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Lulas graue Eminenz - sein Vize Josè Alencar: Milliardär, Großunternehmer, Diktaturaktivist aus der Sektenpartei PRB

Aufpasser der Geldeliten in der Regierung
--von Klaus Hart, Sao Paulo--
Deutschlands Kommerzmedien halten sich wie bei den Präsidentschaftswahlen von 2002 auch diesmal wieder an die Spielregeln - die Rolle von Staatschef Lulas wichtigstem Mann, seinem Vize Josè Alencar, in der Regierung wird fast durchweg unterschlagen. Immerhin erledigt der die Amtsgeschäfte bei Lulas Auslandsreisen, stünde bei einem Abtreten Lulas an der Staatsspitze. Vize Alencar unterzeichnete das umstrittene Gesetz zur Legalisierung des Anbaus gentechnisch veränderter Sojabohnen.
Personalistisch wird in der Wahlkampfberichterstattung gewöhnlich nur Lula herausgestellt, doch dessen graue Eminenz ist bei allen Kundgebungen dabei. Auch bei der letzten vor den Sonntagswahlen - in Sao Bernardo bei Sao Paulo, bei der immerhin sogar der zwielichtige Chef der Arbeiterpartei PT, Ricardo Berzoini, fehlt.
Noch unlängst war Berzoini Lulas Wahlmanager - wegen der jüngsten Schmiergeldaffäre namens "Dossiergate" um den Ankauf eines dubiosen Dossiers, das gegen Oppositionskandidaten verwendet werden sollte, mußte Lula den Mann aus dem Verkehr ziehen.

Lula -Vize Alencar schildert vor den Massen rührselig, wie er im Teilstaate Minas Gerais ganz unten, ganz klein, als armer Hund, angefangen habe. Kaum Geld für Essen, Schlafen nachts nach der Arbeit im Korridor einer Hotelpension. Doch dann habe ihm ein Bruder etwas Geld geliehen, das habe für einen Mini-Laden gereicht. Beifall bekommt Alencar vom Kundgebungspublikum - meist Arbeiter, Funktionäre der Arbeiterpartei PT sowie bezahlte Jubler und Fahnenschwenker - nur sehr spärlich, manche murren, viele pfeifen, einige rufen „Lügner“. Man hätte gerne den interessanteren Rest der Geschichte gehört – wie Alencar ein multinationales Textilimperium aufbaute, zum Milliardär wurde, nach seinem Eintritt in die Regierung kolossale Kursgewinne und Profitsteigerungen seiner Unternehmen verzeichnete - der Konzern war sogar „Unternehmen des Jahres 2004“. Und wie Alencar zu Gewerkschaftskritik steht, ein übler Ausbeuter und Menschenschinder zu sein. Doch dazu kein Wort, Lula lobt Alencar überschwenglichst.
--Wer ist Lulas wichtigster Allianzpartner PRB?—
Noch interessanter – weder von Alencar noch Lula ein einziges Wort zu seinem wichtigsten Koalitionspartner, der Republikanischen Partei Brasiliens(PRB) von Alencar. Der winzige andere Partner, die opportunistische, nur noch dem Namen nach Kommunistische Partei Brasiliens(PCdoB), hat wenig zu sagen, den Ausschlag gibt erneut die rechtskonservative PRB. Fahnen, Transparente, Leute mit PRB-T-Shirts sucht man indessen vergebens. Auf Lulas hochprofessionell gemachter Website kann man Informationen über alle Parteien der Dreier-Allianz PT-PcdoB-PRB anklicken – doch seltsam, bei der PRB erscheint die ganze Wahlkampagne nur:“In Kürze ist das Portal PRB 10 präsent – Nachrichten, Artikel, Service und viel mehr für Dich“. Noch kurioser – Lula-Vize Alencar ist auf der Lula-Website zwar mit einer Jubel-Biographie vertreten, doch über Alencars bisherige und neueste Parteimitgliedschaft steht dort kein einziges Wort. Brasiliens Privatmedien haltens größtenteils wie die deutschen – schreiben darüber so gut wie nichts.
--Lulas Sekten-Scharlatane—
Lula und die anderen PT-Führer hatten es für eine intelligente Idee gehalten, 2003 ausgerechnet Brasiliens aggressivste evangelikale Sekte, die sogenannte „Universalkirche vom Reich Gottes“, voller Wunderheilerscharlatane und Exorzisten, mit ins Regierungsboot zu holen. Die Sekte dominierte die „Liberale Partei“(PL) von Lulas Vize Alencar. Doch just die PL war neben Lulas PT am meisten in die Regierungsskandale um Stimmen-und Parteienkauf verwickelt - der größte, berühmteste Mann der PL, nämlich Vize Alencar, wurde indessen aus allen Skandalen herausgehalten. Wie bekannt wurde, gelangten dubiose Gelder in Millionenhöhe an Politiker auch über eine Werbefirma, dessen Mitbesitzer ein Verwandter Alencars war.
