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Ein Grüner, die Windkraft und sperrige physikalische Fakten

Johannes Kempmann, früherer Fraktionsvorsitzender der Grünen im Niedersächsischen Landtag, heute Technischer Direktor der Stadtwerke Magdeburg, zum jüngsten großen Stromausfall
"Es kam fast so, wie ich es befürchtet hatte"(Frankfurter Allgemeine, 11. November 2006)

Johannes Kempmann, Technischer Direktor der Stadtwerke Magdeburg, über den

großen Stromausfall

"Es kam fast so, wie ich es befürchtet hatte"

Vor elf Monaten machte der Technische Direktor der Stadtwerke Magdeburg,
Johannes Kempmann, darauf aufmerksam, daß das deutsche Stromnetz nicht
Schritt halte mit dem Ausbau der Windkraft. (Siehe unten! - D. U.) Das Netz
stoße an Grenzen, "die mir schlaflose Nächte bereiten", sagte Kempmann
damals. Als Befürworter der erneuerbaren Energien warnte der frühere
Fraktionsvorsitzende der Grünen im Niedersächsischen Landtag davor, daß ein
plötzlicher Netzzusammenbruch in Sachsen-Anhalt in ganz Deutschland zum
Stromausfall führen könnte. Mit Johannes Kempmann sprach Stefan Dietrich.

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Herr Kempmann, ist am Wochenende in Westeuropa das eingetreten, wovor Sie im
vergangenen Dezember gewarnt hatten?

Genau so, wie ich es befürchtet hatte, ist es zwar nicht gekommen, aber zum
Teil eben doch. Zum Beispiel hat die Abschaltautomatik der Windkraftanlagen
bei plötzlich auftretender Überlast, die mir schon öfter schlaflose Nächte
bereitet hat, genau so funktioniert, wie ich es beschrieben habe. Nur war
das in diesem Fall für uns im Osten die Rettung.

Wie das?

Wir hatten am Samstag vergangener Woche die Situation, daß wir aus dem Osten
relativ viel Strom in den Westen lieferten, also aus dem Vattenfall-Gebiet
ins Eon-Gebiet und weiter Richtung Benelux und Frankreich. Das führte dazu,
daß im Eon-Gebiet und dahinter Kraftwerkskapazität heruntergefahren wurde.
Als dann die Leitung über die Ems abgeschaltet wurde, passierte zunächst
noch nichts. Erst etwa eine halbe Stunde später haben sich zwei 380-

kV-Kuppelleitungen vom RWE-Gebiet ins Eon-Gebiet vom Netz getrennt. Ob wegen
Überlastung oder aus anderen Gründen - das müssen die Netzbetreiber noch
klären. Ich habe ein gewisses Verständnis dafür, daß das nicht so schnell
geht - jedenfalls nicht so schnell, wie unser Umweltminister Gabriel mit
seiner Ursachenforschung fertig ist.

Und wieso war das günstig für Ihr Versorgungsgebiet im Osten?

Zunächst überhaupt nicht. Wir hatten vielmehr damit zu kämpfen, daß nach dem
Ausfall eines Teils des West-Netzes bei uns viel zuviel Strom eingespeist
wurde, obwohl sich sämtliche Windkraftanlagen auf einen Schlag automatisch
abgeschaltet hatten. Ich nehme an, das passierte im gesamten
Vattenfall-Gebiet (neue Länder). Vattenfall hat darauf kurzfristig mit dem
Anwerfen von Pumpspeichern reagiert. Damit konnte ein Stromverbrauch von
3500 Megawatt generiert und die Überlast entsprechend reduziert werden. Dann
aber wollten sich auch die Polen vom Netz trennen, weil sie von den
plötzlichen Netzschwankungen mitbetrof-

fen waren. Dazu ist es glücklicherweise nicht gekommen. So konnten wir das
vorhandene Strom-Überangebot über Polen und die Ukraine bis nach Ungarn
schieben und das Netz in den neuen Ländern stabilisieren. Aber wir waren an
der Obergrenze, was die Frequenz angeht. Das war eine absolut kritische
Situation. Wir waren kurz davor, daß auch der Osten "ge-

platzt" wäre.

Wie stellt sich Ihnen die Situation vom Samstag abend dar?

