« Noch 20 Klagen gegen das Bombodrom | Hauptseite | Bankrott der Orangenen Revolution? »

Freundliches, rassistisches Frankfurt (Oder) ?

RegattaJ7.jpg
Antirassistische AktivistInnen organisierten wiederholt eine alternative Veranstaltung zum Frankfurter Stadtfest: die Antirassistische Regatta

Mit dem diesjährigen Hansestadtfest „Bunter Hering“ wollte Frankfurt (Oder) wieder mal Flagge zeigen. Mehr aber auch nicht. Deshalb wurde das selbstgefällige Fest von ca. 50 AntirassistInnen aus Deutschland, Polen, Frankreich und der Schweiz sowohl zu Lande als auch zu Wasser in dem Ruderboot „Oury Jalloh“ gestört. Die DemonstrantInnen wollten damit auf die tödlichen Folgen der bundesdeutschen Flüchtlingspolitik hinweisen. Seit 1993 starben 162 von insgesamt 412 Flüchtlingen auf dem Wege in die Bundesrepublik Deutschland oder an dessen Grenzen, davon allein 121 an den deutschen Ost-Grenzen.

Seit Jahren konzentriert sich das Engagement eines großteils der hiesigen KommunalpolitikerInnen nicht auf eine inhaltliche Auseinadersetzung mit steigender Ausländerfeindlichkeit, rechtsextremistischen Übergriffen auf polnische StudentInnen oder die rassistische Sonderbehandlung von MigrantInnen. Der Focus der Politik gilt vielmehr dem aufpolieren des Images einer „no go area“.

Die Heuchlerei der politischen Verantwortlichen wird besonders in ihrer Werbekampagne „Freundliches Frankfurt“ sichtbar. Auf den dazugehörigen Aufklebern wird ein lachendes schwarzes und weißes Kind abgebildet. Dies soll ein ausländer-freundliches Stadtbild vermitteln. Wohl auch deshalb findet man/frau solche Aufkleber auf Einsatzfahrzeugen der Bundespolizei, die gleich für deren Abschiebung zuständig sind. In Frankfurts freundlicher Straßenbahn kleben die freundlichen Aufkleber sogar gleich neben der Telefonnummer der BGS-Hotline. Unter dieser Nummer können freundliche Frankfurter ausländisch aussehende Personen, von den vermutet werden kann, sie halten sich illegal im Grenzgebiet auf denunziert werden.

RegattaA4.jpg
Die Boote positionieren sich auf der "Startlinie" am Winterhafen. Sie werden gefolgt von dem Dreier "Oury Jalloh".

Zusammen mit der in diesem Jahr 500 Jahre werdenden Alma Mater Viadrina sollte auch "eine neue Seite in den Geschichtsbüchern der Stadt Frankfurt(Oder) und seiner Universität“ eingerichtet werden. Die Präsidentin der Europa-Universität Viadrina Gesine Schwan versucht doch seit einigen Jahre durch Kommerzialisierungs- und Elitekonzepte aus der einst von StudentInnen aus Mittel- und Osteuropa geprägten Viadrina eine Eliteuniversität zu machen. Die StudentInnen aus dem Osten bleiben dadurch zwar aus, da durch Abschaffung der Stipendien sozial benachteiligte kaum in der Lage sind sich einen Aufenthalt in der Oderstadt zu finanzieren. Dies hält die Präsidentin nicht davon ab die Viadrina in ein elitäres Oxford des Ostens umwandeln zu wollen. Dazu gehört es auch an dekadente Traditionen anzuknüpfen, wie das legendäre Ruderduell Oxford-Cambridge.

„Deutschland und Polen spielen eine besondere Rolle bei der Bekämpfung der transnationalen Migration nach Europa. Mit seiner neuen EU-Außengrenze markiert Polen einen entscheidenden Knotenpunkt der europäischen Migrationskontrolle. Europäische Lager, Internierungs- und Haftzentren bilden ein unerlässliches Element, um Menschen aus Osteuropa, Afrika und Asien gewaltsam und effektiv aus der Festung Europa herauszuhalten. Ein selbstgerechtes Fest wie der „Bunte Hering“ perpetuiert diesen Zustand und unterstützt die Fortsetzung der Apartheid-Grenzen-Logik. Während die Viadrina zusammen mit der Stadt Frankfurt den Grenzfluss Oder als Grund zum feiern betrachtet und eine Regatta veranstaltet, versuchen täglich Menschen diese Grenze unter Einsatz ihres Lebens zu überwinden.“ sagte Michał ein polnischer Teilnehmer der Aktion.