Unfroh über die Rolle der PL, gründet der Chef der Universalkirche und selbsternannte „Bischof“ Edir Macedo daher die Republikanische Partei Brasiliens(PRB) und holte die meisten PL-Kader, darunter auch Vize Alencar, mit ins Boot. Milliardär Alencar war mit seinen Großunternehmen bereits im Wahlkampf von 2002 wichtigster Geldspender, ermöglichte eine Materialschlacht sondergleichen. Auffällig, wie geradezu massenhaft große Aufkleber unters Volk gestreut wurden, die an evangelikale Sektenanhänger appellierten, Lula zu wählen. Die rasch wachsenden Wunderheilerkirchen waren vor vier Jahren wichtige Wahlhelfer Lulas – Sektenchef Macedo verfügt über ein weltweit agierendes Medienimperium, sein Fernsehsender Record ist der nach TV Globo zweiterfolgreichste Brasiliens. Die evangelikalen Sekten mobilisieren rund dreißig Millionen Pflichtwähler, auf die Lula und die PT-Spitze nicht verzichten wollen. In Rio de Janeiro unterstützte Lula gemeinsam mit Vize Alencar bei einem großen Sekten-Meeting den dortigen PRB-Gouverneurskandidaten Marcelo Crivella. Der ist Senator im Kongreß, „Bischof“ der Universalkirche, mit dessen Chef Macedo verwandt und zudem als Sänger mit mehr als vier Millionen CDs auch der Popstar dieser Wunderheilersekte. In Wahlkämpfen schüttelte er mit Maschinenpistolen bewaffneten Drogengangstern der Rio-Slums die Hand. Ein geradezu historisches Foto von 2006 – Lula, Alencar und Crivella im Schulterschluß, sich gegenseitig die Arme hoch reißend.
--Vom Milliardär zum kleinen Millionär?—
Lula machte Alencar in seiner Regierung zeitweilig zum Verteidigungsminister. Wer derzeit in Brasilien genau hinschaut, muß sich wundern, wieso Lula seinen Vize als erfolgreichen Unternehmer lobt. Noch vor Jahren nannte ihn selbst die Wirtschaftspresse immer einen der wenigen brasilianischen Milliardäre, den „Senador Bilionario“. Gemäß den veröffentlichten Statistiken ist offenbar Alencars Vermögen entsetzlich geschrumpft, besitzt er derzeit nur Geld, Sachwerte und Aktien im Werte von umgerechnet etwa fünf Millionen Euro. In der akribisch wirkenden Tabelle über den Lula-Vize ist sogar dessen Omega-Armbanduhr im Werte von umgerechnet rund 110 Euro aufgeführt. Fragen über Fragen, eine interessante politische Gemengelage.
--Präsidentschaftskandidatin Heloisa Helena und die Terror-Gangs—
Bei den Präsidentschaftswahlen treten dieses Jahr eine Reihe von Kandidaten an, die von brasilianischen Analysten als objektiv besser, fähiger als Lula und dessen wichtigster Herausforderer Geraldo Alckmin von der Sozialdemokratischen Partei(PSDB) eingeschätzt werden, indessen unter den Bedingungen bürgerlicher, an nordamerikanischen PR-Methoden orientierter Wahlkämpfe keinerlei Chancen haben.
Nachdem Lulas PT-Flügel einen Schwenk der Partei auf neoliberalen Kurs erzwang, wurden jene Mitglieder lästig, die auf PT-Prinzipien der Gründungszeit und das damalige Parteiprogramm pochten. Zu ihnen gehört auch die Kongreßsenatorin Heloisa Helena aus dem nordöstlichen Teilstaat Alagoas. Im Wahlkampf von 2002 verurteilte sie die Koalition der Arbeiterpartei mit der PL von Vize Alencar, wies auf die Allianzpartner der PT im Teilstaate Alagoas. Sie lehne es ab, so Heloisa Helena, sich kriminellen, korrupten PL-Politikern anzuschließen, die sogar vom Kongreß-Untersuchungsausschuß für Rauschgiftkriminalität namentlich angezeigt worden seien. Jene PL-Kader gehören zum engen Kreis der Figuren um den in den Neunzigern wegen Korruption und Machtmißbrauch amtsenthobenen Ex-Präsidenten Fernando Collor aus Alagoas. Heloisa Helena wurde schließlich nach Lulas Amtsantritt gemeinsam mit anderen Alt-PT-lern aus der Partei gefeuert – kurioserweise vor allem auf Betreiben von PT-Führungsleuten, die in den Regierungsskandalen um Stimmen-und Parteienkauf eine besonders negative Rolle spielten. Heloisa und andere Ex-PT-ler gründeten die Partei Sozialismus und Freiheit(PSOL), auf der einstigen Linie der Arbeiterpartei. In der Woche vor den Mammut-Wahlen fuhr sie mit einer Autokarawane auch durch den großen Rio-Slum „Complexo da Marè“ und spürte am eigenen Leib, welche soziokulturelle Politik ihr jetziger Gegner Lula für die Armen-und Elendsviertel als besonders angemessen hält. Heloisa Helena mußte die Wahlkampftour abbrechen, weil immer wieder schwerbewaffnete Patrouillen des organisierten Verbrechens mit scharfen Hunden, gewöhnlich Pitbulls, am Weg standen und demonstrativ ihre hochmodernen NATO-Zielfernrohr-Mpis zeigten, auch mit Handgranaten und Pistolen gerüstet waren. Gerade aus dem „Complexo da Marè“ sind grauenhafte Details des Terrors der Banditenmilizen bekannt, die in ihrem Parallelstaat die Slumbewohner einschüchtern. Mißliebige werden lebendig verbrannt, Banditen wurden beim Fußballspielen mit abgeschlagenen Menschenköpfen beobachtet.