Es gab im Grunde quer durch Deutschland eine Trennung von Überspannung und
Unterspannung. Im Westen die Unterspannung, im Osten die Überspannung. Der
Ausgleich konnte

nicht mehr hergestellt werden, weil sich die Verbindungen getrennt hatten
und das gesamte europäische Netz in drei Inseln zerfiel: Eine Insel war das
westliche Deutschland und alles westlich davon bis Portugal; eine zweite
Insel bildete das östliche Deutschland mit den östli-

chen Nachbarländern und Dänemark. Die dritte war der ganze Süden und
Südosten bis Griechenland. Im westlichen Teil ging die Frequenz nach unten.
Und weil sich die Netze daraufhin getrennt haben, gingen Frequenz und
Spannung im Osten nach oben.

Kann das wieder passieren?

Generell haben wir das Problem, daß wir in sehr kurzer Zeit die Erzeugung
umbauen. Die stark zunehmende Zahl von Kleinerzeugern - vor allem der
Windkraftanlagen - führt dazu,

daß wir Einspeisungen kriegen in Regionen und zu Zeiten, in denen dieser
Strom nicht gebraucht wird und deshalb über weite Strecken abtransportiert
werden muß. Dazu kommt die Liberalisierung des Strommarktes. Liberalisierung
auf der Erzeugungsseite bedeutet zwangsläufig, daß nicht die Kraftwerke am
Netz sind, die geographisch am nächsten an den Verbrauchern sind, sondern
diejenigen, die in der jeweiligen Situation am billigsten anbieten können.

Das war auch das erklärte Ziel der Politik. Die Folge ist, daß wir den Strom
heute viel mehr als früher über große Entfernungen transportieren müssen.
Diesen radikalen Veränderungen auf der Erzeugungsseite kann die Netzseite
nicht so schnell folgen. Die Genehmigungszeit

für neue Leitungen beträgt nun einmal acht bis neun Jahre. Statt sich über
angeblich marode Netze zu beschweren, sollte Herr Gabriel lieber dafür
sorgen, daß schneller gebaut werden kann. Es ist ja nicht so, daß die
Konzerne nicht investieren wollten. Statt dessen drohen jetzt

noch gesetzliche Regelungen, die den Netzausbau in der Fläche auch
wirtschaftlich unrentabel machen. Der Anarchisierung auf der Erzeugungsseite
kann die Netzseite so nicht folgen. Das bereitet uns jetzt schon Probleme
und wird in Zukunft noch mehr davon bescheren. Da kann Herr Gabriel
erzählen, was er will.

Volksstimme, Magdeburg, Dezember 2005

SWM-Geschäftsführer Johannes Kempmann über die

Risiken der zu schnellen Windkraftentwicklung

Ein Kurzschluss, und ganz Deutschland könnte plötzlich ohne Strom sein

In der Diskussion um das Für und Wider von Windkraftanlagen wird eine Frage
immer häufiger diskutiert: Gefährdet die Energie, die von Windkraftanlagen
in großer Menge eingespeist wird, die Stabilität des Stromnetzes?
Volksstimme-Redakteur Oliver Schlicht sprach darüber mit Johannes Kempmann,
technischer Geschäftsführer der Städtischen Werke Magdeburg GmbH (SWM).

Volksstimme: Als Energiemanager mit grünem Parteibuch, noch dazu mit einem
schmucken, kleinen Windrädchen-Modell im Büro, stehen Sie der Windenergie
bestimmt sehr positiv gegenüber?

Johannes Kempmann: Durchaus. Ohne Zweifel steckt in der Nutzung von
Windenergie ein großes Potenzial. 3000 Beschäftigte allein beim
Windkraftanlagenbauer Enercon in Magdeburg zeigen dies eindrucksvoll. Die
Geschwindigkeit, mit der die Branche wächst und die Strommenge, die sie in
unser Netz einspeist, beunruhigt mich allerdings.

Volksstimme: Was kann an dieser vergleichbar geringen Menge beunruhigend
sein? Nach Angaben des Statistischen Landesamtes wurden in Sachsen-Anhalt im
Jahr 2003 17, 5 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt. 90 Prozent
davon aus Windkraft.