Nach der offiziellen Eröffnung des HanseStadtFests durch den Oberbürgermeister sollte ein Ruderwettbewerb stromaufwärts - von der nördlichen Oderpromenade bis zum Holzmarkt – stattfinden. Doch der Start der drei Fakultätsboote verzögerte sich. Zur Überraschung aller Anwesenden tauchte ein viertes Ruderboot auf und lud die Menschen zu einer antirassistischen Gegen-Veranstaltung ein. Durch das Megaphon forderten die drei RuderInnen die Einhaltung elementarster Menschenrechte in Deutschland und die Abschaffung der Grenzen. Unterdessen verteilten an Land ca. 50 DemonstrantInnen aus Frankfurt und Gäste aus dem brandenburgischen Strausberg sowie aus Polen, Frankreich und der Schweiz. Flugblätter und eine Dokumentation über die tödlichen Folgen der bundesdeutschen Flüchtlingspolitik. In dieser heißt es: „In der Zeit vom 1.1.1993 bis 31.12.2005 starben mindestens 162 von insgesamt 412 Flüchtlingen auf dem Wege in die Bundesrepublik Deutschland oder an den Grenzen, davon allein 121 an den deutschen Ost-Grenzen. 439 Flüchtlinge erlitten beim Grenzübertritt Verletzungen, davon 259 an den deutschen Ost-Grenzen. Von den 102 Flüchtlingen, die in den Jahren von 1997 bis 2001 beim Grenzübertritt in die BRD durch Maßnahmen der Bundesgrenzschutzbeamten verletzt wurden, geschah das bei 83 Personen durch Bisse von Zoll- und Diensthunden. (...) Die politischen Verantwortlichen und intellektuellen Karikaturen beider Länder verschleiern die Gewalt und den Rassismus des Schengen-Systems, die Deportationen und die Ausgrenzung der MigrantInnen, das Töten und Verletzen von Flüchtlingen. Die hier geformten Eliten bilden die neoliberale herrschende Klasse der Zukunft. Ausgegrenzte, Diskriminierte und Verfolgte können so intellektueller Unterstützung beraubt werden, da Bildung nur noch über Markt und Wettbewerb gesteuert wird und der Gewinnerzielung dient.“

Anlass der Aktion war der tragische Unfall (ostblog Berichtete) des kenianischen Flüchtlings Joseph M. Am 23.03.2006 sprang er aus Angst vor der Abschiebung aus dem ersten Stock der Freundlichen Frankfurter Ausländerbehörde und stürzte auf die Betonplatten am Boden. Dabei zog er sich so schwere Verletzungen zu, dass er jetzt querschnittsgelähmt ist.

Die DemonstrantInnen verlasen auch in Gegenwart von Elke H. der langjährigen Freundin Josephs M. ihren Redebeitrag : „Jüngste Vorkommnisse beweisen wieder einmal, dass Frankfurt (Oder) doch nicht so weltoffen und ausländerfreundlich ist, wie uns die Werbung „Freundliches Frankfurt“ weismachen will! (…) Deutschland zeigt in diesen Tagen wieder Flagge für unsere Fußball – Elf. Zeigen Sie dem behördlichen Vorgehen gegen Joseph M. und dem damit verbundenem Slogan „freundliches Frankfurt“ die „rote Karte“!“.

Elke H. und Joseph M. hatten für den 18. März einen Heirats-Termin im Freundlichen Frankfurter Standesamt erhalten. Doch die freundlichen Frankfurter Behörden beeilten sich aus diesem Grund und bestellten bereits am 15. März ein Ticket nach Kenia um die Abschiebung zu vollziehen. „Nur bürokratische Hürden hatten eine Terminsetzung für die Hochzeit verhindert. Für das Standesamt fehlte eine schriftliche Bestätigung der Gültigkeit seines Reisepasses, obwohl die Ausländerbehörde diesen bereits als gültig anerkannt hatte. Die MitarbeiterInnen der Ausländerbehörde wiederum wussten von der Verlobung, trieben die Abschiebung aber weiter voran. Sie sind verantwortlich.” erklärt Ute, Steuerfrau des antirassistischen Ruderbootes. „Joseph wurde zur Behörde bestellt, dort erhielt er die Abschiebeverfügung, die Polizei sollte ihn mitnehmen. Eine Minute für den Abschied mit seiner Verlobten Elke H. wurde Joseph M. nicht gewährt. Aus Verzweiflung über die Rechtlosigkeit und Unmenschlichkeit sprang er durch das geschlossene Fenster der Ausländerbehörde. Seitdem ist er vom Bauch ab querschnittsgelähmt.” sagte Jochen, der im antirassistischen Boot mitruderte.

