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Befreiungstheologischer Amazonasbischof Erwin Kräutler unter ständigem Polizeischutz

"Lula-Regierung befürchtet Ermordung"
Sklavenarbeit, Terror gegen Menschenrechtsaktivisten
--von Klaus Hart, Sao Paulo--
Der aus Österreich stammende befreiungstheologische Bischof des Amazonas-Bistums Xingu, Erwin Kräutler, ist nach zahlreichen Morddrohungen auf Anweisung der brasilianischen Regierung unter ständigen Polizeischutz gestellt worden. Wie Kräutler im Bistumssitz in Altamira sagte, werde er rund um die Uhr und auch bei Reisen in weit entfernte Gemeinden von einer Sondereinheit bewacht. Brasiliens Sicherheitsbehörden bewerteten seine Situation als "kritisch".

"Man hat Angst, daß nach dem Mord an der nordamerikanischen Missionarin und Umweltaktivistin Dorothy Stang in meinem Bistum vom vergangenen Jahr auch mir etwas passiert." Einen weiteren Fall wie diesen könne sich die brasilianische Regierung politisch heute nicht leisten. Sehr schmerzhaft für ihn sei, so Kräutler, daß er wegen seines Bekanntheitsgrades Polizeischutz erhalte, hunderte ebenfalls von Mord bedrohte Geistliche, kirchliche Menschenrechtsaktivisten und Umweltschützer jedoch nicht. Seine seelsorgerische Arbeit werde erschwert, weil die Polizeibegleitung auf viele Gläubige verstörend wirke und von ihm jedesmal erklärt werden müsse. Vorrangig sei, daß die Gründe, weshalb er Morddrohungen erhalte, von den zuständigen Autoritäten beseitigt würden.
Der Bischof hatte eine lückenlose Aufklärung des Mordes an der Urwaldmissionarin Stang gefordert und immer wieder betont, daß viele einflußreiche Hintermänner bisher nicht belangt würden. "Hinter dem Mord stehen auch Politiker aus den höheren Etagen." Zudem will Kräutler gemeinsam mit Umwelt-und Menschenrechtsorganisationen ein von der Lula-Regierung am am Rio Xingu geplantes Staudammprojekt verhindern, das Amazonasnatur zerstören und den Lebensraum von Indianerstämmen überfluten würde. Außerdem hatte er massiven sexuellen Kindesmißbrauch sowie Kinderprostitution öffentlich gemacht, worin Politiker, Großgrundbesitzer und andere Unternehmer verwickelt sind. Daraufhin hatte er auf verschiedenstem Wege Morddrohungen erhalten, war sogar in öffentlichen Hetzkampagnen seine Eliminierung empfohlen worden. Kräutler, so hieß es, sei ein Feind des Fortschritts, der die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Region verhindern wolle. "Seit meiner Ankunft vor 41 Jahren", so der Bischof, "kämpfe ich für echten Fortschritt und nachhaltige Entwicklung von Amazonien, setze aber die Interessen der Menschen, darunter der Indianer und der Uferbewohner, als Priorität." Seine Gegner betrieben indessen die skrupellose Ausbeutung der Region, darunter massive illegale Abholzung, um riesige Gewinne einzustreichen. "Nach uns die Sinflut" und nicht Nachhaltigkeit sei deren Motto. Gerodeter Wald werde nicht wieder aufgeforstet, verwandle sich in unfruchtbare Steppe. Amtliche Angaben über vernichteten Urwald entsprächen nicht der Realität, seien zu niedrig.
Den Statistiken zufolge sind in den vier Amtsjahren der Regierung von Staatschef Lula etwa 80000 Quadratkilometer Regenwald zerstört worden. Der Amazonasteilstaat Parà, in dem Kräutlers Bistum liegt, ist mehrfach so groß wie Deutschland. Gemäß Rechtsexperten wird dort nur in vier Prozent aller Mordfälle überhaupt von der Polizei ermittelt, dominiert ein Klima der Straflosigkeit und ist Sklavenarbeit häufig. Kräutler hat mehrere Menschenrechtspreise erhalten. Einen als Autounfall inszenierten Mordanschlag überlebte er schwerverletzt, der neben ihm sitzende italienische Priester wurde getötet.