Kempmann: Mit dieser Zahl könnten wir auch leben. Die aktuelle Realität
sieht leider anders aus. Nach unseren Berechnungen - und wer, wenn nicht wir
und Eon Avacon als Netzbetreiber sollten dies besser wissen - betrug der
Anteil an Windenergieerzeugung im Norden Sachsen-Anhalts 2004 bereits 31
Prozent. Wir gehen auf der Grundlage von Windkraftparks, die in der
Genehmigungsphase sind, für 2006 sogar von etwa 60 Prozent aus. Auf das
ganze Bundesland bezogen, werden die Anteile ähnlich wie im Norden sein.

Volksstimme: Was bedeutet das für das Stromnetz?

Kempmann: Viel Wind, viel Strom. So viel Strom, dass wir nicht wissen, wohin
damit. Industrielle Stromabnehmer gibt es in Sachsen-Anhalt vergleichsweise
wenig. Der Strom muss bei konstant gleicher Spannung verteilt werden, ein
Spannungsabfall oder eine Hochspannung gefährdet das Netz. Eine Speicherung
ist nicht möglich. Für die Zukunft bedeutet das, das Netz muss vom
Versorgungsnetz in ein Entsorgungsnetz umgebaut werden. In ländlichen
Regionen, wo früher die geringsten Leitungskapazitäten nötig waren, weil
dort kaum Abnehmer Strom benötigten, muss in Zukunft Windstrom in
Größenordnungen abtransportiert werden.

Volksstimme: Wo ist das Problem? Sie bauen das Netz halt aus. Verfolgt man
die jüngsten Börsen- und Wirtschaftsmeldungen, verdient ihr wichtigster
Anteilseigner Eon so viel wie nie zuvor.

Kempmann: Die SWM sind nicht Eon. Aber richtig ist schon, dass die Frage der
Stromabführung letzlich keine politisch-ideologische, sondern schlicht eine
Geldfrage ist. Geld übrigens, so viel steht fest, das am Ende der Stromkunde
bezahlt. Wir planen, weil uns die Windenergieentwicklung dazu zwingt,
gemeinsam mit unserem Partner Eon Avacon unter anderem den Bau mehrerer
Umspannwerke und eine neue 30 Kilometer lange 110-kV-Leitung in die Altmark.
Doch Planung und Bau einer solchen Trasse dauern mehrere Jahre.

Volksstimme: Seit über zehn Jahren werden Windenergieparks gebaut. Warum
haben die Netzbetreiber ihre Netze nicht früher ausgebaut?

Kempmann: Noch 1996 wurden wir von der Windenergiebranche beklatscht, weil
wir in einer Studie zeitnah mit sieben Prozent Windenergieerzeugungsanteil
im Land gerechnet haben. Man kann uns heute sicher vorwerfen, den Boom
dieser Branche unterschätzt zu haben. Aber das hilft doch nichts. Das
Stromnetz ist nun mal so groß wie es ist. Und das stößt rein physikalisch an
Grenzen, die mir schlaflose Nächte bereiten.

Volksstimme: Kritiker behaupten, die Energiekonzerne übertreiben das
Netz-Problem, weil ihnen in der Windenergiebranche eine lästige Konkurrenz
erwächst. Wie ernst müssen wir Ihre schlaflosen Nächte nehmen?

Kempmann: Sehr ernst. Ich möchte nicht am Ende, wenn in ihrer Redaktion die
Computer ausgegangen sind, vorgeworfen bekommen, ich hätte nicht rechtzeitig
vor einem Blackout gewarnt. Auch für Enercons Exportpläne wäre es wenig
vorteilhaft, wenn ihre Windräder in Deutschland - ein Land, das für sein
stabiles Stromnetz bekannt ist - das Licht ausknipsen.

Volksstimme: Sie halten ernsthaft einen Zusammenbruch des Stromnetzes in
Deutschland für möglich - hervorgerufen durch den hohen Anteil von
Windenergieparks in Sachsen-Anhalt?

Kempmann: Absolut. Und die Gefahr besteht sehr viel mehr als allgemein
angenommen. Und das hat mit Physik zu tun und nicht mit Politik.

Volksstimme: Wie sollten Windräder in der Altmark denn das ganze deutsche
Stromnetz aus dem Takt bringen?

