« SAUBERE OPEL KATET GSI CAPRIO SUCH NEUE HALTER | Hauptseite | Deutschlands Ahmadiyya-Muslim-Gemeinde und die Beziehungen zwischen Ehefrau und Ehemann »

Brasiliens bewußte Fahrlässigkeit im Luft-und Straßenverkehr

Viel zuwenig Fluglotsen - Monatsverdienst brutto rund 620 Euro
Über 35000 Verkehrstote
--von Klaus Hart, Sao Paulo--
Wer seit den neunziger Jahren brasilianische Medienberichte über den haarsträubenden Zustand der Flugsicherung des Tropenlandes gelesen hatte, saß nur noch mit sehr mulmigem Gefühl zwischen Chui und Oiapoque im Flieger. Zumal die Regierungen derartige Veröffentlichungen stets schlichtweg ignorierten. Doch die Zivilluftfahrt der zehntgrößten Wirtschaftsnation erlebte erst die letzten Wochen das größte Chaos ihrer Geschichte. Nach dem tragischen Flugzeugabsturz von Ende September, bei dem 154 Menschen starben, revoltierten die Fluglotsen zum ersten Mal, nahmen ihre extrem schlechten Arbeitsbedingungen nicht länger hin und machten Dienst nach Vorschrift, gemäß internationalen Regeln. Die Folge: Tausende Flüge verspäteten sich stark, 1170 wurden sogar ganz abgesagt. Auf den Flughäfen ein beinahe unbeschreibliches Durcheinander.