Kräutler legte sich auch immer wieder mit Brasiliens Justiz, der Richterkaste an.
Sie zählt zu den Berufsgruppen mit den absurdesten Privilegien und steht deshalb fast ständig unter heftigem Beschuß der Medien sowie der Menschenrechtsorganisationen. Denn die Einkommen der Richter nähern sich denen der Minister, und Richterpensionen liegen mehr als das Zwanzigfache über den brasilianischen Durchschnittsrenten. Wegen monatelanger Ferien stocken Ermittlungen, werden Prozesse oft ein Jahrzehnt und länger verschleppt. Andererseits herrscht Chaos im Justizapparat, gelten die Richter, von Ausnahmen abgesehen, als extrem konservativ bis reaktionär. Arme werden wegen Bagatelldelikten häufig zu Freiheitsstrafen verurteilt, während Bessergestellte meist auf freiem Fuß bleiben.
Zwölf Jahre lang hatten Kongreßabgeordnete gemeinsam mit der Zivilgesellschaft dafür gekämpft, daß Brasiliens Richter eines ihrer absurdesten Privilegien verlieren, nämlich drei Monate bezahlten Urlaub pro Jahr. Doch kaum war das Privileg gefallen, wurde es im Oktober 2006 just auf Druck der Richter wieder eingeführt. Eine schlechte Nachricht für Brasiliens Bürgerrechtler, die seit Jahrzehnten gegen die vorherrschende Straflosigkeit, das Verschleppen von Ermittlungen und Gerichtsprozessen vergeblich Sturm laufen. Beispiele gibt es genug. 1992 erschießt eine Sondereinheit der Militärpolizei in Sao Paulo mindestens 111 Gefangene – alle Beteiligten bleiben auf freiem Fuß, der befehlshabende Oberst wird nach sechzehn Jahren freigesprochen. Im Amazonasteilstaat Parà tötet ein Polizeikommando vor zehn Jahren mindestens neunzehn Landlose – das Blutbad ist weiter ungesühnt. Landlosenführer Joao Rodrigues:“Die Lula-Regierung hätte im sehr konservativen Justizapparat intervenieren können – doch dazu fehlt ihr leider die politische Courage. Es ist eine schwache Regierung, die zudem zugelassen hat, daß in ihrer Amtszeit bisher bei Landkonflikten über einhundert Menschen ermordet wurden – und in allen Fällen Straffreiheit herrscht.“
In dem von Sklavenarbeit und Terror gegen Menschenrechtsaktivisten gezeichneten Teilstaate Parà wurde Urwaldbischof Erwin Kräutler wider Willen zum Rechtsexperten. Der Bischof weist auf den Mord an dem spanischen Indiomissionar Vicente Canas – erst jetzt, also neunzehn Jahre nach der Tat und kurz vor der Verjährung, begann der Prozeß gegen Täter und Hintermänner, meist Großgrundbesitzer. Zwei Angeklagte wurden bereits freigesprochen, weil nach so langer Zeit Details nicht mehr zu klären sind. “Vicente Canias wurde grausam ermordet, weil er sich für Indios eingesetzt hat. Damals sind wir überall vorstellig geworden, haben verlangt, daß diese Sache geklärt wird, daß diese Untersuchungen angestellt werden sollen. Und das wurde einfach hinausgezögert bis vor kurzem, bis sich niemand mehr erinnert, was da passiert war.“