Kempmann: Das ist das Szenario meiner schlaflosen Nächte. Und das habe nicht
ich entworfen, sondern es geht auf eine Untersuchung in der Dena-Netzstudie
vom Februar dieses Jahres zurück. In dieser Studie, die Netzbetreiber, die
Windbranche und das Bundes wirtschaftsministerium gemeinsam erarbeitet
haben, ist ein Zwischenfall angenommen worden, der sich nahe dem Umspannwerk
Wolmirstedt ereignen könnte: Ein Kurzschluss in einer 380-kV-Leitung.

Volksstimme: Das ist das leistungsstärkste Kabel, das es gibt, die Autobahn
des europäischen Stromnetzes. Ist ein Kurzschluss einer 380-kV-Leitung nicht
ein reichlich übertriebenes Horror-Szenario?

Kempmann: Nein. Das kommt in Deutschland etwa vier bis fünfmal jährlich vor.
Gemeint ist nicht das Durchtrennen des Kabels, sondern ein Kurzschluss, weil
zum Beispiel ein dicker Ast auf eine Leitung gefallen ist. Auch ein großer
Vogel wie ein Schwan kann Probleme verursachen. Denkbar ist auch ein
Kurzschluss in Folge von manueller Fehlschaltung. Solcher kurzzeitige
Spannungsabfall, den das Netz normalerweise ausgleicht, war bislang kein
Problem. Im Kraftwerk wird der Spannungsabfall registriert und in
Sekundenbruchteilen Strom nachgeschoben, bis die Kurzschlussursache
verbrannt ist und sich die Netzspannung normalisiert hat.

Volksstimme: Was ändert daran die Windkraft?

Kempmann: Diese Art der Dienstleistung, das Nachschieben von Strom, leisten
Windkrafträder nicht. Ältere überhaupt nicht, und jüngere nicht im
ausreichenden Umfang. Sie schalten beim Spannungsabfall im Netz einfach ab.
Sie bleiben stehen.

Volksstimme: Aber waren es nicht die Energieunternehmen, die bei der
Festlegung der technischen Standards, die den Anschluss von Windkraftanlagen
regeln, mit am Tisch saßen?

Kempmann: Das ist richtig. Aber wer hat denn damals geahnt, dass die
Windkraft so umfänglich wie jetzt Strom einspeist? Inzwischen gibt es neu
modifizierte Anschlussvereinbarungen, die das berücksichtigen. Aber die
weitaus überwiegende Zahl von Windkraftanlagen, die sich draußen auf der
Wiese drehen, sind nun einmal nicht auf einen Spannungsabfall vorbereitet.

Volksstimme: Was aber steht denn nun so Schlafraubendes ausgerechnet über
Wolmirstedt in der Dena-Studie?

Kempmann: Der Ort wurde nicht ohne Grund ausgewählt. Das Umspannwerk
Wolmirstedt ist im gesamten deutschen Stromnetz einer der bedeutendsten
Knotenpunkte. Man muss sich nun folgendes vorstellen: Es ist Freitag
Nachmittag. Es ist Sommer. Die Menschen sortieren im Garten das
Grillfleisch. Es wird kaum Strom verbraucht. Das Wochenende steht vor der
Tür. Die Industrieanlagen in Sachsen-Anhalt sind weitestgehend
heruntergefahren. Ein steife Brise bläst. Alle Windkraftanlagen liefern satt
Strom. Zu viel Strom, deshalb müssen die Kraftwerksbetreiber drüben in der
Lausitz fluchend ihre Generatoren herunterfahren. Dadurch steigt minütlich
der Anteil von Windstrom im Hochspannungsnetz Sachsen-Anhalts. So hoch, dass
das Land am Abend fast gänzlich von Windstrom versorgt wird. Und nun fällt
der Ast auf die 380-kV-Leitung am Umspannwerk Wolmirstedt.

Volksstimme: Gut, nun bleiben Windkrafträder stehen. Aber die Kraftwerke
gleichen diesen Spannungseinbruch doch sicher schnell aus?

