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Umstrittenes Nuklearabkommen aus der Diktaturzeit durch Rot-Grün nicht gekündigt
--von Klaus Hart, Sao Paulo--
Gelegentlich gibt es öffentliche Diskussionen darüber, wie Deutschlands Grüne Partei tatsächlich zur Nutzung der Atomkraft steht. Just in einer Zeit, in der die brasilianische Regierung von Staatschef Luis Inacio Lula da Silva immer wieder klargestellt hat, daß Atomenergie sauber und sicher sei, erneuerbare Energien wie Windkraft und Solarenergie zur Ersetzung fossiler Brennstoffe nicht taugten, das nationale Atomprogramm daher alle staatliche Unterstützung erhalte, war eine Klarstellung seitens der Grünen mehr als überfällig, gab es konkreten Handlungsbedarf. 1975 hatte der damalige SPD-Kanzler Helmut Schmidt mit den brasilianischen Foltergenerälen der Militärdiktatur ein Atomabkommen vereinbart, es von Dietrich Genscher unterzeichnen lassen. Das Abkommen diente, wie zahlreiche Kritiker betonten, vorhersehbar auch militärischen Zwecken. Noch 1994 hatte die SPD laut Presseberichten von der damaligen Kohl-Regierung gefordert, die Atomkooperation mit Brasilien zu stoppen. Als Rot-Grün an die Regierung kam, meinten daher Gutgläubige, daß der Atomvertrag gemäß den bestehenden fünfjährigen Kündigungsfristen 1999 aufgehoben würde. Grüne wie Joseph Fischer, Jürgen Trittin und Co. dachten indessen gar nicht daran. Das Atomabkommen wurde ganz offiziell und automatisch verlängert. Im November 2005 stand wiederum ein mögliches Kündigungsdatum an. 18 Umwelt-und Entwicklungsorganisationen forderten deshalb die rot-grüne Bundesregierung auf, mit der Atomkooperation Schluß zu machen. „Das ist die Chance, ein Signal zu setzen, daß es der Bundesregierung mit ihrem Atomausstieg ernst ist, auch international“, betonte Sergio Dialetechi von Greenpeace Brasilien. Kurioserweise wurde daraufhin die Sache in manchen deutschen Medien so hingestellt, als sei die Aufkündigung des Atomvertrags bereits beschlossene Sache. Skeptiker führten ins Feld, daß es sich bei den Grünen um eine bürgerliche, Kapitalinteressen, beispielsweise von Windkraft-und Atomfirmen wie Siemens verpflichtete Partei handelt. Das Atomkraftwerk Angra II des Biblis-Typs war vom Windkraft-und Atomkonzern Siemens in einer Atlantikbucht bei Rio de Janeiro errichtet worden, genau daneben lagern die Siemens-Bauteile für Angra III. Würde der Atomvertrag mit Brasilien fristgemäß gekündigt, wäre vorhersehbar auch Schluß mit Hermesbürgschaften für Nuklearexporte nach Brasilien. Um so interessanter also, wie Grünen-Außenminister Joseph Fischer und Umweltminister Jürgen Trittin mit ihrer politischen Macht umgehen würden. Zu Beginn der rot-grünen Amtszeit war auf der New Yorker Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrags ohne durchaus mögliche Gegenvoten Joseph Fischers folgender Text des Abschlußdokuments unterzeichnet worden:“Die Konferenz erkennt die Vorteile der friedlichen Atomenergienutzung und nuklearer Techniken an“, heißt es da, „und ihren Beitrag, um in den Entwicklungsländern nachhaltige Entwicklung zu erreichen sowie generell das Wohlergehen und die Lebensqualität der Menschheit zu verbessern.“ Atomenergienutzung sei daher überall auf dem Erdball zu fördern. Auch Trittin hat sich davon nie distanziert. Vor diesem Hintergrund war nahezu klar, wie sich Rot-Grün im Falle der anstehenden fristgemäßen Verlängerung des deutsch-brasilianischen Atomvertrages verhalten würde. Für die Medien, die Öffentlichkeit das übliche leere Absichts-Gerede, in der Sache dagegen klare Fakten: Wie es auf Anfrage in Brasilia hieß, wurde der Atomvertrag aus der Diktaturzeit offiziell nicht gekündigt, sondern automatisch verlängert. Es gebe keinerlei Zeitrahmen, keinerlei Fristen dafür, wann eventuell, so wörtlich, ein neuer „deutsch-brasilianischer Atomvertrag“ ausgehandelt werde.
Gelegentlich wird zwecks Beschwichtigung der Öffentlichkeit die Meinung verbreitet, der Vertrag sei derzeit bedeutungslos. Laut brasilianischem Wissenschafts-und Technologieministerium ist der „Acordo sobre Cooperaçao no Campo dos Usos Pacificos da Energia Nuclear“ indessen in Kraft. Nach Brasilien treibt nun auch Argentinien sein Atomprogramm erneut kräftig voran – vermutlich war Brasilia, der Lula-Regierung die vertraglich vereinbarte Atomkooperation mit Deutschland, großen Windkraft-und Atomkonzernen wie Siemens selten so wertvoll wie heute. Umweltinteressierte haben daher bei Gesprächen mit Grünen, gar deren Amtsträgern, reichlich Diskussionsstoff.
Der frühere Fraktionsvorsitzende der Grünen, Rezzo Schlauch, hat seit Ende 2005 einen Beraterposten im baden-württembergischen Energiekonzern EnBW, der die Atomkraftwerke Philippsburg und Neckarwestheim betreibt. Im Beirat sitzen bereits Klaus Kinkel, Theo Waigel und Matthias Wissmann.
Klaus | 25.08.06 19:25 | Permalink