythos der Bundesrepublik zu gehören. Er sollte sich nun gegen jene kehren, die ihn zwar lehrten, vor kurzem aber noch selber dem Dritten Reich dienten - und dies verschwiegen. Die Auflehnung gegen den Arbeits-, Konsum- und Lebensstil verband sich so schnell mit einem wortwörtlich genommenen Antifaschismus. Die antiautoritäre Bewegung (aus der später auch die RAF hervorging) kitzelte mit Hedonismus und moralischer Unbedingtheit zunächst tatsächlich den Rest an Faschismus aus der Gesellschaft heraus. Damals genügte es, sich anders zu kleiden oder zu lieben, um gefährlich zu sein. Die «Hippies» waren Ende der sechziger Jahre ein Politikum, vor allem, als sie sich gegen die Prügel wehrten und zurückschlugen. «Wir sind die Türken von morgen», sangen Punks in Deutschland ein Jahrzehnt später, als es ihnen ähnlich erging.

Die Mobilmachung der Gesellschaft und des Staates gegen die Minderheit Anderslebender war brutal und psychotisch. Die Überspanntheit der Reaktion von Teilen der aufständischen Generation scheint auf der anderen Seite mit dem eklatanten Mangel an oppositioneller Erfahrung und demokratischer Überlieferung zu korrespondieren. Der Motor der Entnazifizierung waren die westlichen Alliierten gewesen - und die hatten, zusammen mit den in den Augen vieler völlig kompromittierten westdeutschen Eliten, ein neues Feindbild, nämlich DDR und Kommunismus, geschaffen. Die RAF setzte - wie viele der damaligen Linken - vor der polarisierten Alltagswirklichkeit Kapitalismus und Faschismus gleich. Dies war der grosse Fehler ihrer Theorie, der ihr in Kombination mit einem rigiden Moralismus zum Verhängnis wurde. Im Glauben, selber in einer Opferlinie zu stehen und für eine höhere und gerechtere Sache zu kämpfen, warf sie Humanismus und Selbstreflexion über Bord. Als Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar 1982 verhaftet wurden, war die Geschichte längst völlig abwegig geworden. Fast die komplette Gründergeneration sass seit Mitte der siebziger Jahre in Haft oder war Opfer einer hysterischen Fahndung geworden. Was 1972 mit den tödlichen Anschlägen auf US-Einrichtungen als Protest gegen den Krieg der USA in Vietnam begann, setzte die RAF mit der Exekution von Managern des «militärisch-industriellen Komplexes» in den achtziger Jahren fort. Das letzte Opfer in dieser Kette war 1991 Treuhandmanager Detlef Karsten Rohwedder. Aufseiten der RAF war es Wolfgang Grams, der 1993 unter dubiosen Umständen in Bad Kleinen starb.

Die RAF kreiste um Begriffe wie Antifaschismus und Antiimperialismus, pflegte einen nicht hinterfragten Antikapitalismus mit monokausalen Welterklärungen. «Fundamentalopposition ist mit diesem System wie nie zuvor grundsätzlich fertig», hiess es in einer RAF-Erklärung vom Mai 1982, als Klar und Mohnhaupt noch im Untergrund agierten. «Kalt, illusionslos, vom Staat nicht mehr zu erreichen», steht da weiter. «Da ist nichts mehr von ‹Systemveränderung› und ‹alternativen Modellen› im Staat. Sie sind nur noch skurril. Da ist einfach Schluss - und erst hinter dem Ende des Systems wird eine Lebensperspektive vorstellbar.» «Hinter dem Ende des Systems», da fing für die RAF, Klar und Mohnhaupt einst das Leben an. Die «das System» repräsentierten, hatten allerdings wenig dafür getan, um ihnen andere Sichtweisen nahezubringen.

erschien auch in der Schweizer Zeitung, Die Wochenzeitung ; 08.02.2007

natter | 09.02.07 13:16 | Permalink