Kempmann: Ganz falsch. Es schalten sich nicht ein, nicht zwei Windkrafträder
ab. Nach den Dena-Berechnungen würden sich in wenigen Sekunden tausende
Windkrafträder auf einem etwa 150 Kilometer breiten Korridor zwischen der
Ostsee und Helmstedt abschalten. Dies würde zu einem Leistungseinbruch bei
der Windeinspeisung im Hochspannungsnetz der Region Ost von 4950 Megawatt
vor auf 2050 Megawatt nach dem Fehlereintritt führen. Den Fehlbedarf von
2900 Megawatt könnte kein Kraftwerk nachschieben. Die Netzfrequenz wäre
instabil. In Sekundenschnelle würde das Netz erst im Norden Sachsen-Anhalts,
dann in den neuen Bundesländern und dann möglicherweise in ganz Deutschland
zusammenbrechen. Blackout.

Volksstimme: Gibt es keine Reserven, die den Spannungsabfall ausgleichen
könnten?

Kempmann: Nicht in dem Umfang. In Sachsen-Anhalt könnten wir kurzfristig
zweimal 60 Megawatt aus Wasserkraft einspeisen. In ganz Europa werden
zwischen dem Nordkap und der griechischen Ägäis, zwischen Portugal und dem
Ural nur etwa 3000 Megawatt Energiereserven vorgehalten. Niemals würde dies
das Problem des beschriebenen großflächigen Spannungseinbruchs lösen.

Volksstimme: Ein Ast auf ein Stromkabel in Wolmirstedt könnte Deutschland
schwarz machen? Ist das Ernst?

Kempmann: So steht es in der Dena-Netzstudie. Der größte Teil Deutschlands
wäre ein bis zwei Tage ohne Strom. Aber die Politik scheint sich dafür nicht
so recht zu interessieren. Die Windkraft ist eine heilige Kuh. Da will
niemand ran. Ich ahne schon, dass die Netzbetreiber am Ende den schwarzen
Peter zugeschoben bekommen werden, wenn das Kind in den Brunnen gefallen
ist.

Volksstimme: Was wäre aus Ihrer Sicht zu tun?

Kempmann: Ich bin alles andere als ein Feind der Windkraft. Aber wir müssen
dringend innehalten. Es kann nicht in dem Tempo weitergehen. Wir, also die
Windenergiebranche, die Energieunternehmen und die Politik, müssen die ganze
Ideologie und Politik einmal beiseite lassen und nur über Physik reden. Und
das ganz schnell. Sonst geht wirklich bald das sprichwörtliche Licht aus.
Oder um mit den Worten von Murphy ' s Gesetz zu sprechen: Es kommt am Ende
immer schlimmer, als man denkt.

BU Johannes Kempmann wurde am 15. April 1954 in München geboren. Der
SWM-Manager gehört seit 1980 den Grünen an. Von 1986 bis 1994 war er
Abgeordneter im Landtag von Niedersachsen. Seit Mitte der 90er Jahre
arbeitet Kempmann in Sachsen-Anhalt. Von 1995 bis 1998 war er als
Geschäftsführer der Energieagentur des Landes tätig. Mitglied der
Geschäftsführung der Städtischen Werke Magdeburg GmbH ist er seit 1998 und
ist für den technischen Bereich zuständig.

Hinter den Kulissen planen die Profiteure immer heftigere Attacken auf die Natur - logischerweise kein Thema für eingekaufte Umweltorganisationen und Politiker:

Thüringer Allgemeine
Schneise für Billigstrom aus Polen
Entgegen aller bisherigen Aussagen soll mit einer durch den Thüringer Wald
führende Mega-Stromtrasse nicht nur Öko-Strom aus Windkraftwerken geleitet
werden. Nach Auffassung von Experten geht es vor allem um billige Energie aus
Polen für westeuropäische Ballungszentren. Dabei soll es sich künftig auch
um Atomstrom handeln.

ERFURT/LEIPZIG. Nicht nur der saubere Strom aus den Offshore-Windparks in
Nord- und Ostsee ist der Grund für den Netzausbau durch den schwedischen
Energiekonzern Vattenfall in Thüringen. Weitaus wichtiger ist aus Sicht von
Energieexperten für die Netzbetreiber der langfristig gesicherte
Wettbewerbsvorteil, billigen Strom aus Osteuropa teuer in westeuropäische
Ballungsräume zu verkaufen.

