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Einfach klingeln lassen

Preisgekrönter spanischer Film “Princesas” im Kino

Für den Ostblog von Angelika Nguyen

Wenn bei Caye das Mobiltelefon klingelt, gibt es Arbeit. Das ist gut, aber jedes Mal kommt so ein schmerzlicher Zug um ihren Mund. Caye ist Hure, jeder Anruf bedeutet einen Freier.

Durch Zufall lernt Caye die illegal eingewanderte Zulema kennen, die ebenfalls als Hure arbeitet. Der Film zeigt, dass das was sie täglich tun, nie selbstverständlich sein wird für sie. Wir sehen die enorme Gefahr, der sich diese Frauen immer wieder neu aussetzen. Zwischendurch, wenn sie im Café sitzen, behauptet Caye, sie und Zulema seien eigentlich Prinzessinnen. “Prinzessinnen” sagt Caye, “sind so sensibel, dass sie spüren, wie die Erde sich dreht.”

Das Filmensemble der Huren wirkt authentisch, zuweilen als würden sie von Laien gespielt. Das hat etwas Erfrischendes, Unvorhersehbares. Caye ist der Felsen des Films. Ihre Prinzessin-Sensibilität macht ihr zwar oft genug zu schaffen, aber die hilft ihr auch, anderen zu helfen, die schwächer sind: Zulema, die sich immer wieder verprügeln lässt oder ihrer drogensüchtigen abgemagerte Kollegin, die nur noch wie ein Gespenst durch die Gegend zieht.
Der Film hat etwas Unfertiges, Rohes, jede Szene kann die letzte sein. Wie schon bei dem Arbeitslosenfilm “Montags in der Sonne” begibt sich Regisseur Fernando León de Aranoa in eine gesellschaftliche Randgruppe und erkundet hier wie da die Beziehungen der Menschen. Das geschieht mit Wärme und ohne Illusionen. Aber neben Verhärtung, Verrat und Trauer findet der Regisseur auch Solidarität, Weisheit und Humor, die diese Menschen gerade aufgrund ihres sozialen Randplatzes erlangen.

Dokumentarisch muten die nächtlichen Straßenszenen auf der Hurenmeile an, minutenlanges Beobachten der Frauen ohne Hauptdarstellerinnen, ohne Geschichte. Einfach nur hinsehen. Wie jene junge Hure minutenlang im gleißenden Autoscheinwerfer der Nacht hält der Film die Balance zwischen Poesie und Sozialdrama, zwischen Freundschaft und Verrat, zarter Verliebtheit und brutalen Freiern.

Calendar Pena und Micaela Nevárez, beide mit dem Spanischen Filmpreis Goya 2006 als Beste Schauspielerinnen ausgezeichnet, spielen ungewöhnlich intensiv. Besonders Pena berührt mit Cayes Taumeln zwischen Prinzessinnenträumen und der knallharten Wirklichkeit. Sie wird nicht müde, ihr Geld zu zählen, Zulema beizustehen, den anderen zu widersprechen. Dabei ist sie immer wachsam: das ist ihr einziger Schutz.

Der größte Nachteil des Hurenberufs, erfahren wir, ist, dass man dem Freund nicht einfach sagen kann, er könne sie von der Arbeit abholen. Denn jemanden abholen ist Liebe, sagt Caye, viel mehr als Ringe und Blumen und der ganze Mist.

Für Caye und Zulema gibt es keinen Märchenschluss. Kein Prinz. Nirgends.
Das heißt nicht, dass es keine Auswege gibt. Es gibt zum Beispiel einen Sohn, zu dem Zulema zurückkehren kann, und Caye könnte endlich mal mit ihrer Mutter reden.
Das Telefon? Einfach klingeln lassen.

A.S.H. | 17.01.07 10:30 | Permalink