Allgemein wurde mit Interesse erwartet, wie die Lula-Alencar-Regierung sich diesem gravierenden Menschenrechtsproblem des Banditen-Parallelstaats stellen würde. Der Ostblog hatte über die komplexe Frage regelmäßig berichtet. Eine Visite des Kulturministers Gilberto Gil und des heutigen PT-Chefs Ricardo Berzoini im „Complexo da Marè“ zeigte die Linie Brasilias. Wie selbst Brasiliens Presse ausführlich berichtete, fuhren Gilberto Gil und Ricardo Berzoini völlig ohne Begleitschutz, nicht einmal mit Bodyguards in den berüchtigten Slum ein, weil vorher mit den lokalen Banditenbossen eine Besuchserlaubnis ausgehandelt worden war. Mit der Bedingung an die Regierungsmitglieder, Sicherheitsleute draußen zu lassen. „Ein Skandal erster Ordnung“, sagte damals Paulo Sergio Pinheiro, Experte für Gewaltfragen an der Bundesuniversität von Sao Paulo. „Geschähe derartiges in Deutschland, Frankreich oder Großbritannien, würde das im Parlament heiß diskutiert, würde die Regierung gestürzt.“ Für Pinheiro und zahlreiche andere Sozialwissenschaftler wird damit die neofeudale Diktatur der Banditenmilizen über ihren Parallelstaat sozusagen offiziell anerkannt. „Die Gangsterkommandos verbreiten in ihrem Territorium Angst, foltern und morden, beherrschen das gesamte Leben der Slumbewohner – alles toleriert vom Staat, von den Autoritäten.“ Verlogene „Menschenrechtsexperten“ aus der deutschen Politik haben an diesen Zuständen nie Anstoß genommen.
Anders als der selbst in Europa von interessierter Seite zum „Hoffnungsträger“ hochgejubelte Lula hat Heloisa Helena seit jeher eine dezidierte Position zum Menschenrechtsproblem der Gangsterdiktatur, äußerte sie auch nach der jüngsten Slumvisite. Solche bewaffneten Banditen des organisierten Verbrechens zu sehen, sei erschreckend und erschütternd. „Deshalb müssen wir dies mit Lula in der TV-Kandidatendebatte vor den Wahlen intensiv diskutieren. Wer sich zu diesen Zuständen äußern muß, ist Lula, der unfähig war, Kinder und Jugendliche aus den Fängen des organisierten Verbrechens zu befreien.“ Bewaffnete Patrouillen dieser Art geben es an den Slumperipherien der verschiedensten Teilstaaten. Lula indessen blieb erwartungsgemäß der TV-Debatte fern, wollte sich der Frage nicht stellen, warum seine Regierung den Terror der Banditenmilizen über Millionen von Slumbewohnern zuläßt. Soziologen haben in Ostblog-Interviews darauf eine Antwort gegeben.
Heloisa schlug eine gedankliche Brücke vom Slum nach Brasilia. „Ich habe sogar schon auf der Straße Prügel bezogen, und auch vom organisierten Verbrechen in den Palästen, von den Großen und Mächtigen.“
--"Linker" Lula - ein Witz--
Kurios, wie in der deutschen Wahlberichterstattung weiterhin die Sprachregelung gilt, Lula als Linken, Sozialisten etc. einzustufen. Selbst in Brasiliens katholischer Kirche sieht man es anders. Lula selbst hat immer wieder klargestellt, kein Linker zu sein. Auch renommierte brasilianische Soziologen wie Francisco de Oliveira haben wiederholt betont, daß Lula nie der Linken angehört habe. Koordinator Waldemar Rossi von der befreiungstheologisch orientierten katholischen Arbeiterpastoral Brasiliens, der einst mit Lula in Sao Paulo Streiks organisierte, hat bereits vor Jahren analysiert:"Lula ist in Wahrheit nicht einmal sozialdemokratisch, ist ideologisch fragil. Er wuchs in der Gewerkschaftsbewegung faschistischen Ursprungs auf, in einer von multinationalen Konzernen geprägten Industriestruktur. Seine Weltsicht, seine Sicht von Entwicklung ist just jenes derzeit auf der ganzen Welt dominierende Modell. Lula fehlt eine klare Vision der Differenziertheit in der heutigen Welt - Lula war nie ein Linker. All dies erklärt seine teilweise Bewunderung für Adolf Hitler. Nur - Hitler wußte, was er wollte, Lula weiß es nicht, hat kein klares Regierungsprojekt, verfolgt auch nicht jenes Entwicklungsmodell, das seine Partei über so viele Jahre erarbeitete."

Klaus | 29.09.06 18:28 | Permalink