Diesen Einwand erhebt auch Alexander N. Napp, Geschäftsführer der 1999 in
Düsseldorf gegründeten Strombörse Deutschland. Er sieht sich als
Verbraucheranwalt und erklärte gegenüber dieser Zeitung, er halte den
Netzausbau für fragwürdig. Das erfolge "unter dem Deckmantel, regenerativen
Energien den Vorzug geben zu wollen", so der Vorwurf von Napp. Tatsächlich
werde auch in Atom- und Kohlekraftwerken erzeugte Energie über die
380-kV-Trasse geleitet, was die Gewinne erhöhe.

Dass es nicht nur um Strom aus Windkraft geht, bestätigen unisono die
Wirtschaftsministerien in Thüringen und Bayern auf Anfrage einer
Bürgerinitiative aus Weidhausen bei Coburg.

Auf Nachfrage hieß es von Vattenfall: "Wir stellen das Netz, welchen Strom
die Versorger durchleiten, darauf haben wir keinen Einfluss", so Sprecher
Manuel Vormelchert.

Von der Leipziger Strombörse wurde bestätigt, die Herkunft des Stroms sei
nicht nachzuvollziehen. Über das Leipziger Portal würden 156 Versorger
handeln - anonym, so die Sprecherin der European Energy Exchange, Katrin
Berken. Aus Polen werde auch jetzt schon zugekauft, räumte sie ein. Ob die
Versorger teuer in Deutschland erzeugten Strom oder billigere Energie aus
Polen abgeben, mache für den Verbraucher keinen Unterschied. Der Kunde zahlt
die regional gültigen Preise.

Polen erzeugt seinen Strom hochsubventioniert und preisgünstig aus Kohle.
Derzeit noch - man will gemäß des Kyoto-Protokolls die Kohlendioxid-Emission
senken. Eine Alternative scheint der Bau eines Kernkraftwerks zu sein, das
nach Informationen der Umweltschützer von Greenpeace 2015 in Gryfino bei
Stettin in Betrieb gehen soll. Ein Kernreaktor russischen Typs war bereits
1986 im Bau - das Jahr, als in Tschernobyl die Anlage explodierte..

30.11.2006 Von Ines KLEIN

Wendeverlierer Ost-Natur: Vattenfall will "sensiblen Naturraum" Thüringens zerstören

Thüringer Allgemeine(1.12.2006)
"Tunnel kommt nicht in die Tüte"
Wolfgang NELDNER (49), Chef von Vattenfall Europe Transmission, will im Jahr
2008 den Schalter umlegen. Bis dahin soll die geplante Megaleitung durch den
Thüringer Wald stehen. Dass Vattenfall dabei sensiblen Naturraum in einer
Region zerstört, die vor allem vom Tourismus lebt, wird billigend in Kauf
genommen.

Welcher Strom wird durch die Leitung fließen, die sie durch den Thüringer
Wald bauen wollen?

Das kann ich Ihnen nicht beantworten. Ich bin nur der Netzbetreiber und
verpflichtet, die Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. Und Elektronen
lassen sich nun mal nicht markieren.

Das heißt, neben regenerativem Strom wird auch Atomstrom aus Osteuropa,
vielleicht aus der Ukraine oder Russland, durchgeleitet?

Diese Frage ist rein hypothetisch, es gibt keine elektrische Verbindung nach
Russland und in die Ukraine.

Sie wissen also nicht welcher Strom durch ihre Leitungen fließt und können
es uns nicht sagen, aber gleichzeitig begründen sie die Notwendigkeit der
Trasse mit der Sympathie für ökologischen Windstrom?

Für die regenerativen Energien kann ich es ganz genau sagen, denn das
EEG-Gesetz verpflichtet uns, den physikalischen bundesweiten Ausgleich für
regenerative Energien zu schaffen. Dafür brauchen wir weitere
Transportkapazitäten, ansonsten wird es eng.

Das heißt?

Wir müssen unser Netz ausbauen, um Strom aus Wind und Biomasse
transportieren zu können. Und dazu gehört auch die Trasse durch Thüringen.

Von der Thüringen nichts hat, außer dass im Thüringer Wald, einer Region,
die fast ausschließlich vom Tourismus lebt, Natur in Größenordnung zerstört
wird. Sicherlich gibt es auch andere technische Möglichkeiten für den Bau
einer derartigen Anlage in einem sensiblen Gebiet?