Kräutler erwähnt die grausame Verstümmelung von zwanzig Kindern in seinem Bistum – auch da kämpft der Bischof für die Bestrafung der Schuldigen. “Es kam erst im Jahre 2003 zu einer Gerichtsverhandlung, also praktisch zehn bis fünfzehn Jahre später. Und alle die zu Freiheitsstrafen verurteilt worden sind, kamen auf freiem Fuß. Begründung: Der Prozeß wird neu aufgerollt, sie können ihn in Freiheit abwarten. Das heißt mit anderen Worten, daß die Sache gelaufen, abgewehrt ist.“
--Frau in überfüllte Zelle mit Männern gesperrt, „wie am Fließband vergewaltigt“—
Als Kräutler erfuhr, daß eine völlig unschuldige Frau, Salma Simas, unter falschem Mordverdacht in eine mit fünfzig Männern total überfüllte Zelle gesperrt wurde, immer wieder vergewaltigt, attackiert, mit Geschlechtskrankheiten infiziert wird, kämpfte er so lange, bis die Frau nach sieben Monaten endlich frei kam. Richter und Staatsanwälte hatten mit ihr kein Erbarmen. Eine Staatsanwältin, die zufällig an der Zellentür vorbeiging, und von Salma Simas um Hilfe gebeten wurde, reagierte zynisch und ironisch, sogar sexistisch. Der zuständige Generalstaatsanwalt von Parà betonte:“Im Hinterland gab es noch nie Frauenzellen, die Gefangene bleibt dort, wo Platz ist.“
Kräutler nach der erkämpften Freilassung:“Sie war buchstäblich in der Hölle, wurde gedemütigt, geschändet, wie ein Objekt, sozusagen am Fließband ausgebeutet, vergewaltigt. Was Salma Simas geschah, passiert in Parà nach wie vor.“
Als der Freispruch fiel, saß Kräutler im Gerichtssaal, forderte gemeinsam mit den lokalen Bürgerrechtsbewegungen eine Haftentschädigung für die gebrochene Frau. „Hier muß ich einfach Schritte unternehmen, die man in Deutschland oder Österreich als Bischof nicht tun müßte.“
-Freiheitsstrafen für Bagatelldelikte—
Pfarrer Günther Zgubic, ebenfalls aus Österreich, leitet Brasiliens Gefangenenseelsorge und wirft Richtern vor, gerade mit Angeklagten aus der Unterschicht keinerlei Mitleid zu haben. “Ich hab einen Gefangenen angetroffen, der seit zehn Jahren auf die Gerichtsverhandlung, auf ein Urteil wartet.“
Zgubic bringt auf, wenn Slumbewohner wegen Bagatelldelikten, etwa Diebstählen im Supermarkt, jahrelang ins Gefängnis müssen. „Einer stahl drei kleine Kuchen und Milch – bekam fünf Jahre Gefängnis. Der Richter verhielt sich doch da verbrecherisch. Wer für mich da ins Gefängnis gehört, ist der Richter, der ist doch ein totaler Verbrecher, hat ein Leben zerstört. Man sieht, daß die Strafphilosophie noch aus der Diktaturzeit stammt – zuviele Richter denken noch faschistisch oder repressiv.“
Allgemeine Rechtlosigkeit, das Fehlen von Basis-Menschenrechten, zählen zu den Alltagserfahrungen der allermeisten Brasilianer. Beschwerden, Klagen, falls überhaupt von den entsprechenden Stellen angenommen, sind gewöhnlich zwecklos, das Recht der Stärkeren, Brutaleren gilt fast durchweg - gegen die theoretisch vorhandenen Rechte der Schwachen, der Alten, Kranken, Unterprivilegierten. In Brasiliens Alltag hat man zwangsläufig Dinge zu schlucken, die in zivilisierten Nationen undenkbar wären. Sogenannte Menschenrechtsorganisationen der Ersten Welt verlieren zunehmend das Interesse an derartigen Tatbeständen, veröffentlichen bestenfalls Alibi-Erklärungen.

Klaus | 17.11.06 18:35 | Permalink