Die Lula-Regierung steht am Pranger, weil sie in den letzten Jahren die Mittel für Flugsicherheit stark gekürzt hat.
Achtundneunzig Prozent aller Länder der Erde lassen kommerzielle Flüge auf ihrem Territorium durch zivile Fluglotsen überwachen. Doch Lateinamerikas größte Demokratie klammert sich dagegen nach wie vor an ein Relikt aus der Diktaturzeit, hat in den Kontrolltürmen der zivilen Airports fast nur blutjunge Unteroffiziere stationiert. Die bekommen für die anstrengende, stressige Arbeit allen Ernstes umgerechnet nur etwa 620 Euro monatlich - brutto. Brasilianische Luftfahrtexperten kritisieren, daß Radaranlagen und andere Überwachungstechnik meist hoffnungslos veraltet sind, teils aus den sechziger Jahren stammen und häufig nicht funktionieren, Brasilien statt der rund 2700 mindestens 3500 brauchte. Gefordert wird zudem, die Flugsicherung zu entmilitarisieren. Nur so, heißt es, könnte man endlich die Fluglotsen für ihre anstrengende Arbeit angemessen bezahlen. Denn derzeit dürfen die Unteroffiziere in den Kontrolltürmen aus Gründen der militärischen Hierarchie nicht mehr verdienen als Offiziere.
Als Fluglotse zu arbeiten, ist in Brasilien höchst unattraktiv. Nach der Arbeit gehen die „Controladores do trafego aereo“ nicht etwa nach Hause, sondern werden in die Kasernen zurückgebracht, müssen Befehlen gehorchen, werden sogar zu Militärparaden beordert, sind zuerst Soldaten, dann erst Fluglotsen, wie Experten betonen. Gewöhnlich verlassen die Controladores möglichst schnell die Streitkräfte und suchen sich einen besser bezahlten Beruf. Europäische Fluglotsen haben langjährige Erfahrung, die brasilianischen nicht. Die meisten sind Mitte zwanzig. In Brasilien werden allen Ernstes für die Luftwaffe und die Zivilluftfahrt die selben Radaranlagen benutzt. Staatschef Lulas Verteidigungsminister Waldir Pires hat jetzt versprochen, mit der Entmilitarisierung des Luftverkehrs anzufangen. Von den Problemen der Flugsicherung will er angeblich nichts gewußt haben – ein schlechter Witz.
In den letzten Jahren hat zwar Brasiliens Flugverkehr stark zugenommen, doch auch die Lula-Regierung hat die Mittel für Flugsicherung stark gekürzt, zudem 2006 Jahr nur etwa die Hälfte der vorgesehenen Mittel freigegeben. Die Teams der Fluglotsen in den Kontrolltürmen wurden reduziert, statt aufgestockt. Gemäß internationalen Vorschriften darf sich ein Lotse maximal um 14 Flugzeuge gleichzeitig kümmern. In Brasilien sind zwanzig und mehr üblich. Da rutscht den gestreßten Unteroffizieren schon einmal etwas durch. Gemäß bisherigem Ermittlungsstand brachten sie Ende September eine Boeing der nationalen Fluglinie GOL und eine kleinere Maschine auf Kollisionskurs, bemerkten den Fehler nicht. Die Boeing stürzte in den Urwald, 154 Menschen starben. Brasiliens Medien geben den politisch Verantwortlichen die Schuld, nicht den Fluglotsen. Brasiliens populärster Fernseh-und Zeitungskommentator Arnaldo Jabor:
“Die Fluglotsen kämpfen derzeit für die Sicherheit der Flugzeuge und für angemessenen Verdienst. Den bei diesen Löhnen machen viele notgedrungen noch Nebenjobs als Wächter oder Taxifahrer. Jetzt holt die Regierung eiligst sogar Ex-Fluglotsen, die bereits Rentner sind, in die Kontrolltürme, um die Probleme zu lösen. Flugkontrolleure muß man anständig behandeln, auch psychologisch betreuen. Es mußten erst 154 Menschen sterben, um uns alle auf das Desaster der nationalen Flugsicherung hinzuweisen, das zu weiteren Tragödien führen kann.“ Die Qualitätszeitung „Folha de Sao Paulo“ sprach von einem „Carandiru aereo“, spielte damit auf die Erschießung von mindestens 111 Häftlingen in einem Gefängnis von Sao Paulo durch die Militärpolizei an. „Es mußte erst ein Carandiru aereo geschehen, damit wir wissen, daß jedes Mal, wenn ein Flugzeug am Himmel Brasiliens kreuzt, die Passagiere in Lebensgefahr sind.“
--Brutaler, rücksichtsloser Straßenverkehr—
Bewußte Fahrlässigkeit, auch in Bezug auf das eigene Leben, ist für Brasilien recht typisch und wird nicht zuletzt im Straßenverkehr deutlich. Ein Sicherheitsabstand wird nur zu oft nicht eingehalten, Überholen in unübersichtlichen Kurven ist normal, Trunkenheit am Steuer häufig zu beobachten. Auffällig, wie aggressiv gerade Mittelschichtsfrauen in Großstädten wie Rio de Janeiro und Sao Paulo fahren, mit einer frechen Hau-ab-Handbewegung selbst bei Ampel-Grün für Fußgänger diese von der Fahrbahn scheuchen – wer nicht zurückspringt, wird halt angefahren, überfahren. Anders als in Deutschland üblich, setzen sich solche Fahrerinnen auch nach drei, vier Caipirinhas, einer Viertelflasche „Johnny Walker“ noch hinters Steuer – jede Nacht in den Kneipenvierteln zu beobachten.
Entsprechend hoch ist die Zahl der tödlichen Unfälle in Brasilien. Gemäß den geschönten amtlichen Angaben waren es 2004 rund 35500 Verkehrstote. In Deutschland wurden 2005 exakt 5361 Verkehrstote registriert. Deutschland hat eine etwa halb so große Einwohnerzahl wie Brasilien. Würde wie in dem Drittweltland gefahren, läge also die Zahl der Verkehrstoten bei über 17000. Zusätzlich bemerkenswert – Brasiliens Autobestand ist viel geringer als der deutsche.
Hinzu kommt – im Land der Korruption haben viele Wagenlenker ihren Führerschein nicht gemacht, sondern bei Fahrschulen gekauft. In Wahlkämpfen gehörte zu den Methoden des Stimmenkaufs der Kandidaten, Führerscheine gratis zu verteilen.
--Auch in der Megacity Sao Paulo ist es vielerorts üblich, trotz Verbotsschildern über die Eisenbahnschienen zu laufen, statt nahe Überführungen zu benutzen. Errichtet die Bahnbehörde Schutzmauern, werden diese illegal niedergerissen oder mit Durchgängen versehen. Zwischen Januar und Oktober 2006 wurden daher allein in Sao Paulo gemäß den gewöhnlich frisierten offiziellen Zahlen 44 fahrlässige Menschen von Zügen überfahren – keiner davon überlebte.
Im nachmittäglichen Berufsverkehr quellen Unmengen von Menschen aus überfüllten Vorstadtzügen, benutzen Unzählige auf den Bahnhöfen jedoch nicht die Überführungen, sondern springen zwecks Abkürzung geradezu massenhaft auf die Gleise, klettern flink auf der anderen Seite die Bahnsteige hoch – ein erschreckender, schockierender Anblick. Bahnverwaltungen oder Polizei halten nicht für nötig, dies zu verhindern.
Gemäß dem neuesten UNO-Index für menschliche Entwicklung fiel Brasilien vom 68. auf den 69. Platz zurück und liegt in der Ländergruppe mit mittlerem Entwicklungsniveau. Kuba verbesserte sich und ist jetzt auf dem 50. Platz, weiterhin in der Spitzengruppe der Länder mit hohem menschlichen Entwicklungsniveau.



Klaus | 09.11.06 13:52 | Permalink