Nein, wir haben eine Freileitung beantragt und werden die auch bauen.
Strittig ist nur, wo in dem 500 Meter breiten Planungskorridor. Ein Tunnel
kommt gar nicht in die Tüte. Im Übrigen, Thüringen wird profitieren,
schließlich muss auch der hier gewonnene regenerative Strom transportiert
werden. Das ist wichtig für die Entwicklung des Wirtschaftsfaktors
"erneuerbare Energie".

Sie wollen also im Naturpark mit dem Bulldozer unterwegs sein?

Wir haben Pantoffeln an und behandeln den Thüringer Wald als Wohnzimmer...

... aber auch im Osten Deutschlands liegen die Leitungen unter Putz.

Ein Erdkabel ist ökologisch nicht sinnvoll. Es entsteht ein 20 bis 30 Meter
breiter Steppenstreifen, auf dem nichts mehr wächst. Die Technik ist nicht
erprobt und sieben Mal teurer als eine Freileitung, die ich auch optisch für
durchaus ansprechend halte. Bei Kabelverlegung im Tunneln reden wir gleich
über noch höhere Dimensionen. Aber zurück zur Freileitung: Dabei können wir
über jeden Vorschlag für Ausgleichsmaßnahmen reden - den das
Landesverwaltungsamt bestätigen muss. Damit könnte man auch eine Optimierung
eines ganzheitlichen Tourismuskonzeptes erreichen.

Sie wollen doch nicht sagen, dass ein Tourist in den Thüringer Wald fährt,
um sich dort ihre Strommasten anzuschauen?

Warum nicht.

Sind Sie ein Zyniker? Nein. Es geht um die Möglichkeiten der Verbesserung,
speziell für Erholung Suchende mit Kindern.

Sie haben auf die Kosten für ein Erdkabel verwiesen. Die Stromkonzerne
machen Milliardengewinne mit ihrer Leitung und noch mehr, wenn sie billigen
Atomstrom aus der Ukraine kaufen, um ihn danach teuer in Westeuropa zu
verkaufen. Im Gegensatz zum Bund, der eigens viele Milliarden Euro für die
Autobahntunnel in die Hand genommen hat, um die Natur in dieser Region zu
schonen...

Ich mache keine Gewinne, ich bin nur der Netzbetreiber und darf nicht mit
Strom handeln.

Jene aber, für die Sie die Leitungen zur Verfügung stellen, verdienen damit
gutes Geld. Warum können die sich nicht am Bau des Erdkabels beteiligen?

Eine Umlage für den Netzausbau sieht das EEG-Gesetz nicht vor. Dass haben
wir kritisiert. Die Netze zahlt der Verbraucher, also letztlich Sie und ich.
Und wenn wir unterirdisch bauen, reden wir über ein Milliardenprojekt.
Kosten, die auf die Strompreise in Ostdeutschland umgelegt werden und
Arbeitsplätze kosten könnten.

Die sind aber auch in Gefahr, wenn im Thüringer Wald die Gäste ausbleiben...

Die Region ist ein Mittelgebirge wie viele andere auch.

Für uns nicht. Gerade der Bereich, an dem Sie mit ihrer Megatrasse den
Rennsteig queren wollen, ist einer der bedeutsamsten. Da findet sich doch
sicherlich noch eine Alternative?

Wie wollen Sie den Menschen in Sömmerda erklären, dass sie mit einer
Freileitung leben müssen, am Rennsteig aber erdverkabelt wird. Ganz
abgesehen davon, dass die Bundesnetzagentur uns schon wegen der Kosten nur
den Freileitungsbau zugesteht. Selbst wenn wir wollten, wir dürfen nicht -
es geht um die wirtschaftliche Zumutbarkeit für alle Stromverbraucher.

2008 wollen Sie den Schalter umlegen. Nun verzögert sich aber schon das
Raumordnungsverfahren. Wie wollen Sie den ehrgeizigen Zeitplan einhalten?

Wir werden einfach schneller bauen müssen.

Und wenn es noch zu Klagen kommen sollte, gibt es bei Ihnen einen Plan B?

Nein. Damit rechne ich nicht. Aber ich weiß, es gibt keine Leitungen, die
geliebt werden.

Klaus | 18.11.06 14:40 | Permalink