Eine ähnliche Aktion die dem Konzept der „Yes Man“ angelehnt ist wurde bereits 2003 bei der 750 Jahrfeier der Stadt Frankfurt durchgeführt. Die AntifaschistInnen verkleideten sich damals zunächst als eine Trommel-Session Gruppe aus Mainz und nahmen so an einem offiziellen Geburtstags-Festumzug der Stadt Frankfurt (Oder) teil. Dabei trugen sie einen Sarg durch die Stadt und informierten über die tödlichen Folgen der bundesdeutschen Flüchtlingspolitik.


RegattaA5.jpg
Die Aktion beginnt.

RegattaA6.jpg
Die Steuerfrau informiert die Menschen an Land über den Rassimus in der freundlichen Grenzstadt...

RegattaJ.jpg
... und schon hat jemand was dagegen.

RegattaJ2.jpg
Edeltraud Lademann - die Trainerin der offiziellen Regatta fordert die AntirassistInnen auf die Wettkampfstrecke zu räumen.

RegattaJ3.jpg
Vergeblich. Das Motorboot hat keine Chance. Die alternative antirassistische Regatta geht weiter.

RegattaJ4.jpg
"Kein Mensch ist illegal. Bleiberecht überall"

RegattaJ5.jpg
"Menschenrechte schützen. Joseph M. bleibt"

RegtattaA2.jpg
Das Boot von der polnsichen Seite aus gesehen.

RegattaJ6.jpg
"Menschenrechte schützen. Joseph M. bleibt"

RegattaJ7.jpg
"Um Europa keine Mauer. Bleiberecht für alle und auf dauer".

RegattaJ8.jpg
"Zaden czlowiek nie jest nielegalny" - auch polnsiche Sprechchöre waren zu hören.

RegattaJ9.jpg
... und weiter gehts Richtung Zielgerade am Holzmarkt, wo die Tribüne steht.

RegattaJ10.jpg
Im Hintergrund die deutsch-polnsiche Grenzbrücke.

RegattaJ11.jpg
Überraschte Menschen am Holzmarkt...

RegattaJ12.jpg
... werden mit Info-Material und einer Dokumentation über Tote im deutsch-polnsichen Grenzland versorgt.

RegattaJ13.jpg
"Zaden czlowiek nie jest nielegalny - Kein Mensch ist illegal"

RegattaJ14.jpg
"Kein Mensch ist illegal - Zaden czlowiek nie jest nielegalny"

RegattaJ15.jpg
Die drei Fakultätsboote rudern hinter "Oury Jalloh" her.

RegattaA3.jpg
Das Team von "Oury Jalloh" kommt als erstes ins Ziel

RegattaA.jpg
Hier kommen die Nachzügler: drei Fakultäten der Europa-Universität Viadrina.

COPYRIGHT 2006 by Telegraph. Bei Abdruckinteresse wenden Sie sich bitte an die Redaktion.

COPYLEFT 2006 für nichtkommerzielle Medien. Veröffentlichungsbeleg und bei Printmedien zwei Belegexemplare sind Bedingung.

COPYRIGHT FOTOS: Alexander Roßbach und Sascha Rußack. Weiterverwendung nur mit ausdrücklicher Zustimmung der Autoren.

Medien-Berichte:

RBB-Beitrag in "Brandenburg aktuell" vom 7.07.06

Regatta gegen Grenzen in Jungle World # 28 vom 12. Juli 2006


Indymedia

Inforiot

Weitere Infos:

Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen
Dokumentation von 1993 - 2005 (13. aktualisierte Auflage)

The Voice Refugee Forum

Michal Stachura | 08.07.06 10:43 | Permalink

Kommentare

echt geile aktion. lasst euch nich unterkriegen. solidarität hilft siegen :)

Verfasst von: Faust | 09.07.06 19:16

Hand in Hand nur so kommen wir dagegen an.

Klasse Aktion - Grüße aus Berlin

Verfasst von: der gelbe Hund | 14.07.06 16:33

hier werden nur gewollte meinungen veröffentlicht- zensur im ostlog! was für ne schlagzeile...

Verfasst von: phil | 22.07.06 20:02

Kommentar schreiben

-->

(Wenn Du auf dieser Site noch nie kommentiert hast, wird Dein Kommentar eventuell erst zeitverzögert freigeschaltet werden. Danke für Deine Geduld.)



Please enter the security code you see here